Foto: Ying Fang und Peter Kellner © Michael Pöhn
Pathys Stehplatz (23) – Einhelliger Zuspruch: Wien feiert Koskys neuen „Figaro“
Unglaublich eigentlich. Ein Regisseur, der bei der Premiere nicht ausgebuht wird. Dass es sowas überhaupt noch gibt: Bei Barrie Kosky steht die Bude auf dem Kopf. An der Wiener Staatsoper hat man gestern seine Deutung des „Figaro“ vor Publikum präsentiert. Nur ein einziger Gast tanzt aus der Reihe. Der Rest steht einhellig hinter Koskys Neuproduktion.
von Jürgen Pathy
Barrie Kosky ist in Wien angekommen
„Ich bin bis zum Schluss geblieben“! Das berichtet ein Stammgast, der bei Kosky sonst fluchtartig das Haus verlassen hatte. Mit dieser Figaro-Neuproduktion, die vor opulenten Kostümen und Rokoko-Perücken nur so strotzt, hat der gebürtige Australier nun einen Volltreffer gelandet. In Wien nicht unbedingt die Norm. Seit Bogdan Roščić vermehrt auf das sogenannte „Regie-Theater“ setzt, häufen sich die Stimmen, die sich dem nicht beugen wollen.
Nun dürften aber viele klein beigeben. Dass man da kein Feuerwerk erwarten durfte wie beim „Don Giovanni“, der ersten Da Ponte-Mozart-Neuproduktion, die Kosky in Wien auf die Beine gestellt hat, war klar. Der „Figaro“ ist ein komplett anderes Werk. Das hat Kosky schon im Vorfeld klargestellt. Es gäbe bei seiner Inszenierung keinen Zusammenhang zwischen den Da Ponte Opern.
Dass es allerdings so gediegen ausfallen könnte, ist dann doch ein wenig überraschend. Für Koskys Verhältnisse zumindest. Die Personenführung steht zwar noch immer im Mittelpunkt seiner Arbeit. Wenn auch nicht ganz so rasant, wie man es vielleicht vermutet hätte. Vor waghalsigen Kommandos wie Tauchgängen oder anderweitigen Eskapaden, die schon an der Grenze des Spektakels schrammen, bleiben alle verschont. Gefordert werden sie dennoch. Agilität, Schauspiel und gar bühnenreife Schlägereien, alles inklusive. Das fordert einen hohen Tribut.
Tiefschlag bereits vor der Premiere
Die Hiobsbotschaft gleich zu Beginn. Eine „Stimmbandblutung“ habe die Susanna der Produktion außer Gefecht gesetzt. Ying Fang, eine vielversprechende Nachwuchshoffnung, die auch schon bei den Salzburger Festspielen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, hat es damit schwer erwischt. „Es ist genauso schlimm, wie es sich anhört“, betont Bogdan Roščić. Eigentlich hatte er sich schon gefreut, dass er nicht mehr so oft vor den Vorhang treten müsse. Corona mit all seinen Negativ-Schlagzeilen habe ihn da schon genug gefordert. Nun schlägt der Teufel wieder zu.
Zum Bedauern vieler. „Die Chinesin“, die habe ihr ebenso gut gefallen, erzählt eine Dame, wie der Andrè Schuen, den sie auch schon bei der Sonntagsmatinee gehört hat. Der schlägt sich dann als Graf ganz ausgezeichnet. Nicht nur sprichwörtlich. Bei Kosky wird der nämlich durchaus auch mal handgreiflich. Stimmlich überzeugt Andrè Schuen ebenso. Vielleicht nicht immer ganz so dominant, wie zu Beginn des dritten Akts. Da geht Mozart aber auch in die Vollen. Jedoch immer elegant und sauber. So führt der junge Ladiner (Südtirol) seine Stimme, die durchaus auch mit seiner Optik konkurrieren kann.
Eine Russin rettet die Premiere
Verstörend hingegen ein anderer Anblick. Die Pantomime-Show, die Ying Fang abliefern musste. Trotz der Verletzung hat sie die szenische Darstellung übernommen. Für den Gesangspart der Susanna springt Maria Nazarova ein. Sie positioniert sich im Orchestergraben und rettet somit die Premierenfeier. Koskys einzige Schwachstelle vielleicht: Bei all der raffinierten Personenführung, ist schneller Ersatz wohl szenisch nicht so leicht zu finden.
Wie der Figaro der Produktion sich da erst gefühlt haben muss, wäre interessant. Fast durchgehend mit einer Pantomime zu interagieren, könnte schon eine Herausforderung sein. Der stellt sich Peter Kellner aber mit Bravour.
Hatte er sich als Papageno noch etwas verspekuliert. Vor wenige Monaten, ebenso hier im Haus. Die Komödie ist nun nicht jedermanns Sache. Bewegt sich der gebürtige Slowake als Figaro wieder auf bombensicherem Terrain. Spielwitz, fein geführte Stimme und dominantere Männerrollen, das sind die Kernkompetenzen, mit denen er am Haus schon öfters überzeugen konnte. Damit nagelt er auch den Figaro meisterlich an die Wand. Seit 2018 ist er als Stütze aus dem Ensemble der Wiener Staatsoper einfach nicht mehr wegzudenken.
Cherubino hat schon Mal lasziver gebuhlt
Hinter anderen stehen da noch Fragezeichen. Patricia Nolz, aus dem eigenen Opernstudio entwachsen, hat man mit vielen Vorschusslorbeeren überschüttet. Reizend ist sie allemal anzusehen. Wenn Kosky sie als Cherubino in Strapsen auflaufen lässt oder ihr Haar mit orangefarbener Perücke verziert. Stimmlich verführt sie da jetzt nicht so unbedingt. Auch wenn das Piano energisch schimmert und die Höhen sitzen, das gewisse Etwas fehlt dann doch.
Die Attacken einer anderen wirken wiederum fast zu heftig. Hanna-Elisabeth Müller könnte locker als abgespeckte Brünnhilde durchstarten. Als Gräfin steigt sie dann etwas zu kräftig aufs Gas. Weniger ist oft durchaus mehr. Überhaupt beim „Dove sono…“, das man definitiv schon runder und weniger ohrenbetäubend hören durfte.
Eine Bank sind dafür mal wieder andere. Stephanie Houtzeel kann sich der Blicke aller sicher sein. Als Marcellina sticht sie optisch im schrillen Hippie-Look hervor. Janis Joplin wäre da vor Neid erblasst. An ihrer Seite ebenso wenig übersehbar Josh Lovell, der mit Paisley-Muster-Anzug da durchaus auch auf LSD unterwegs sein könnte. „On Ecstasy“, so nennt sich ja der Titel von Barrie Koskys letztem Buch. Darin schwärmt er für die „alchemistische Wirkung“, die das Theater ermögliche.
Manchmal hat der große Bruder das Nachsehen
Optisch dann etwas dezenter wirkt Stefan Cerny, den man hier am Haus bislang sträflich vernachlässigt hat. Stimmlich hingegen ist er ein Riese. Warum der gebürtige Wiener hier bislang nur als Substitut zum Einsatz kam, muss man definitiv hinterfragen. Am Zuspruch des Publikums kann es nicht gelegen haben. Dessen kann er sich als Dr. Bartolo am Ende kaum verwehren. Wolfgang Bankl ebenso, der als gewichtiger Gärtner Antonio die Langeweile durchbricht.
Mit der ist man leider aus dem Orchestergraben konfrontiert. Viele Abende hat Philippe Jordan hier schon überzeugt. „Don Giovanni“, „Macbeth“ oder „Salome“, letztere vermutlich sogar das Highlight dieser Saison. Überall hatte er einen packenden Zugriff gefunden und lebendig durch die Partitur geführt. Den „Figaro“ allerdings, den hat man anderswo schon besser gehört.
An der Volksoper Wien erst vor kurzem. Dort hatte Julian Rachlin mit einer noblen Linienführung überrascht. Eine, die man an diesem Abend an der Wiener Staatsoper bedauerlicherweise vermisst hat.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 13. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte Wiener Staatsoper, 7. September 2022
Le Nozze di Figaro, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart Wiener Staatsoper, 11. März 2023 PREMIERE