Oper mit Zukunft und Vergangenheit: Eine sensationelle Ariadne auf Naxos in Weimar

Richard Strauss, Ariadne auf Naxos  Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar, 25. März 2023 PREMIERE

Foto: Staatskapelle Weimar in der Weimarhalle © Andreas Nickel

Hochkultur und Unterhaltung, Begehren und Unschuld, Trauer und Leichtigkeit, das rätselhafte Wunder der Verwandlung der Liebe; all das und noch viel mehr ist in der unvergesslichen Neuinszenierung von „Ariadne auf Naxos“ in Weimar zu erleben. Hier wird wahrhaftig Opernkunst geschaffen, die nicht nur Freude bereitet, intelligent arbeitet und zärtlich rührt, sondern auch dringender nötig ist, denn je.

Richard Strauss
Ariadne auf Naxos

Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel
Text von Hugo von Hofmannsthal

Dominik Beykirch, Dirigent
Staatskapelle Weimar

Martin Berger, Regie
Sarah-Katharina Karl, Bühnenbild

Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar, 25. März 2023 PREMIERE

von Leander Bull

Nicht selten verzweifelt man in Gedanken an die Zukunft der Oper, nicht nur, da es immer weniger Nachschub für das immer älter werdende Publikum zu geben scheint, sondern ebenfalls aufgrund einer fragwürdigen Regietradition. Es scheint sich eine Kluft aufgetan zu haben; eine Kluft zwischen den modrigen Inszenierungen, die nur kommerziell versuchen, die kitschigen Vorstellungen des Opernpublikums zu erfüllen, und den elitären Regietheater-Ausreißern, welche wesentlich nur denen einen Zugang zum Musiktheater ermöglichen wollen, die alles schon einhundertmal gesehen haben und somit auch bis zur schizophrensten Metaebene abstrahieren können.

Wo sind die intelligenten Regisseure, die es vermögen, sich leidenschaftlich den Werken der großen Maestros hinzugeben, ohne sich ihnen einfallslos zu unterwerfen? Wo sind die originellen, großen Regiewunder, die unkonventionell arbeiten, ohne einfach nur wild um sich zu schlagen?

In Weimar, so wie es sich herausstellt. Vor fast genau drei Jahren nun feierte hier eine Neuninszenierung von Richard Strauss’ Ariadne auf Naxos ihre Premiere, nur um am Folgetag von den Corona-Auflagen frühzeitig im Keim erstickt zu werden. Nun erfolgte also endlich die zweite Premiere; gewiss ein seltsamer Begriff, doch der restliche Abend ist nicht minder ungewöhnlich.

Direkt im Vorspiel, in welchem wir in Strauss’ Werk bekanntlich die Vorbereitung auf die Aufführung der Oper Ariadne selbst sehen, zeichnen sich alle Stärken dieser meisterhaften Inszenierung ab. Da herrscht ein hochsensibles Verständnis des Stoffes, eine explosiv einfallsreiche Arbeit mit dem Bühnenbild, ein satter Strauss-Klang aus dem Orchestergraben, alles durchdrungen von solch einer überragenden Inszenierungslaune, dass man eigentlich noch in die Aufführung hineinklatschen möchte.

 

Regisseur Martin Berger nimmt Hofmannsthals Dichtung und Strauss’ Oper genau dort ernst, wo man sie ernst nehmen sollte, und nimmt sie dort nicht ernst, wo man sie nicht ernst nehmen sollte. So kommen beide Seiten des Werks, Hochkultur und Unterhaltung, Komponist und Tanzmeister, Ariadne und Zerbinetta, zur Geltung. Natürlich geht es hier um die Opernkunst selbst, wie auch nicht bei solch einem Werk. Die Inszenierung arbeitet sich durch all diese Themen farbenfroh stilpluralistisch hindurch, immer klar für das Publikum nachvollziehbar, doch nie durchsichtig, immer anregend und verführend.

Auch, dass man eine Ariadne nicht ohne die angemessene Portion Erotik inszenieren kann, weiß der Regisseur. Niemand bleibt hier von der körperlichen Liebe unberührt, was nicht nur seinen Ursprung in Hofmannsthals kokettem Libretto selbst findet, sondern gleichermaßen Platz für einige geniale Neudichtungen Bergers ermöglicht. Vielleicht – so diese Inszenierung – gibt es doch noch Hoffnung darauf, dass sich die beiden Welten vereinen lassen?

Genau diese Spannung spitzt sich im zweiten Teil, der eigentlichen Oper, zu. Das Meisterstück, das nun zu erleben ist, sieht man sich am besten selbst an. Sagen wir nur so viel: Berger nimmt die Gleichzeitigkeit der Aufführungen, sowohl der Commedia dell’arte-Truppe, als auch der hochkulturellen Opera seria Ariadne auf Naxos wortwörtlich. Auf der Bühne wird gemordet, gekämpft, ja, Unsinn gemacht, gewürgt, geliebt, zum Ende hin entfaltet sich sogar eine moderne Inszenierung inklusive Smartphones, U-Bahn-Station und Kameras, wie man sie wahrscheinlich in der Staatsoper Berlin erleben würde.

Was Berger jedoch von solch einer Regie unterscheidet, ist, dass er modernisiert, ohne gegen den Text zu arbeiten. Ein Knaller folgt auf den anderen, doch wir werden hier nicht gedankenlos mit einer Absurdität nach der Anderen belagert. Immer sehen wir, zeitgleich mit der überraschend rührenden, modernen Inszenierung, Ariadne und Bacchus im traditionellen griechischen Kostüm, sodass hier wirklich zwei Geschichten erzählt werden und Welten aufeinander prallen. Berger stellt sich die Frage, ob Modernes und Mythisches, „Regietheater“ und klassische Oper wirklich noch vereinbar sind. Inmitten dieses absurden, doch durchdachten, spielfreudigen Exzesses, gehen alle Konflikte in einem Feuerwerk der Versöhnung auf, welches Hoffnung darauf macht, dass die Oper noch eine Zukunft hat, und das nicht nur, weil hier erkennbar wird, dass großartige Regie, die so unglaublich viel unter einen Hut kriegt, immer noch möglich ist.

Leben wird all diesem auch aufgrund einer glänzenden musikalischen Leitung ermöglicht. Unter dem Dirigat von Dominik Beykirch spielt die Staatskapelle Weimar, trotz manch unsauberer Einsätze kraftvoll und leidenschaftlich, bis sie sich vor Allem in den Schlussszenen in grandiose, rührende Höhen schwingt. Camila Ribero-Souza schürft mit ihrer kraftvollen, doch mystisch verhüllten Stimme im Einklang mit ihrem Gegenüber Bacchus in den Tiefen des Mysteriums der Liebe. Unvergesslich betörend klingt diese Verwandlung, und was für ein Bacchus! Wie viele großartige Sänger sind an dieser Rolle gescheitert? Peter Sonns Tenor strotzt nur so voller umwerfender Jugendkraft und schwillt bis in die gefährlichen Höhen dieser Partie an, sodass unter den heroischen Klängen der Staatskapelle das Finale der Oper umwerfend wird. Weitere Höhepunkte sind Ylva Sofia Stenberg als giftige und doch zarte Zerbinetta, ebenso wie Uwe Schenker-Primus, dessen Stimme den Saal zum Beben bringt und die Rolle des Musiklehrers in all ihrer Komik und Dramatik wunderbar beleuchtet. Was sonst in der Aufführung musikalisch zu wünschen übrig lässt, wird irrelevant angesichts dieser Inszenierung, die so voller Leben, voller Esprit steckt.

Wenn der Doppel-Wumms in der Politik also ausbleibt, finden wir ihn wenigstens im DNT in Weimar. Diese Oper bietet Zuflucht, regt zum Nachdenken an, ohne dabei jemals die bombastische Freude an der Kunst zu verlieren, und schafft es, so unvorstellbar viel zu verarbeiten, ohne sich in den Exzessen zu verlieren, sodass einem nur das Staunen bleibt. Alle Mittel werden in diesem Meisterstück ausgeschöpft, um Hofmannsthals und Strauss’ Werk gerecht zu werden, und doch platzt diese Inszenierung regelrecht voller Originalität. Jazz, Dadaismus, Stummfilmästhetik, alles reiht sich glanzvoll in das 1910er-Jahre-Flair der Inszenierung ein, ohne Strauss’ Werk zu entkernen. Das Stück wird hier belebt, durchdrungen, verstanden und weitergedacht. Es ist einfach wunderbar.

Letztendlich wird Ariadnes große Verwandlung also auch vom Publikum selbst durchlebt. Gerne würde ich somit Bacchus das letzte Wort lassen:

„Nun bin ich anderer, als ich war,
Durch deine Schmerzen bin ich reich,
Nun reg’ ich die Glieder in göttlicher Lust!“

4 Gedanken zu „Richard Strauss, Ariadne auf Naxos
Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar, 25. März 2023 PREMIERE“

  1. Danke für den Beitrag, der große Lust auf die Inszenierung macht! Der großartige Bariton heißt übrigens Uwe Schenker-Primus (da hat sich ein s zuviel eingeschlichen) …

    Elmar Stollberger

  2. Lieber Herr Bull,
    es freut mich zu lesen, dass es noch Rezensionen gibt, welche das Wesen eines Werkes im Kern erkennen, ohne Inhalte nur nachzuerzählen und auf die Fähigkeiten und Nichtfähigkeiten der Solist:innen einzugehen. Vielen Dank dafür!

    Katharina von Goeth

    1. Guten Tag,

      vielen Dank für diese wunderbaren, lieben Worte! Das bedeutet mir sehr viel und es freut mich ebenso zu hören, dass mein Ansatz auf Anklang trifft!

      Herzliche Grüße
      Leander Bull

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert