Meine Lieblingsmusik 74: Top 9 – Gustav Holst „Die Planeten“ (1916) op. 32

Meine Lieblingsmusik 74: Top 9 – Gustav Holst „Die Planeten“ (1916) op. 32

Foto: Image data: NASA/JPL-Caltech/SwRI/MSSSImage processing by Tanya Oleksuik © CC NC SA

Selbst ein Jahr nach Ausbruch hat uns die Corona-Pandemie immer noch in ihrem Griff. Kultur und Kunst sind gänzlich weggebrochen, Veranstaltungen und Treffen nach wie vor eingeschränkt, der Konzertbetrieb liegt am Boden. Zeit, sich als Musikliebhaber einmal neu mit der eigenen CD-Sammlung (oder wahlweise Spotify-Playlist) auseinanderzusetzen, Lieblinge zu entdecken oder alte Favoriten neu aufleben zu lassen.

Deshalb stelle ich vor…

von Daniel Janz

Die acht plus ein Planeten – Himmelskörper, die unser Sonnensystem bilden und teilweise mit bloßem Auge von der Erde aus erkennbar sind. Seit der Antike waren die ersten 5 als Wanderer der Himmelsphären bekannt. Damals – als man noch an die Sphärenharmonie glaubte und der Himmel in der Vorstellung der Menschen schichtenartig aufgebaut war, galten diese Himmelskörper als Götter oder Wegweiser für die Seelen der Verstorbenen, die ihren Aufstieg in die Sphären angetreten waren. Bis in das späte Mittelalter hielt sich diese Vorstellung, die erst nach und nach durch Pioniere der Astronomie, wie Nikolaus Kopernikus, Giordano Bruno, Galileo Galilei und Johannes Kepler aufgebrochen wurde.

Auch wenn diese fantastische Idee inzwischen wissenschaftlich widerlegt worden ist, so hat sie doch durch die Jahrtausende Künstler und eben auch Musiker inspiriert. So auch Gustav Holst, der dieser Vorstellung 1916 eine ganze Orchestersuite widmete. Und das auf der Höhe seiner Zeit: Als er mit der Komposition dieses Monumentalwerks begann, war der Planet Neptun gerade um die 60 Jahre lang entdeckt und Pluto sogar noch nicht gefunden.

Foto: Neptun. CREDIT NASA/JPL

Und so, wie schon die antiken Astronomen hielt Gustav Holst auch an den mystischen Hintergründen fest. Entsprechend ist seine Komposition keine klangmalerische Widergabe der Planeten und derer Gestalt, wie wir sie heute durch Missionen der NASA und durch Satellitenbilder kennen. Stattdessen beruht seine Musik auf den antiken Vorstellungen der meist römischen Himmelsgötter nach denen die Planeten benannt sind: Mars, Venus, Merkur, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.

Dadurch entsteht eine Musik voller Reichtum und Abwechslung, die obendrein zur Blaupause für viele moderne Filmkomponisten wurde. Mit jedem Planeten sind durch die ihm zugeordnete antike Gottheit auch entsprechende Attribute verbunden: So ist Mars als Bringer des Kriegs bei Holst durch martialische Klänge mit schwerem Blech und Fanfarensignalen, donnernden Pauken und Trommelschlägen sowie Orgel gekennzeichnet. Dieser Satz dürfte zugleich auch der bekannteste sein, wird er doch oft in Film und Fernsehen und sogar in den sozialen Medien rezipiert. Besonders in US-amerikanischen Produktionen erlebt er popkulturelle Wirksamkeit.

Viel weniger bekannt ist dagegen die Venus – Göttin der Schönheit, Bringer des Friedens. Holst hat diese mit besonders weichen Klängen aus Flöten-, Harfen- und Celestaspiel auf in sich ruhenden Streichern und warmen Hornklängen ausgekleidet. Damit hat er neben Strauss auch Klangkombinationen erschaffen, die heutzutage beinahe fetischisiert wirken. Die Flöte als Ausdruck von Zartheit, die Harfe als Inbegriff von Weiblichkeit und Anmut, die Celesta für das Himmlische… Schönheit an der Grenze zum Kitsch, könnte man meinen. Aber programmatisch passt es perfekt.

Foto: Venus. Credit NASA/JPL-Caltech

Merkur ist in diesem Kontext ein etwas eigenartiges Gebilde. Die Musik, die Holst dem „Himmelsboten“ zugeschrieben hat, will so gar nicht zu dem Höllenplaneten passen, den Merkur in der Realität darstellt. Viel eher saust und blitzt es durchs Orchester. Fast schon hektisch steigen die Instrumente immer wieder in die Höhe auf. Tatsächlich wirkt es häufig wie Stückwerk, was er hier aneinanderreiht. Auch wenn es Holst ihn zu einem pathetischen Ausbruch führt, der schnell aber wieder dem hektischen Treiben weicht.

Beim Jupiter – Bringer der Freude – begegnen einem erneut Klänge, die man aus anderen Kontexten kennen könnte. Neben dem Mars wird dieser Satz nämlich meisten rezipiert, was wohl an seinen Fanfarenmotiven in Abwechslung mit tänzerischen Zwischenpassagen liegen mag. Holst füllt hier fast 8 Minuten Musik mit einem heiteren Treiben, das mit all seinen Akzenten wie eine musikalische Party wirkt. Glockenspiel und Tamburin sorgen hier für helle Momente, während volle Bläser- und Streichersätze zur Mitte in regelrechten Pathos ausbrechen, der stellenweise an Ravels Orchesterfassung von Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ erinnert.

Für Saturn – den Uralten – greift Holst erneut tief in die Trickkiste. Diese Passage baut er auf einem einfachen Intervall – der in Sekundsprüngen abwärts geführten Quarte – auf, das die ganze Zeit als Grundlage dieses Satzes fungiert. Besonders die tiefen Klangfarben von Bassflöte, Bassoboe und Pedaltönen der Orgel erzeugen hier zu den Schlägen der Glocken einen archaischen Ausdruck, der in seiner Tiefe aber durchgängig verzaubern kann. Ein absolut faszinierendes musikalisches Gebilde.

Foto: Saturn. CREDIT NASA/JPL-Caltech

Diesen Eindruck des Archaischen rettet Holst auch in seinen nächsten Satz – aber mit gänzlich anderen Mitteln. Uranus – der Magier – tanzt wie auf einem Berg von Knochen auf dem Xylophon umher. Dieser impulsive und ungelenkt wirkende Satz mit seinem Eingangssignal kann den Ausdruck mystischer Beschwörungsrituale eindrucksvoll widergeben. Auch wenn er dabei schon ab und an ein wenig ans Karikative grenzt – man fühlt sich an Paul Dukas’ Zauberlehrling erinnert –, so sind die Assoziationen doch sehr klar und musikalisch auch hier überzeugend umgesetzt.

Der letzte von Holst komponierte Satz widmet sich Neptun, dem Mystiker. Und auch die hier erscheinenden Klangfarben eröffnen einen neuen Eindruck. Man erkennt Stilmittel der Venus immer mal wieder, aber in abgeklärter, entrückter Form. Zu Schönheit und Anmut begeben sich hier auch Weitblick und Erkenntnis, die Holst durch einen musikalischen Trick deutlich macht: Einen hinter der Bühne versteckten und oft in mehrere Teilchöre geteilten Frauenchor. Dieser Effekt aus der Ferne in Ergänzung zu den in die Tiefe gehenden Bläserakkorden und tanzenden Figuren der Celesta vermittelt zum Schluss einen ganz speziellen Eindruck. Gleichzeitig bildet er so auch die Assoziation zu den endlosen Weiten des Weltraums.

Mit diesen 7 Sätzen hinterließ Holst eine beeindruckende Suite. Aber so, wie auch unser astronomisches Wissen immer ein Kind seiner Zeit und der technischen Möglichkeiten ist, ist es auch diese Musik. Holst kannte zum Zeitpunkt seiner Komposition nicht das komplette Sonnensystem. So ist es kein Wunder, dass Pluto bei ihm fehlt. Ein Mangel, der mit der Entdeckung des einstigen Planeten, der heute nur noch als Zwergplanet gezählt wird, aber offenkundig wurde. In der Folge gab es mehrere Korrekturansätze. Am bekanntesten dürfte wohl der von Colin Matthews sein. Sein Satz „Pluto der Erneuerer“ wurde 2000 von Kent Nagano, der ihn auch in Auftrag gegeben hatte, uraufgeführt und von weiteren namhaften Dirigenten, wie bspw. Sir Simon Rattle bereitwillig aufgenommen und verbreitet.

Und bei Pluto endete die Erweiterung der Suite nicht. So verbreitete Sir Simon Rattle beispielsweise weitere Sätze über die Asteroiden Toutatis, Osiris, Komarov’s Fall und den Zwergplaneten Ceres. Im Jahr 2014 wurde von Clément Mepas sogar der ergänzende Satz „Erde“ komponiert und in die Suite mitaufgenommen. Es scheint also, als wäre dieses von Gustav Holst begonnene Projekt in sich selbst bereits eine Quelle neuer Schöpfungskraft und kreativer Auseinandersetzung geworden, die wohl auch noch eine ganze Zeit lang nicht abgeschlossen sein dürfte.

Gustav Holsts Suite „Die Planeten“ ist damit eines jener Musikstücke, das nicht nur für sich genommen stets beeindrucken kann. Sondern eines, an dem es auch immer wieder neues zu entdecken und zu ergänzen gibt. Der Reiz – neben der absolut faszinierenden Musik – ist damit auch der Ausblick darauf, was wir Menschen sonst noch erkennen und erreichen können. Ich jedenfalls schätze Gustav Holsts „Die Planeten“ deshalb sehr und möchte sie auch jedem als Werk sehr ans Herz legen.

Daniel Janz, 8. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.

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