Meine Lieblingsoper 29: Lucia di Lammermoor von Gaetano Donizetti

Meine Lieblingsoper 29: Lucia di Lammermoor von Gaetano Donizetti

Foto: Joan Sutherland als Lucia di Lammermoor.*

Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.

von Dr. Ralf Wegner

Ende der 1960er Jahre hörte ich erstmals im Radio eine in Australien geborene Sopranistin, die über eine weiche, farbenreiche, extensive, in den Koloraturen glockenklare Stimme verfügte und auf langem Atem perlengleiche Töne zum Klingen brachte. Es war Joan Sutherland. Sie war damals berühmt für die großen Partien des Schöngesangs, vor allem als Donizettis Lucia di Lammermoor. 1969-71 war es dem damaligen Intendanten Rolf Liebermann gelungen, sie an die Hamburgische Staatsoper zu engagieren, auch als Lucia. Leider konnte ich sie damals nicht hören, was ich noch Jahre später bedauerte.

Sutherlands Radio-Lucia führte mich am 21. November 1971 schließlich doch noch in die Oper, zumal ihr Bühnenpartner geblieben war: der 35-jährige Luciano Pavarotti. Er sang einen unvergleichlichen Edgardo, seine Lucia war die um ein Jahr ältere Renata Scotto. Giuseppe Patané dirigierte, Norman Mittelmann sang Lucias Bruder Edgardo und Kurt Moll Lucias Erzieher Raimondo Bidebent. Es war eine maßstabsetzende Aufführung mit einer sehr dramatischen, sich nicht nur auf Schöngesang kaprizierenden Lucia.

Wenig später erlebte ich die holländische Koluratursopranistin Cristina Deutekom als Lucia, habe mir aber sonst nichts von dieser Aufführung notiert. Eine bewunderungswürdige Lucia war 1979 die argentinische Sängerin Adelaide Negri, als deren Partner ihr José Carreras zur Seite stand. Er sang auch zwei Jahre später den Edgardo und wuchs neben Edita Gruberovas Lucia über sich hinaus. Gruberovas Glockenton flutete den Saal und berauschte das Publikum.

Edita Gruberova. © Franz Johann Morgenbesser from Vienna, Austria / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)

In einer Jahre später geplanten Aufführung sollte sie wieder die Lucia singen, sagte die Rolle, wie man hörte, aber ab. Sie soll mit der Regie von Oliver Tambosi nicht einverstanden gewesen sein. Soweit ich mich erinnere, wurde Lucia auf dem Boden liegend eine Art Vergewaltigung zugemutet. Die in dieser Inszenierung 1998 und 1999 gesehe­nen Sängerinnen Giusy Devenu und Brigitte Hahn waren nicht so berühmt, um sich dieser Zumutung widersetzen zu können.

Eine ähnlich missglückte Inszenierung sahen wir 1986 in der Bastille-Oper in Paris. Andrei Serban hatte sich ein Einheitsbühnenbild ausgedacht, welches dem Inneren einer Schwimmhalle ähnelte. Sumi Jo war Lucia, Franco Lopardo Edgardo und Roberto Frontali ein etwas schwächerer Edgardo, vergleichbar José Bros, der diese Partie später in der Hamburger Tambosi-Inszenierung auszufüllen hatte.

Zurück zum Jahr 1987, offenbar war die alte, dem Sujet angemessene Lucia-Ausstattung von Jürgen Rose nicht mehr zu gebrauchen, deswegen konzertierte die Hamburgische Staatsoper in der Musikhalle. June Anderson war eine großartige Lucia, ihr zur Seite standen Piero Cappuccilli als Enrico und Luis Lima als Edgardo, beide ebenfalls in Hochform.

Lange Zeit war Lucia vom Spielplan verschwunden, bis sich 2010 Simone Young diesem Werk annahm, wohl weil sie eine geeignete Lucia im eigenen Ensemble wusste. Die Inszenierung überließ sie Sandra Leupold, das Bühnenbild schuf Stefan Heinrichs. Auf ein schottisches Schloss wurde verzichtet, die Regisseurin verlegte die Handlung auf eine Opernhinterbühne, auf der sich das historisch gekleidete Personal zwischen den Dekorationsbestandteilen zurechtzufinden hatte.

Mit der Zeit sieht man sich ein, abstrahiert und findet sich gedanklich in Schottland wieder. Leider hatte es sich Frau Leupold zur Aufgabe gemacht, dieses Sichhineindenken immer wieder mit diversen Mätzchen zu durchbrechen. So werden einem männlichen Schauspieler anfangs die Kleider vom Leib gerissen, bis er sich, nun nackt, verschämt nach hinten verdrückt. Später klettert eine Schauspielerin auf das Himmelbett des Brautpaares und führt dort den Tanz einer Verrückten auf. In den ersten Aufführungen mussten Lucia und Edgardo beim Liebesduett zudem einen Palmen-bestandenen Wagen nach vorn ziehen, die Palmen von hinten besteigen und sich auf schwankendem Podest zur Belustigung oder, wie man es nimmt, auch zum Ärgernis des Publikums oben um sicheren Halt bemüht, ansingen. Eine Gruberova hätte sich sicherlich auch einer solchen Zumutung entzogen.

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Simone Young stand mit der südkoreanischen Sopranistin Ha Young Lee (2010) eine spielerisch und gesanglich ausgezeichnete Lucia zur Verfügung, mit allerdings weniger überzeugenden Protagonisten des Edgardo. Neben Frau Lee reüssierte auch Elena Mosuc (2010) als Lucia, mit einem gesanglich deutlich besseren Partner, dem polnischen Tenor Piotr Beczała. Alexander Tsymbalyuk beeindruckte mit balsamischem Bass als Raimondo Bidebent, George Petean war Lucias Bruder Enrico. 2013-2017 übernahm Katerina Tretyakova die Rolle der Lucia. Ihre Stimme war mir, bei allem technischen Können, zu wenig warm und manchmal, in den dramatischeren Passagen der ersten Arie, auch zu nah am Rand der Schärfe. Das Leiden der empfindsamen Seele stellte sie nicht so sehr wie ihre großen Vorgängerinnen mit Klang, sondern eher technisch mittels dynamischer Abstufungen ihrer strahlkräftigen Stimme und natürlich schauspielerisch dar. Ihre Gesamtleistung war aber in 0rdnung.

Als Edgardo stach seit 2010 neben Piotr Beczala nur ein Sänger heraus, der 57-jährige mexikanische Tenor Ramón Vargas (2017). Seine Stimme klang noch überraschend jung, mit immer noch schöner Mittellage und vielleicht etwas nachlassendem Glanz in der Höhe. Die tenoralen Glanzleistungen eines Luciano Pavarotti oder, mit leichten Abstrichen, eines José Carreras als Edgardo wurden aber, trotz Lima, Vargas und Beczala, nie wieder erreicht.

Ralf Wegner, 13. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Ralf Wegner

* Beitragsbild: © Vanilafeel / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

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