Thielemann erhebt Pfitzners „Palestrina“ in den göttlichen Stand

Hans Pfitzner, Palestrina  Wiener Staatsoper, 8. Dezember 2024

Christian Thielemann © Matthias Creutziger

Wäre er in Wien nicht bereits heilig, man müsste Christian Thielemann direkt die Ehre erweisen. Die zweite Aufführung ist kein Vergleich zur Wiederaufnahme wenige Tage zuvor. Hans Pfitzners „Palestrina“ ist schwieriger Tobak. Das Kyrie eleison erlöst dieses mal nicht nur. Es ist die Krönung eines Abends, der einer heiligen Messe gleicht. Michael Spyres ist ein ebenbürtiger Messdiener.

Palestrina, Hans Pfitzner

Wiener Staatsoper,
8. Dezember 2024

von Jürgen Pathy

Begeisterungsstürme gleich zu Beginn. Bravo von der Galerie, vom Balkon, von überall, bevor überhaupt ein Ton erklungen ist. Wien liegt Christian Thielemann zu Füßen. Dabei weiß man nicht, woran es liegt. Ob an der bedingungslosen Liebe des Wiener Publikums oder an der Tatsache, dass Christian Thielemann überhaupt unbeschadet das Pult erklimmt.

Achillessehnen-OP vor wenigen Wochen. Auf Krücken gestützt, rechter Fuß geschient, kämpft der Kapellmeister sich durch den Orchestergraben. Den Mailänder Ring hatte er noch abgesagt. Die Wiederaufnahme von Pfitzners „Palestrina“ lässt Thielemann sich nicht nehmen.

Selten gespielte Oper

24 Jahre ist es her. Da hatte man Herbert Wernickes Inszenierung zum letzten Mal auf die Bühne der Wiener Staatsoper gebracht. Statisch, fast im Stillstand, spiegelt die Bühne das Sujet auch wider. Palestrinas Frau ist verstorben. Sein Drang zum Komponieren erloschen, Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Nur neun Meister schenken ihm die Eingabe, nachts, im Schlaf. Ein wenig Weihnachtsgeschichte. Ebenezer Scrooge, den auch die Weihnachtsgeister auf den richtigen Pfad geleiten.

Am Spiel steht viel. Die Kirchenmusik, die beim „Konzil von Trient“ zur Debatte steht. Der Papst möchte den Beweis, dass polyphone Musik mit der katholischen Liturgie in keinem Widerspruch steht. Basiert alles auf einer fiktiven Geschichte, zu der Pfitzner auch das Libretto beigesteuert hat.

Bei der Wiederaufnahme hätte man fast noch Zweifel gehabt. Monotonie, die soll der erste Akt widerspiegeln. Rund 100 Minuten, die Palestrinas Hoffnungslosigkeit musikalisch verdeutlichen. „Lang-weilig“, sollte es aber nicht sein. Den Fehler habe er schon bei seiner Londoner Aufnahme begangen, sagt Thielemann. In Wien wollte er die Oper flüssiger nehmen.

Ist bei der Wiederaufnahme nicht gelungen. Bei der zweiten Aufführung rückt Thielemann aber alles wieder ins rechte Licht. „Gänsehaut“, meint ein Gast, der die Oper zum ersten Mal erlebt. Der Klang ist blitzend, flirrend, steckt voller Mystik.

Das Wiener Staatsopernorchester agiert in Hochform. Trotz unterschiedlicher Gesichter, die sich im Orchestergraben versammelt haben. Während Albena Danailova nur den Platz gewechselt hat – heute sitzt die gebürtige Bulgarin am Konzertmeisterstuhl –, sind manche Gesichter neu dabei. Dennoch fließt das Werkl wie geölt. Thielemanns Gabe, Ungereimtheiten innerhalb kürzester Zeit, teils zwischen einzelner Akte zu begradigen, ist ein Phänomen.

Himmlische Tonkunst à la Christian Thielemann

Zur Wiederaufnahme hatte noch die klare Tonsprache gefehlt, die klare musikalische Linie. 1. Akt: Ein wenig Humperdinck, „Hänsel und Gretel“, dazu ein ordentlicher Schuss Richard Strauss, „Ariadne auf Naxos“. Überwiegend wegen der Szene, aber auch der assoziativen Klangwelt wegen. 2. Akt: Ganz klar Richard Wagner. „Meistersinger“, Parlando, viel Verhandlung, eine Burleske, gepaart mit orchestralem Geplätscher. 3. Akt: Nicht klar definierbar.

Es wirkt, als wäre man selbst nicht im Klaren gewesen, wie man die vielen Assoziationen unter einen Hut zu bringt. Bei der zweiten Aufführung ist alles geklärt. Thielemanns linke Hand ist immer noch im Dauereinsatz. Teils vehement, abrupt. „Weg, komplett weg, viel zu laut“, soll das heißen. Überhaupt die ersten Geigen und Celli. Teils nur die Finger, um die Lautstärke im Graben minimal zu drosseln.

Doch der Klang, die Musik, spricht dieses Mal Bände. Die Atmosphäre ist eine komplett eigene. Die Disbalancen zwischen Bühne und Orchester sind (fast) ausgeräumt. Atmosphärisch schwebt man irgendwo auf Wolke sieben, während sich die Musik sakral entfaltet, teils Wagnerianisch schattiert.

Michael Spyres  © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Auch, weil Michael Spyres seinen Tenor als Palestrina baritonal fließen lässt. Patricia Nolz in der Hosenrolle als Silla fast wie Elīna Garanča wirkt.

Günther Groissböck als Papst der Kirchenmusik seinen Sanctus gibt – aus der Proszeniumsloge, wo zuvor noch Direktor Bogdan Roščić alles mitverfolgt hat.

Wolfgang Koch, die heimliche Hauptrolle, als Kardinal Borromeo glaubwürdig zwischen Zorn und Wohlwollen schwingt.

Und Kathrin Zukowski als Ighino ebenso zärtlich klingt, wie das Pianissimo, in dem die Oper leise und plötzlich ausklingt.

Laut ist nur das Publikum. Zig Vorhänge, immer wieder muss Thielemann vors Publikum, das ihn nicht mehr ziehen lassen will.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 15. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Hans Pfitzner (1869-1949), Palestrina Wiener Staatsoper, 8. Dezember 2024

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