Meine Lieblingsoper (43): "Lohengrin" von Richard Wagner

Meine Lieblingsoper (43): „Lohengrin“ von Richard Wagner

Klaus Florian Vogt als Lohengrin. Foto: © Holger Voigt

Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner und Klassik-Connaisseur Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.

von Ralf Wegner

Wunder gibt es immer wieder. Offenbar auch heutzutage noch, wie Katja Ebstein 1970 beim Grand Prix in Amsterdam verkündete. Immerhin erreichte sie damit den dritten Platz. Wie lange halten aber Wunder? Bei Elsa offenbar nur einen Tag. Schon in der Hochzeitsnacht erträgt sie ihr Wunder nicht mehr und verlangt Aufklärung. Mit einem Wunder will sie nicht leben; aus Vertrauen wird Misstrauen. Es ist auch eine Zumutung, was ihr Held ihr auferlegt.

Elsa ist eine Betrogene, wie Telramund. Sie werden behandelt, sie handeln nicht. Beide erliegen einem Trugbild. Mehr noch der arme Telramund als Elsa, denn diese greift mit ihrer Frage in der Hochzeitsnacht das Geschehen vorwärts treibend ein.

Die eigentlich Handelnden sind Ortrud und Lohengrin, sie durchschauen sich, agieren gleichrangig. Wenn Ortrud den kleinen Gottfried, den designierten Herrscher von Brabant, in einen Schwan verwandelt, ist das durchaus gleichrangig mit Lohengrins Eingreifen in das Gottesurteil. Beide sind keine Mörder, Ortrud hätte Gottfried auch einfach ertränken können; dann hätte Lohengrin wohl auch den ebenfalls unschuldigen Telramund getötet.

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Warum aber muss Lohengrin seine Herkunft verleugnen? Vielleicht wäre sonst das Wunder am Gotteskampfplatz an der Schelde nicht möglich. Der Glaube an das Wunder fällt Telramund, so wie ein Nocebo (Placebo mit der Suggestion einer schlechten Wirkung) durchaus eine Krankheit verursachen oder zumindest verstärken kann.

Telramund verliert, weil auch er der Macht des Wunderglaubens erliegt, nicht wegen seiner Kampfesschwäche. Ortrud denkt weiter, sie will ein freies Friesland, ihre alten Sitten und Gebräuche erhalten wissen. Sie will sich nicht dem alles vereinenden neuen Glauben unterwerfen. Schlau ist sie, darin wohl sogar Lohengrin überlegen. Sie hat ja Gottfried zudem nur verwandelt, die Opferung der alten Freundin Elsa erfolgt durch den neuen Staat, indirekt wegen ihrer Anklage. Ortrud durchschaut das Spiel und gibt nicht auf. Sie entzaubert Telramunds Wunderglauben und schickt ihn, den noch nicht völlig Überzeugten, damit im dritten Aufzug in den Tod.

Der Sänger des unterliegenden Telramund hat es schwer, in dieser Oper gesanglich Format zu gewinnen. Er wird von dem Orchester dominiert, wirklich Dramatisches oder Melodisches hat Wagner ihm nicht gegönnt. Wenn aber jemand wie Wolfgang Koch (2013-2019, Hamburgische Staatsoper) als Telramund besetzt ist, kann die Anfangsszene Telramund/Ortrud im zweiten Aufzug zum Zentrum der Aufführung werden, eine entsprechende Ortrud vorausgesetzt.

Richard Wagner, Lohengrin, Bayreuther Festspiele, 29. Juli 2019

Kochs auftrumpfend kräftiger, nicht vibratogetrübter Bariton passte perfekt, dazu überzeugte er sänger-darstellerisch wie kein anderer von mir gehörter Telramund. 2013 war Katja Pieweck seine Ortrud. Mit modulationsfähiger silbriger Mittellage sang sie überragend, blieb stimmschön, gleichzeitig stimmstark und interpretierte ihre Rolle mit von Innen kommendem Ausdruck. So eine hervorragende Ortrud hörte ich auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper nur noch zwischen 1993 und 2000: Es war Eva Marton, deren Aura sich dem Publikum auch ohne Aktion oder Gesang unmittelbar mitteilte (1993 hatte sie noch Elsa gesungen).

Auch andere Sängerinnen wie Irene Dalis, Naděžda Kniplová, Rose Wagemann, Eva Randová oder Tanja Ariane Baumgartner sangen die Partie der Ortrud herausragend, ohne allerdings an die Ausdruckskraft der beiden Vorgenannten heranzureichen. Das zeigte sich auch an dem Beifall am Ende der Aufführung vom 22.12.2013, der für Katja Pieweck überwältigend war, und das angesichts ebenfalls hervorragenden Protagonisten wie Georg Zeppenfeld als König Heinrich, Stephen Gould als Lohengrin, Emma Bell als Elsa, Jan Buchwald als Heerrufer und, bereits erwähnt, Wolfgang Koch als Telramund. Simone Young führte das Philharmonische Staatsorchester damals zu Höchstleistungen.

Mein erster Lohengrin war Jean Cox (1966, 1968), danach folgte Sven Olof Eliasson (1968, 1974). An beide erinnere ich mich nicht mehr, allerdings an einen guten Ruf, der dem letzteren Tenor vorausging. René Kollo sang 1977 einen überragenden Lohengrin, seine Elsa war, ebenfalls grandios, Catarina Ligendza. Horst Stein dirigierte, Kurt Moll sang König Heinrich, Franz Grundheber den Heerrufer, Ursula Schröder-Feinen war Ortrud, Siegmund Nimsgern Telramund.

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1978/82 überzeugte Peter Hofmann schon allein von seiner Erscheinung her als vom Gral gesandter Held. Anna Tomowa-Sintow (1982) sang seine Elsa, Oskar Hillebrandt war ein sehr guter Telramund und Rose Wagemann die bereits erwähnte, ebenfalls ausgezeichnete Ortrud. Die Aufführung wurde kompetent von Heinz Fricke geleitet, ergänzt seien noch Peter Meven als ausgezeichneter König Heinrich sowie wieder Franz Grundheber als nicht minder guter Heerrufer.

Beide vorgenannten Aufführungen gelangen auch wegen der klassischen Inszenierung von August Everding und der traumhaften Bühnenbilder des genialen Jürgen Rose. Die vorhergehende, etwas kargere Inszenierung stammte noch von Wieland Wagner. 1998 premierte unter Ingo Metzmacher die jetzt immer noch gespielte Fassung, die manchen verstörte, mich aber letztlich überzeugte: Der Schulklassen-Lohengrin von Peter Konwitschny. Ich war in der B-Premiere. Die Besetzung war insgesamt gut, aber von Eva Marton als Ortrud und Inga Nielsen als Elsa abgesehen, nicht mehr mit den vorgenannten vergleichbar. Vielleicht ist es nicht ganz einfach, für eine abseits des Herkömmlichen angesiedelte Inszenierung prominente Sängerinnen und Sänger zu gewinnen.

Richard Wagner, Lohengrin, Staatsoper Hamburg, 22. Dezember 2019

Eines gelang jedoch häufiger, den mit einer engelsgleichen Stimme gesegneten Klaus Florian Vogt zu engagieren (2009, 2019; 2012 auch in München). Seiner Stimme fehlt zwar der Farbreichtum, um allein damit die Rolle zu gestalten. Vogt sang aber zum Hinschmelzen schön. Seine silbrig-helle Stimme klang wie vom Himmel kommend, um auf Erden Wunder zu bewirken. So stellt man sich einen Engel vor, der sich anschwärmen lässt, wie es die als Schülerinnen und Schüler gewandeten Choristen vorspielten. Mit Vogt war Konwitschnys Inszenierung mit einem Mal wieder stimmig, auch wenn der am Ende mit einem Gewehr aus dem Untergrund hochfahrende Gottfried Manchen wohl immer noch irritiert. Aber auch das passt, schließlich kam König Heinrich nicht nach Brabant, um Elsa beizustehen, sondern um Soldaten für den Krieg zu requirieren.

Ralf Wegner, 9. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Ralf Wegner

7 Gedanken zu „Meine Lieblingsoper (43): „Lohengrin“ von Richard Wagner“

  1. Lohengrin/ Vogt: Ich lese es erst jetzt, muss mich aber doch echauffieren:
    Engelsgleiche Stimme. Ja, geschlechtslos. Über Wien schrieb man gerade, Vogt habe den Heldenton getroffen. Mir scheint, alle Ohren sind defekt.
    Es ist mir seit Jahren unerklärlich, wie der Tenor Vogt, mit seiner Knabensopranstimme aufsteigen konnte bis an die besten Häuser. Die Stimme ist weiß, hat keinen Farbe, richtig Herr Wegner, keinen Biß eben, keine Brustresonanz. Vogt singt in der Kehle und im Kopf, eine Verankerung nach unten gibt es nicht. Selbst wenn man den Lohengrin als ätherisches Wesen bezeichnet, das aus dem Nirgendwo kommt, so muss doch angesichts der phantastischen Komposition mehr Virilität, leichter Spinto, etc. verlangt werden.
    Nie würde ich für diese Knabenstimme einen Euro ausgeben. Was man Herrn Vogt zugute halten muss ist seine Diktion, man versteht jedes Wort, sein wagnereskes Aussehen und bedingt sein Spiel.
    Man höre sich Sándor Kónya an, dann weiß man was vom Lohengrin verlangt wird. Er ist bis heute unerreicht und hat den Maßstab gesetzt. Und er traf das Italienische in der Partitur.

    Robert Forst

    1. Nein, ist sie nicht. Nur haben die Leute, die bei Vogt den Kopf schütteln oder einen Lachkrampf bekommen (geht mir jedenfalls so), es längst aufgegeben sich zu äußern. Was zusätzlich stört, ist seine langweilige (eigentlich kaum vorhandene) Interpretation, natürlich auch Folge der Stimme. Alles wird brav heruntergesungen, und was man bei „Lohengrin“ stimmlich noch irgendwie argumentieren könnte, wird doch bei anderen Wagner-Rollen (etwa Siegmund) schlicht lächerlich. Was aber nie erwähnt wird und scheinbar niemanden stört, ist sein extrem kurzer Atem. Er kann keine langen Phrasen singen, sondern muss ständig zwischenatmen. Dadurch entstehen oft sinnstörende Pausen im Text, so dass es scheint, als verstünde er nicht, was er singt. Oder ein besonders krasses Beispiel einer den Fluss störenden Zwischenatmung: „Fidelio“, Auftrittsmonolog Florestan, die Silbe „Lei“ im Wort „Leiden“ über 8 Noten kann er nicht auf einem Atem singen, er muss in der Mitte absetzen, Luft holen und dann fertig singen! Ich kenne das von keinem Spitzensänger. Ich kenne auch in meinem gesamten Bekanntenkreis niemanden, der Vogt etwas abgewinnen kann.

      Simon Mortena

      1. Wie es ist, wenn Vogt den Siegmund singt. Keine Ahnung, noch nicht gehört. Kann es mir aber schwer vorstellen, um ehrlich zu sein. Allerdings möchte ich nicht vorgreifen, nur aufgrund von Spekulationen. Als Lohengrin haben viele eine derartige Stimme bis vor kurzem auch für undenkbar gehalten.

        Als Florestan geht er allerdings überhaupt nicht. Da bin ich gleicher Meinung. Ganz klar eine Fehlbesetzung. Da bevorzuge ich noch immer die Aufnahme, die es von Jonas Kaufmann gibt. Der wird an der Bayerischen jetzt übrigens den Tristan singen. Man darf gespannt sein…

        Zu Vogt: Dass er keine Brustresonanz habe, wie Sie meinen, Herr Mortena, halte ich für ein Gerücht. Er mischt Kopf- und Bruststimme. Und er stützt enorm gut! Deswegen hat er Kraft und Durchhaltevermögen. Was ihm „fehlt“ und was viele bemängeln, ist das Metall.

        Jürgen Pathy

        1. Die fehlende Brustresonanz hat Herr Forst moniert.
          Mir fehlen weniger das Metall als der Ausdruck, die Fülle und die Farben in der Stimme. Machen Sie jedenfalls einen Bogen um seinen Siegmund, Parsifal und Tannhäuser.

          Simon Mortena

  2. Lieber Herr Wegner,

    Sie schreiben, wenn die Besetzung des Telramunds gelingt, könne die Anfangsszene im zweiten Aufzug zum Zentrum der Aufführung werden. Da stimme ich zu!

    Ich möchte sogar behaupten, ab diesem Zeitpunkt beginnt das ganze Drama musikalisch erst interessant zu werden. Das ist meine Lieblingsstelle. Zumindest aktuell. Nicht nur im Lohengrin, sondern überhaupt im Wagner’schen Oeuvre. Für mich gibt es mit Ausnahme des dritten Akts Tristan und des ersten Akts Walküre wenig, ​was mich derart in seinen Bann zieht. Wenn da ein genialer Maestro am Pult steht, der weiß, wann er die Zügel mal etwas lockerer lassen kann, dann kann das orchestral gewaltig werden. Erst vor wenigen Tagen an der Wiener Staatsoper erlebt. Am Pult: Cornelius Meister.

    Der erste Akt hingegen langweilt mich meist sogar. Nicht, weil die Partitur nichts hergibt – die ist sensationell -, sondern, weil vieles oft misslingt. Selbst an der Wiener Staatsoper, wo den Maestros das beste Opernorchester der Welt zu Füßen liegt. Vor allem das Vorspiel wird oft in den Sand gesetzt. Das sollte eigentlich den Zauber des Grals vermitteln, stattdessen herrscht meistens Unruhe und Nervosität. Im Publikum, als auch im Orchestergraben. Das spiegelt sich in der Musik. Ein Dilemma. Spitzzüngig wie er ist, schreibt Christian Thielemann in Anbetracht dessen sogar, er hätte es manchmal lieber, wenn das Vorspiel nicht gleich zu Beginn wäre, sondern etwas später.

    Dann wäre da noch die Elsa. Die ist im ersten Akt auch nicht zu beneiden. Sollte gleich zu Beginn feine Töne singen, zart und innig. Ebenso schwer umzusetzen. Habe bislang nur selten eine Elsa gehört, zumindest live, die das schafft.

    Zu Vogt: der ist aktuell DER Lohengrin schlechthin!

    Liebe Grüße
    Jürgen Pathy

  3. Um Gottes willen, Herr Pathy, Vogt betreffend, da stellen sich mir die Nackenhaare auf. Sándor Kónya, René Kollo, Peter Hofmann, Piotr Beczała, James King etc.
    Sie haben die Stimme oder gehabt die nötig ist für diese anspruchsvolle Rolle. Allen voran Sándor Kónya. Vogt gefällt vielleicht alten Damen und Kirchenchormitgliedern.
    Sorry, aber eine Stimme ohne jeden Körper braucht niemand.
    Franco Bastiano Paris V.

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