Der Ring des Nibelungen an der Staatsoper unter den Linden startet furios!

Richard Wagner, Das Rheingold (1869), Christian Thielemann  Staatsoper unter den Linden, 5. Oktober 2025

Fotos aus der Premiere am 2. Oktober 2022. Das Rheingold, Komparserie © Monika Rittershaus

Die Wiederaufnahme des „Rheingolds“ unter der Leitung von GMD Christian Thielemann ist großartig gelungen. Orchester und Dirigent zaubern einen einmalig spannenden Auftakt der Tetralogie, Michael Volles Wotan und Jochen Schmeckenbechers Alberich machen den Abend nahezu perfekt. Dmitri Tcherniakovs Regiekonzept bleibt hingegen bis auf Weiteres pseudointellektuell verquast.

Richard Wagner
Das Rheingold
Vorabend zum Bühnenfestspiel
Der Ring des Nibelungen (1869)

Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Staatskapelle Berlin

Inszenierung, Bühne: Dmitri Tcherniakov

Staatsoper unter den Linden, 5. Oktober 2025

 von Arthur Bertelsmann

Als „Der Ring des Nibelungen“ an der Staatsoper Unter den Linden in den Verkauf ging, brach binnen weniger Minuten das Buchungssystem zusammen. Innerhalb von zwei Stunden war das Mammutwerk ausverkauft – unglaublich, wenn man die absurd hohen Preise bedenkt:
Für schlappe 1100€ ist der Zyklus mit den besten Sitzplätzen zu haben; in der zweiten Platzgruppe zahlt man sich mit 225€ pro Oper kaum weniger dumm und dämlich. Hier stimmt ausnahmsweise das Klischee, dass die Oper nur den Reichen und Schönen vorbehalten sei. Dem Haus am Bebelplatz kann das egal sein – tatsächlich sind Ränge und Parkett für den „Vorabend“ gesteckt voll.

Grund dafür ist wohl in erster Linie ein Mann: Dirigent Christian Thielemann, der nach seinem frenetisch bejubelten Ring-Debüt an der Staatsoper nun als GMD das 16-stündige Epos erneut leitet. Erwartungsvoll warten die Zuschauer auf den Anfang, stumm starren sie in den Graben. Dann beginnt das berühmte Grollen in Es. Lange, sehr lange breitet Thielemann diesen urzeitlichen Anfang aus und tastet sich vorsichtig in die scheinbar ewig fließende Melodie des Rheins. Düster und mystisch gestaltet der Dirigent diese erste Szene, die das ganze Drama in Gang setzt. Die Töne wabern nur so durch den Saal und ziehen einen ab dem ersten Takt in den Wagner-Sog der unendlichen Melodie.

Keineswegs bleiben der Dirigent und das gnadenlos präzise Orchester diesem archaischen Ansatz treu, sondern zeigen in den folgenden zwei Stunden ihre ganze Flexibilität: Während Walhall atemberaubend funkelt, dröhnt es aus Nibelheim schwül und brutal aus dem Graben. Immer finden Staatskapelle und Dirigent die richtige Untermalung zum inhaltlich wohl dichtesten Teil des Zyklus.

Das Rheingold, vorne: Peter Rose (Fafner), Mika Kares (Fasolt), Claudia Mahnke (Fricka), dahinter: Siyabonga Maqungo (Froh), Lauri Vasar (Donner), Rolando Villazón (Loge) © Monika Rittershaus

Den atmosphärischen Höhepunkt erlebt der Abend bei der Verhöhnung Alberichs durch Wotan und Loge. Zunächst boshaft-sadistisch, dann immer emphatischer, untermalt das Orchester den Machtsturz des vor wenigen Momenten noch so mächtigen Zwergs. Ausgerechnet die bösartigste Figur des ganzen Dramas erfährt im Thielemann-Ring fast herzzerreißendes Mitleid. Über das leuchtende Orchester legt sich perfekt die durchgehend starke Sängerbesetzung.

Jochen Schmeckenbechers Alberich ist ein schauderhaft grober, ordinärer Albe, der zum jämmerlichen Häufchen Elend heruntergeputzt wird. Der von Sebastian Kohlhepp gesungene Loge zeigt sich hingegen als verschroben-raffinierter Possenreißer, der sich vielleicht doch ein wenig zu sehr dem Göttervater Wotan unterordnet. Das ist bei der Leistung von Michael Volle aber auch kein Wunder: Scheinbar mühelos singt er die brutale Partie herunter – mal als charismatischer Patriarch, mal als oberflächlicher Schaumschläger. Charmant zieht Volle den hier besonders brutalen und ungeduldigen Fafner (Peter Rose) und seinen fast liebevoll-romantischen Bruder Fasolt (Mika Kares) über den Tisch.

Das Rheingold, Michael Volle © Monika Rittershaus

Einzig Ehefrau Fricka (Claudia Mahnke) ist dem Ehemann gewachsen. Wahnsinn, was Mahnke aus dieser Rolle herausholt: Da hört man die naheliegende Eitelkeit, Gier und Hysterie; es ist aber auch ein messerscharfer – und den Zuschauer einnehmender – Verstand spürbar. Kein Wunder, dass der eher beschränkte Gatte nach ihrer Pfeife tanzt.

Alles ist wirklich vom absoluten Feinsten – wenn man die Augen zumacht. Dimitri Tcherniakovs Idee, die Geschichte in einem Forschungszentrum spielen zu lassen, ist zunächst nicht schlecht; die Welt des Rings ist immer wieder eine determinierte – gerade im 1. Aufzug der Walküre greifen alle Rädchen der von Wotan entworfenen Maschine ineinander. Doch Tcherniakovs Idee zerfällt schon im Rheingold. Das geklaute Gold ist hier – vermutlich – von den Ärztinnen gesammelte Patientendaten, doch was will Alberich mit denen, und warum tauchen die Daten bei Wotans und Loges Abstieg nach Nibelheim nicht wieder auf?

Wenn Wotan der Chef des Forschungszentrums ist, wer ist dann der freche Loge? Womit werden die mafiös anmutenden Bauunternehmer Fasolt und Fafner entlohnt? Fragen über Fragen, von denen Tcherniakov keine einzige beantwortet, und den Zuschauern stattdessen ewiges Rumsteh- und -Sitz-Theater bietet und die Kulissen ständig unnötig nach links und rechts verschiebt.

Ein nicht auszudenkender Reinfall – wenn Orchester und Darsteller nicht absolute Spitzenliga wären!

Auf die 1000-Euro-Plätze kann man also vorerst verzichten; hier gibt es bisher nur wenig zu sehen – dafür unendlich viel Gutes zu hören!

Arthur Bertelsmann, 6. Oktober 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Wotan: Michael Volle
Donner: Roman Trekel
Froh: Siyabonga Maqungo
Loge: Sebastian Kohlhepp
Fricka: Claudia Mahnke
Erda: Anna Kissjudit
Alberich: Jochen Schmeckenbecher
Mime: Stephan Rügamer
Fasolt: Mika Kares
Fafner: Peter Rose

Ring-Zyklus I, Das Rheingold und Die Walküre Staatsoper Unter den Linden, 18. und 19. März 2024

Halbzeit: Rheingold und Walküre unter Christian Thielemann an der Berliner Staatsoper Staatsoper Unter den Linden, Premieren 2. und 3. Oktober 2022

Richard Wagner, Das Rheingold Staatsoper Unter den Linden, Premiere am 2. Oktober 2022

CD-Rezension: Richard Wagner Der Ring des Nibelungen, Berliner Staatsoper 2022 klassik-begeistert.de, 20. Juli 2024

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