Ein beinahe unendlicher Kammermusikabend mit Maxim Vengerov und Polina Osetinskaya

Maxim Vengerov, Violine, Polina Osetinskaya, Klavier,  Wiener Konzerthaus, 15. November 2021

Foto: Maxim Vengerov © Diago Mariotta Mendez

Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 15. November 2021

Maxim Vengerov, Violine
Polina Osetinskaya, Klavier

von Jürgen Pathy

Maxim Vengerov in großer Spiellaune. Dass Künstler ihr Publikum mit Zugaben beehren, ist nichts Neues. Bei Vengerov, 47, der bereits im zarten Alter von fünf Jahren seine Laufbahn als Geiger begonnen hat, nehmen diese kleinen musikalischen Anekdoten allerdings exorbitante Formen an. „Jetzt beginnt das Konzert erst so richtig“, bekundet mit Freude mein Sitznachbar, der als etablierter Profi in der Musikbranche gilt. Beinahe wirkt es wirklich so. Nachdem Vengerov und seine „Begleiterin“ am Klavier, Polina Osetinskaya, Montagabend im Großen Saal des Wiener Konzerthauses ein wirklich besonderes Ouvre serviert haben, lässt die Spielfreude um nichts nach.

Johannes Brahms’ „Ungarischer Tanz Nr. 2″, Fritz Kreislers „Liebesleid“ und als weitere Draufgabe noch Kreislers „Liebesfreud“ bieten die beiden dem Publikum. Immerhin müsse man den Abend gebührend beenden, lässt Vengerov in einer kurzen Dankesrede wissen, nachdem er zuvor offensichtlich mit dem Zeigefinger verdeutlicht hat – eine geht noch. All das wurde dem Publikum, das zahlreich erschienen ist, geboten.

Dabei haben die beiden zuvor ein wirklich anspruchsvolles Programm durchforstet. Nicht nur, dass die beiden Vollblutmusiker, die sonst als gefeierte Solisten unterwegs sind, mit einem Frühwerk Richard Strauss’ und der Sonate in f-Moll op. 6 von George Enescu zwei virtuose Raritäten in den Saal gezaubert hatten, auch die chronologische Reihenfolge beweist viel Mut. Wer mit Mozart beginnt, der setzt mehrere Statements. Der durfte mit seiner B-Dur Sonate KV 454 nämlich zuvor ran. Erstens: Dass er vor Selbstvertrauen nur so strotzt. Zweitens: Dass er die feine Klinge auspacken will. Und drittens: Dass er keine Angst hat, sich imaginär zu entblößen.

Immerhin gibt es bei Mozart keinen Platz, um irgendwelche Schwächen zu verbergen. Üblicherweise werden deshalb rasante Werke zu Beginn ins Rennen geschickt, die es den Musikern erlauben, sich freizuspielen. Vengerov und Osetinskaya entscheiden sich anders.

Polina Osetinskaya © Elena Galiaskarova

Auch wenn der eine oder andere Ton im luftleeren Raum verpufft, weil Vengerov penibel darauf bedacht ist, transparent und leicht zu spielen, der schöne Ton, den er aus seiner Stradivarius zaubert, ist noch immer atemberaubend. Ebenso das Spiel seiner „Begleiterin“ am Klavier, die für den ein oder anderen an diesem Abend, Vengerov sogar in den Schatten stellt. Nicht nur, weil Polina Osetinskaya ihren weitaus berühmteren Kollegen an der Geige bei Mozarts B-Dur Sonate stilgerecht dezent und nobel begleitet, sondern auch ihrer virtuosen Fingerfertigkeit wegen. Die hat Osetinskaya an diesem Abend nicht nur einmal unter Beweis zu stellen. George Enescus f- moll Sonate und Richard Strauss’ Es-Dur Sonate fordern einem Pianisten alles ab.

1888 urteile ein Kritiker über Richard Strauss’ Frühwerk, dass er als 24-Jähriger parallel zur Tondichtung „Don Juan“ komponierte, über die umfangreiche Sonate mögen „sich nur ausgezeichnete Spieler machen, und selbst die werden tüchtig üben müssen“. Dem ist fast nichts hinzuzufügen.

Außer: Osetinskaya, die in Moskau geboren wurde, ist trotz dieser enormen Schwierigkeit imstande, dem schwarzen Steinway-Flügel die schönsten Obertöne zu entlocken. Dergleichen bei Enescus f- Moll Sonate, bei der der rumänische Komponist, der lange Zeit in Paris lebte, viele musikalische Einflüsse durchblitzen lässt: Liszt, wenig überraschend Ravel, aber auch Rachmaninoff geistern da stetig durch dieses ebenso hoch anspruchsvolle Werk.

Vengerov lässt dabei nun endlich seinem Naturell freien Lauf. Hat er es zuvor bei Mozart noch in Zaum halten können, nun brechen die russischen Pferde endgültig durch. Mit viel Sauce, wie Christian Thielemann es bezeichnen würde, wird da nun ausgiebig der russischen Schule der Interpretation gehuldigt. Höhepunkt dieser elegischen Schwermut, die Vengerov dennoch versucht in zartem Antlitz zu präsentieren, ist Tzigane – eine Rapsodie von Maurice Ravel, die gerne als Schaufenster für hochvirtuoses Geigenspiel fungiert. In Summe ein musikalisch wie auch atmosphärisch beeindruckendes Erlebnis, das vom Publikum mit herzhaftem Applaus quittiert wird.

Jürgen Pathy (Klassikpunk.de), 16. November 2021, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lang Lang, Klavier Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 9. November 2021

Teodor Currentzis, musicAeterna Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 10. Oktober 2021

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