Genussvolle Auszeit mit dem „Rosenkavalier“ – ein Lehrstück für alle Opernhäuser, was auch in Stream-Zeiten machbar ist

Premierenkritik Der Rosenkavalier von Richard Strauss,  Bayerische Staatsoper, 21. März 2021

Premierenkritik Der Rosenkavalier von Richard Strauss
Bayerische Staatsoper, 21. März 2021

Es wurde Zeit. Am 21. März 2021 präsentierte die Bayerische Staatsoper die lang ersehnte Neuinszenierung von Richard Strauss’ Rosenkavalier. In der Online-Premiere glänzte die Besetzung unter der Leitung des jüngst berufenen Generalmusikdirektors Vladimir Jurowski. Die Inszenierung von Regisseur Barrie Kosky ist eine zeitlose Hommage an die Vergänglichkeit.

von Friederike Walch-Nasseri

Das Licht ist gedimmt. Es kann losgehen. Das Einzige, was fehlt, ist ein quietschendes Bettgestell.

Fanfaren der Blechbläser, überschwängliche Streicher, die sich begleitet vom Trillern der Flöten in die Höhe schrauben – die Ouvertüre des Rosenkavaliers ist ein auskomponierter Liebesakt. Die Erwartungen sind dementsprechend explizit. Ein Liebespaar auf samtweichen Laken, frivoles Kichern, vielleicht eine spielerische Kissenschlacht? Weit gefehlt. Alles was Regisseur Barrie Kosky braucht, ist eine überdimensionale Standuhr. Die steht mitten auf der Bühne und schlägt Sechs (sic!). Im Takt der kreisenden Musik beginnt sich auch das Ziffernblatt wild durch den Raum zu drehen und erreicht – ganz pünktlich, gemeinsam mit den kreischenden Hörnern – den Höhepunkt.

Die gesamte Neuproduktion des Rosenkavaliers beweist gutes Timing. Das Produkt der bereits bewährten Zusammenarbeit von Dirigent Vladimir Jurowski und Barrie Kosky wurde in der aktuellen pandemiebedingten Musiktheater-Durststrecke sehnlichst erwartet. Besonders Marlis Petersen als Feldmarschallin und Katharina Konradi als Sophie (beide geben ihr Rollendebüt) zeigen sich als brillante Neubesetzungen. Ermöglicht wurde das Pandemie-Projekt durch eine Rosenkavalier-light-Besetzung. Der Chor wird größtenteils von der Bühne verbannt. Dank einer Bearbeitung von Eberhard Kloke wird die wuchtige Strauss-Besetzung auf 36 MusikerInnen ausgedünnt. Dadurch fehlt ein bisschen Klangrausch. Und Wumms. Dafür bietet das Bayerische Staatsorchester ein höchst differenziertes Spiel voller Klangfarben und viel Dynamik (an dieser Stelle auch alle Achtung an die Tontechnik). Ausschlaggebend ist wohl viel mehr die individuelle Stereoanlagen- / Kopfhörer- / Lautsprecher-Situation im heimischen Wohnzimmer.

Im Zentrum von Koskys Inszenierung steht das unaufhaltsame Ticken eines Uhrwerks. Standuhr, Wecker und Kuckucksuhr läuten jeweils den Beginn eines neuen Aktes ein. Die Zeit ist der heimliche Hauptdarsteller von Koskys Rosenkavalier. Immer wieder wackelt ein alter Greis in silbernen Unterhosen und mit kleinen Fügelchen über die Bühne. Es ist Chronos, die Vergänglichkeit, der Gott der Zeit, der alt und gebrechlich die Fäden in der Hand hält. Als eine Art in die Jahre gekommener Amor spielt er Babysitter für das Liebesglück des jungen Paares, das sich am Ende des Abends in den Armen liegen soll.

Der erste Akt wird von Marlis Petersens klarer Sopranstimme dominiert. Sie ist durchdringend und ausdrucksstark und mischt sich gleichzeitig hervorragend mit Octavians (Samantha Hankey) vollem Mezzosopran. Petersens Rolle ist weit entfernt von der einer pathetischen Schönheit in der Midlife-Crisis, die das Ende ihres rosaroten Liebeslebens am Horizont sieht. Kosky inszeniert eine würdevolle Feldmarschallin, ohne Bitterkeit und voller Akzeptanz für den Lauf des Lebens. Der schrumpelige Amor begleitet sie dabei auf der Panflöte. Das Instrument, mit dem der Hirtengott Pan laut der griechischen Sage mit klagenden Tönen um seine verlorene Liebe trauert, ist eine Vorahnung auf die nahende Zukunft der Marschallin.

DER ROSENKAVALIER: MARLIS PETERSEN (FELDMARSCHALLIN), Foto: W. Hösl ©

 

Der Rosenkavalier ist eine musikalische Überraschungstüte. Als „Komödie für Musik“ steht er irgendwo zwischen Oper, Operette und Schauspiel. Die Handlung setzt der Librettist Hugo von Hofmannsthal in einer künstlichen Rokoko-Welt im Wien der 1740er Jahre an. Strauss schreibt dazu Musik voller Stimmungswechsel und Brüche, die als Vorläufer der Postmoderne gilt. Zwischendurch erklingt dann aber der wiegende Wiener Walzertakt des 19. Jahrhunderts und man möchte fast Mitschunkeln.

Kosky greift das Collagenhafte des Rosenkavaliers auf und spiegelt es in seiner Inszenierung. Die Kostüme von Victoria Behr erinnern an die Zwanziger, mittendrin hat aber auch mal ein goldiger Sonnenkönig mit barockem Strahlenkranz seinen Auftritt. Ansonsten Pastellfarben, Silber und viel Glitzer. Im Hintergrund hüpfen halbnackte Fabelwesen über die Bühne, so wie Strauss’ Musik durch die Tonarten springt.

Auch die Bilder in der Gemäldegalerie des zweiten Aktes zeigen Faune, Satyre und viel nackte Haut. Die Freizügigkeit im Bühnenbild (Rufus Didwiszus) steht im scharfen Kontrast zum züchtigen Zeremoniell der ständischen Gesellschaft in der Handlung. Mit einer Rosenübergabe soll die Ehe zwischen der jungfräulichen Sophie (Katharina Konradi) und dem wollüstigen Rüpel Baron Ochs (Christof Fischesser) besiegelt werden. Chronos kommt als Liebesbote und Kuppler auf einer silbernen Kutsche herbeigeritten und überbringt mit einem milden Lächeln den Blumenpostboten Octavian und damit den passenden Liebhaber für Sophie. Bei der anschließenden Rosenübergabe glitzert die traumhafte lyrische Sopranstimme von Konradi mit der Silberkutsche um die Wette.

Was nun folgt ist ein herrlich komödiantischer Baron. Christof Fischesser läuft in der Rolle zu schauspielerischen Höchstleistungen auf. Weil Octavian ihn mit seinem Degen in den Zeigefinger gepikst hat liegt der Baron abwechselnd hyperventilierend und dahinsiechend auf dem Bett. Dabei deklamiert er laut, „Mord, Blut, ich verblute“ und hält wehleidig seinen Finger in die Luft. Köstlich. Stimmlich überzeugt Fischesser auch, mit einem sehr beweglichen Bass. Nur beim tiefen C gegen Ende des ersten Aktes runzelt er doch recht angestrengt die Stirn. Den offenen Sexismus des Baron kommentiert Kosky, indem er ihn zur lächerlichen Witzfigur degradiert. Und „der Ochs“ ist unglaubwürdig. Während der Baron in vielen Inszenierungen als unverhohlener Grabscher auftritt, wagt er es in Koskys Interpretation den gesamten ersten Akt über nicht, die Kammerzofe – das „Objekt“ seiner Begierde – zu berühren. Seine wilden Frauengeschichten wirken dadurch wie schrecklich machohafte aber auch vollkommen übertriebene Prahlerei.

Zuletzt wird ein großes Theater aufgezogen, mit dem der Baron verführt werden soll, damit dem jungen Liebesglück nichts mehr im Wege steht. Passenderweise spielt der dritte Akt im Theatersaal. Der Chor zieht sich um, eine Putztruppe wird über die Bühne gescheucht und ein Plastiktruthahn fliegt von der gedeckten Tafel. Kosky bleibt damit dem Collage-Stil treu. Der wollüstige Baron verliert im Laufe des Akts nicht nur sein Toupet, sondern auch seine Hose und erweitert damit die Liste der bisherigen Kostümstile (Barock, 1920er), indem er sich in einer lange Mickey-Mouse-Unterhose präsentiert (1990er?). Mittendrin sitzt wieder Chronos, diesmal im Kasten der Souffleuse. Von dort aus versucht er das Chaos um ihn herum in die richtigen Bahnen zu lenken. Und natürlich gelingt es ihm. Das junge Paar entschwebt am Ende gemeinsam in die „Ewigkeit“ – ermöglicht durch Chronos, der die Zeiger der Uhr demontiert hat, um für die junge Liebe die Zeit anzuhalten. Dann versinkt er schelmisch lächelnd im Boden. Voller Erfolg für Opa Amor. Und für Kosky und Jurowski. Auch ihnen gelingt es mit diesem Werk, den Alltag der Pandemie für einen Augenblick zu pausieren.

Friederike Walch-Nasseri, 22. April 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Die Autorin besucht die 59. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule in München.

Besetzung

Die Feldmarschallin:                             Marlis Petersen

Der Baron Ochs auf Lerchenau:        Christof Fischesser

Octavian:                                                    Samantha Hankey

Herr von Faninal:                                   Johannes Martin Kränzle

Sophie:                                                       Katharina Konradi

Jungfer Marianne Leitmetzerin:    Daniela Köhle

Valzacchi:                                                 Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Annina:                                                     Ursula Hesse von den Steinen

 

Komponist:                                            Richard Strauss

Libretto:                                                  Hugo von Hofmannsthal

Inszenierung:                                       Barrie Kosky

Musikalische Leitung:                      Vladimir Jurowski

Orchester:                                              Bayerisches Staatsorchester

Chor:                                                       Chor der Bayerischen Staatsoper

Bühnenbild:                                         Rufus Didwiszus

Kostüme:                                              Victoria Behr

Licht:                                                      Alessandro Carletti

Fernsehregie:                                     Henning Kasten

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