Dies ist der leiseste Beethoven, der mir je zu Ohren kam

Orchestra of the Age of Enlightenment, Sir András Schiff Elbphilharmonie, 24. Mai 2022

Foto: © Daniel Dittus

Elbphilharmonie, 24. Mai 2022

Orchestra of the Age of Enlightenment
Sir András Schiff

Ludwig van Beethoven (1770–1827)

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll op. 37 (1802)
Allegro con brio  Largo
Rondo: Allegro

Joseph Haydn (1732–1809)

Sinfonie Es-Dur Hob. I:99 (1793)

Adagio – Vivace assai Adagio
Menuetto. Allegretto Finale: Vivace

Pause

Ludwig van Beethoven

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58 (1806)
Allegro moderato Andante con moto Rondo: Vivace

von Harald Nicolas Stazol

Wenn man heute von einem Anschlag schreibt, befürchtet man immer das Schlimmste. Doch einen zarteren werde ich wohl nie wieder hören, den des András Schiff nämlich, vom Klavier aus dirigierend, wie Beethoven es tat. Zwei Klavierkonzerte des Genies an einem Abend.

Nur ohne Klavier.

Wie bitte?

Das 5., „Emperor“ genannte, weil Ludwig van Beethoven es Kaiser Napoleon widmete?

Denn tatsächlich: Auf der Empore steht ein Instrument, zwar mit Tasten, und der Form nach eindeutig ein Tasteninstrument in hellbraunem Nußholz, das fällt schon auf, während man noch die Plätze einnimmt – auch fällt auf, dass nur wenige Pulte aufgestellt sind, denn dieses wahrhaft elitäre „Orchestra of The Age of Enlightenment“, das 1986 in London gegründete Ensemble der Aufklärung, ist klein-fein, und wie oft hat man den Namen schon auf NDR Kultur gehört, und immer „unter Sir András Schiff“. Und wahrlich, da ist er, silberhaarig, von unglaublicher Präsenz, doch da spricht er schon, der Ungar: „Es ist schön, endlich wieder vor einem vollbesetzten Haus spielen zu können“ (das hat er gerade in der Wigmore Hall auch gesagt) jajaja, aber wo ist das Klavier?

„Ich habe zu meinem Entsetzen gesehen, dass im Programmheft Piano steht, (Ups), nun dies ist ein Fortepiano“, genauso sagt er es, meint er Pianoforte?, „ein Instrument, wie es Beethoven selbst gespielt hat“ also à l’époque, man wird sich bald in einem Salon der Biedermeiers finden, „erwarten Sie also bitte nicht den vollen Klang eines Steinway“, naja, das sagt sich so leicht, ich habe ziemlich „Great Expectations“ an Sie, Sir András, um mit Charles Dickens  zu sprechen, gelten Sie doch als der größte lebende Pianist, und nun dirigieren Sie, Sir, auch wie Beethoven, vom Pianoforte-Sessel aus, der sich also nicht unterscheidet, genau, wie Ludwig van es tat.

Und dann kommt er, der Anschlag. Ich sah ihn zunächst in Tokio 2012, „mit dem zart- zärtlichsten Anschlage, dessen ich gewärtig“, schreibe ich meinem besten Freund, der en famille im Hôtel d’Angleterre in Rom residiert, in Rufweite der Spanischen Treppe, aber ich bin überhaupt nicht neidisch gerade…

Man muss zu dem antiken Instrument sagen, vielmehr ALLEN antiken Oboen, Hörnern, – wussten Sie, dass der Pauker, (der PaukIst), 2×8 Schlegel hat bei Haydn, und drei Pauken? Sie sind für den leis-fragilsten Thone verantwortlich. Ganz unterschieden von einem Bernsteinschen Donner in der „Ode an die Freude“, die in der Lautheit der gegenwärtigen Welt zupass kommen wird, aber eben jener geschuldet: Beethoven war leise und zart: Klingt das Pianoforte, das wegen seines Elfenbeins „keine Grenzen mehr überschreiten kann“ – was die Herkunft des Vorhandenden nur mit der Instrumentenkammer des „Museums für Kunst und Gewerbe“ erklären lässt, – es sei denn, die Aufklärer hätten geschmuggelt.

Haydn, der für mich aus unerfindlichen Gründen Unentdeckte, eines der Oratorien kannte ich, die Symphonie Es-Dur Hob. 1.99, (1793) nicht. Nun also, dank Schiff, nun am Notenpult, vorher und nachher beim 4. Klavierkonzert Ludwig vans, fährt der große Maestro doch bei Ludwig in einer Bewegung, die dem Absteigen von einer Harley, nun gut, dem eines Hollandrades gleicht: Hat er doch zwischen zwei ultraschnellen Soli in der Partitur nur eine halbe Minute sein Orchester in Form zu bringen, eines Orchesters, dessen es in Form zu bringen es meiner Ansicht nach gar nicht bedarf. Dann zurück, im nächsten Solo.

Dies ist der leiseste Beethoven, der mir je zu Ohren.

In der Pause allgemeine Ergriffenheit und Hochachtung. Ich strebe zum Platz zurück zumal vor der Zeit, und sehe mit einigem Interesse dem Klavierstimmer zu, der die im Unterschied zum Flügel überkreuz gespannten Saiten an einem Wald von Zargen mithilfe eines digitalen Frequenzmessers stimmt, und in Anordnung wohl nach vorne bringt, für Beethovens Viertes.

(c) Daniel Dittus

Hat Schiff nicht schon eingangs gesagt, „ich vertraue meinem Orchester, die sehr erfahren sind in alter Musik“, und man sieht die gedrechselten, alten Oboen – die Geigen blieben ja in ihrer Bauart nach Bach gleich, – und Flügelhörnern ohne Tasten, nur mit weiterem, goldglänzenden Einsatz, – sie dürften zur Zeit die Besten sein. Schiff lässt sie danach einzeln aufstehen, der Saal auch, samt jenem, der in kurzem Hemd kommt – ich nutze mein Opernglas inzwischen wie die Marquise de Vermeuil in den „Liaisons dangereuses“, jede Loge beobachtend.

Kurzum:

Wenn jemand die Erhebung in den Adelsstand erhoben zu sein war, dann Sir András Schiff.

Harald Nicolas Stazol, 25. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Kirill Petrenko und András Schiff mit Werken von Brahms und Suk, Philharmonie Berlin, 11. Februar 2022

Sir András Schiff, Cappella Andrea Barca, Mozart, Schubert Wiener Konzerthaus, 4. November 2021

Sächsische Staatskapelle Dresden, András Schiff, Myung-Whun Chung, Kulturpalast Dresden, 22. September 2020

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