Kevin Haigen in Josephslegende (YouTube, Videostill)
5 Jahrzehnte Hamburg Ballett John Neumeier, Teil II
Tanz war bei Neumeier Ausdruck der seelisch-emotionalen Befindlichkeit. Mit einem Mal öffneten sich auf der Ballettbühne psychologisch nachvollziehbare Welten und man ging nach der Aufführung nicht nach Hause wie nach einer Holiday on Ice-Vorstellung. Julia, Marie, Natalia oder König Ludwig stülpten ihr Inneres nach außen, nicht durch Prosa oder Gesang, sondern allein durch Tanz und darstellerische Kraft.
von Dr. Ralf Wegner
In rascher Folge nahm sich Neumeier weiterer Klassiker an. So 1974 seine Version von Tschaikowskys Nussknacker, in dem ein junges Mädchen namens Marie von dem Tanzlehrer Drosselmeier in die Ballettwelt eingeführt wird und zwei Jahre später Schwanensee, von Neumeier Illusionen wie Schwanensee genannt. Denn das Stück handelt nicht von einem Prinzen Siegfried, der sich in eine weiße Schwanenprinzessin verliebt und an ihrem schwarzen Ebenbild scheitert, sondern von den letzten Tagen König Ludwigs II. mit Erinnerungen an das Richtfest von Schloss Neuschwanstein, an den weißen Schwanenakt, dem er im Münchner Hoftheater beiwohnte und von einem Festakt mit großem Auftritt der Prinzessin Natalia, umrahmt von Szenen aus der Kerkerhaft und dem Tod im Starnberger See.
