Sol Gabetta, Klaus Mäkelä und die Philharmoniker aus Oslo reißen das Publikum in Dortmund von den Sitzen

Oslo Philharmonic, Sol Gabetta, Cello, Klaus Mäkelä, Dirigent  Dortmund, Konzerthaus, 18. November 2022

Oslo Philharmonic, Klaus Mäkelä / Fotos: Brian Cooper

Der lange Konzertabend im Ruhrgebiet bestätigt den bereits in Hamburg gewonnen Eindruck, dass wir es hier mit einem europäischen Spitzenorchester zu tun haben. Mit einem Dirigenten, Klaus Mäkelä, der ganz zweifellos eine große Zukunft vor sich hat. Und mit einer herausragenden Solistin Sol Gabetta, die auf dem Cello offenbar einfach alles kann. Wohl jenen, die das Oslo Philharmonic auf der jüngsten Europatournee ein Stück des Weges begleiten durften.

 

Igor Strawinsky (1882-1971) – Divertimento aus Le baiser de la fée

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) – Cellokonzert Es-Dur, op. 107

Jean Sibelius (1865-1957) – Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 43

Oslo Philharmonic
Sol Gabetta, Cello
Klaus Mäkelä, Dirigent

Dortmund, Konzerthaus, 18. November 2022

von Brian Cooper, Bonn

Eine gute Nachricht vorweg: Die Elbphilharmonie und das Dortmunder Konzerthaus waren nahezu ausverkauft. Die Menschen wissen halt, was gut ist – und was sie vom Oslo Philharmonic durchaus erwarten dürfen.

Und nach der guten folgt nun nicht etwa eine schlechte, sondern eine noch bessere Nachricht: Beide Konzerte waren großartig, in Hamburg wie in Dortmund. Von letzterem Abend, der vorletzten Station auf dieser jüngsten Europatournee (neben Hamburg und Dortmund gastiert(e) das Orchester auch in München, Antwerpen und Wien), soll hier in erster Linie berichtet werden.

Das Publikum im Ruhrgebiet kam nun in den Genuss, zumindest eine der sieben Sinfonien von Jean Sibelius zu hören, nämlich die Zweite, nachdem man ja Ende Mai bzw. Anfang Juni den gesamten Zyklus aller Sinfonien des finnischen Komponisten an drei Abenden in Hamburg gegeben hatte – ein Ereignis, das ich leider verpasst habe, das auch in diesem Blog hymnisch besprochen wurde und von dem ein Konzertfreund ebenfalls in den höchsten Tönen schwärmte.

Die Zweite von Sibelius ist neben der Fünften mit Abstand seine populärste Sinfonie, und nachdem ich sie jahrelang nicht live gehört hatte, durfte ich sie binnen neun Tagen gleich zweimal erleben. Zunächst hatte es in Köln eine sehr gute Darbietung mit dem Philharmonia Orchestra unter Santtu-Matias Rouvali gegeben; in Dortmund nun spielten nun die Osloer das Werk unter Rouvalis finnischem Landsmann Klaus Mäkelä, der seit drei Jahren in Oslo Chef ist.

Und auch wenn es in Köln schon hervorragend war, so waren es in Dortmund gleich ein, zwei Stufen mehr auf der Beaufortskala. Insbesondere der Schluss, den man getrost als Apotheose in D-Dur bezeichnen darf, fegte über einen hinweg wie ein scharfer Nordwind. Das Ganze kam sogar noch eine Spur leidenschaftlicher und elektrisierender rüber als in Köln.

Fotos: Brian Cooper

Vor Jahren hatte ich das erste Orchester der norwegischen Hauptstadt bereits in Köln und Oslo unter Vasily Petrenko gehört, und es bestätigte hier einmal mehr, dass es wahrscheinlich nicht nur in Europa zu den absoluten Spitzenformationen gehört. Das ist nicht zuletzt das Verdienst von Mariss Jansons, dessen Tschaikowsky-Zyklus (bei Chandos erschienen) zu den besten auf dem Markt erhältlichen CD-Einspielungen zählt. Die Sechste des Russen, die Pathétique, stand übrigens in den anderen Städten auf dem Programm; ich hätte sie gern gehört, aber man kann nicht alles haben.

In seiner dritten Osloer Saison hat Klaus Mäkelä mit seiner ersten CD-Produktion alle sieben Sinfonien von Jean Sibelius eingespielt. Ich kenne sie noch nicht, aber im Livekonzert klingt das Orchester warm, es hat hervorragende Solisten, und es klingt auch im Kollektiv überwältigend. Die pizzicati der achtköpfigen Bassriege zu Beginn des zweiten Satzes beispielsweise kann man nicht perfekter spielen.

Vorweg gab es Igor Strawinskys Le baiser de la fée, bzw. die daraus vom Komponisten zusammengestellte viersätzige Orchestersuite. Warum zum Teufel wird das nicht häufiger aufgeführt? Es ist ein grandioses Stück, irgendwo zwischen Tschaikowsky und Bernstein, aber es ist unverkennbar Strawinsky, und zwar in seiner neoklassizistischen Phase.

Meines Erachtens ist das Werk mindestens mit Petruschka gleichzusetzen; es hat vertrackte Rhythmen, zwischendurch aber auch eine Walzerseligkeit, die gern mal in eine trunkene Rutschpartie abgleitet. Die Solo-Flöte zu Beginn setzte die Messlatte für den gesamten Abend sehr hoch. Und dieses Niveau wurde gehalten. Das Hörnerquartett spielte um sein Leben, und das Solistenquartett an den vorderen Pulten um die fabelhafte Konzertmeisterin Elise Båtnes, früher Konzertmeisterin der WDR-Sinfonieorchesters, spielte zuckersüß.

Vor der Pause wurde, wie in Hamburg, das erste Cellokonzert von Dmitri Schostakowitsch gespielt, mit Sol Gabetta als Solistin. Deren Spiel ist zupackend, sie kann einfach alles am Cello, die Doppelgriffe sitzen, die Flageolett-Passagen faszinieren, und wie sie ihr Vibrato dosiert, diese unendlichen Schattierungen zwischen leidenschaftlich schwingend und aschfahl – das ist ganz große Kunst.

Foto: ©  Julia Wesely

Das Konzert von Schostakowitsch mausert sich immer mehr zu meinen Lieblingskonzerten für Soloinstrument und Orchester. Es hat Parallelen zu zwei weiteren Konzerten desselben Komponisten. Das Es-Dur-Konzert ist eigentlich ein Konzert für Cello, Horn und Orchester, also wie das erste Klavierkonzert, in dem die Trompete mit dem Klavierpart auf Augenhöhe spielt. Hier ist es ein einziges Horn, übrigens auch das einzige Blechblasinstrument im Stück. Der Solist war in bestechender Form und bekam in Dortmund von Sol Gabetta den Blumenstrauß überreicht.

Fotos: Brian Cooper

Eine weitere Parallele besteht zwischen dem ersten Cellokonzert und dem ersten Violinkonzert, nämlich in der langen Kadenz vor dem Finalsatz. Sol Gabetta zog das Publikum in ihren Bann. Es war unglaublich aufmerksam, kaum Huster, man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können.

Ich fühlte mich erinnert an eine Aufführung des ersten Violinkonzerts mit Lisa Batiashvili und dem Philadelphia Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin in Köln und Amsterdam, wo es ähnlich war: Hier wie in Dortmund spielte die Solistin mit zornigen Tönen gegen alle Ungerechtigkeiten dieser Welt an. Vergessen wir nicht, dass Schostakowitsch mit einem gepackten Koffer unterm Bett komponierte, immer in der nervenaufreibenden Angst, nachts von Stalins Schergen abgeholt zu werden und womöglich nie wiederzukommen.

Das Publikum jedenfalls stand auf für die Solistin, die uns mit zwei Zugaben beschenkte – eine davon, de Falla, gab sie, wie in Hamburg, in Begleitung des Celesta-Spielers, und in der anderen begleitete sie sich selbst singend, wie man es schon von ihr kennt, mit thereminartigen Klängen am Ende. Und auch nach dem Sibelius erhob sich das Publikum, dankbar und beseelt nach einem langen und beglückenden Abend.

Die Liste europäischer Spitzenorchester ist lang, und das Oslo Philharmonic darf auf keiner solcher Liste fehlen.

Dr. Brian Cooper, 20. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Oslo Philharmonic, Sol Gabetta Violoncello, Klaus Mäkelä, Dirigent Elbphilharmonie, Hamburg, 14. November 2022

Oslo Philharmonic, Sol Gabetta, Klaus Mäkelä Elbphilharmonie, Hamburg, 14. November 2022

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Oslo Philharmonic, Klaus Mäkelä, Jean Sibelius: Sinfonien Nr. 2 & 4 Elbphilharmonie, 31. Mai 2022

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