klassik-begeistert.de berichtet als erster Klassik-Blog von der Eröffnung der Bayreuther Festspiele.
Beifall bekam als einzige vor dem Festspielhaus vorfahrende Prominente die scheidende Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Sie verfolgt mit Ihrem Ehemann Professor Joachim Sauer seit vielen Jahren die Bayreuther Festspiele – und war sichtlich gut gelaunt. Mögen zukünftige Kanzlerinnen und Kanzler ein Quäntchen von Angelas Kultursinn übernehmen!
Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2021 (Eröffnung)
Richard Wagner, Der fliegende Holländer
von Andreas Schmidt
Mit wenig Prominenz, dafür mit wunderbaren Solisten, einer fulminanten Frau am Pult, einem Spitzenorchester und einem tollen Chor sind die Bayreuther Festspiele 2021 gestartet. Musikalisch kamen die 911 Zuschauer im Festspielhaus voll auf ihre Kosten. Der Beifall und die Bravi waren enorm. Die schlechte Inszenierung und das sehr, sehr bescheidene Bühnenbild bekamen viele lautstarke Buhs.
Die Sterne des Abends waren zwei Solisten: Asmik Grigorian als Senta und Eric Cutler als Erik.
Der Abend war schon sehr gut, aber als Frau Grigorian die Bühne betrat und ihre ersten Töne sang, bekam der „Holländer“ eine neue Dimension. Asmik Grigorian zeigte mit ihrer Sopran-Stimme, wie eine Frau leicht, locker und angenehm auch im höchsten Register singen kann. Gleichzeitig sang sie einmalig wohlig und weich im mittleren und tiefen Register – Wohlfühlfaktor 10. Die Litauerin ist 40 Jahre alt und steuert gerade auf den Zenit ihres stimmlichen Wirkens zu. Sie bekam den mit Abstand größten Beifall bei dieser Eröffnung – in den vergangenen 6 Jahren hat nur der Tenor Klaus Florian Vogt einen derartigen Beifall bekommen – für seinen Lohengrin in der gleichnamigen Wagner-Oper.
Richtig klasse war auch Eric Cutler, der – nomen est omen – den Erik sang. Yes indeed: Dieser Eric war wirklich ein gigantisch guter Erik. Er gab einen Tenor, den man heute nur noch selten zu hören bekommt. Sehr warm in der mittleren und tieferen Lage und bestechend strahlend in den höchsten Regionen. Das hat wirklich viel Wohlgefühl erzeugt, der Gesang dieses Mannes aus Iowa, USA. Das Premierenpublikum dankte es mit viel Applaus.
Wunderbar auch der Bass Georg Zeppenfeld als Daland. Er war, was die Genauigkeit anbelangt, der herausragende Sänger und bot eine makellose Aufführung. Eine glatte 1, würde man in der Schule sagen. Sehr mächtig, wenn es sein musste, sehr dunkel, angenehm sanft an vielen Stellen und mit einer klaren deutschen Aussprache gesegnet. Kaum jemand im Weltklasseformat hat eine so klare Artikulation wie Zeppenfeld. Zur klaren
1 + fehlte an diesem Abend ein wenig der Wums in der Stimme – Zeppenfeld schien manchmal mit ganz leicht angezogener Handbremse zu singen… er hat ja auch noch viel zu stemmen in BT.
Die Süddeutsche Zeitung fand heute für den Mega-Bass schöne Worte: „Seit elf Jahren ist er bei den Festspielen zu hören, 2015 als König Marke in Katharina Wagners ‚Tristan‘, mitunter in drei unterschiedlichen Rollen und Produktionen pro Saison. In der Gemeinde der Wagnerianer gilt er bei vielen inzwischen als der heimliche Hügellieblingsdarsteller. Wer Synonyme für ‚überragend‘ wissen will, darf im Archiv die Feuilletons der Republik nach Einträgen zu ‚Zeppenfeld‘ befragen. So viel Einmütigkeit, dass da einer außerordentlich ist, liest man selten.“
Kommen wir zum Namensgeber dieser wunderbaren Oper – ja, es ist wahrhaft wunderbare Musik, obgleich ja ein Frühwerk des Jahrtausendgenies Richard Wagner. Die Ukrainerin Oksana Lyniv führte als erste Frau in der Festspielgeschichte ihren wunderbaren Klangkörper feinfühlig wie energetisch durch den Abend – sie könnte im fortissimo-Bereich noch etwas zupackender agieren. Frau Lyniv bekam den zweitgrößten Beifall, toll und berührend. Diese kleine Frau hat Power!
Der Holländer an diesem Abend ist der Schwede John Otto Lundgren, 52.
Er kam als letzter nach der Vorstellung vor den Vorhang – und bekam nur sehr dezent-höflichen Applaus. Zurecht. Er ist zweifelsohne ein guter Sänger mit vielen Stimmenfacetten. Aber er ist kein Holländer. Ihm fehlt das Dämonische, das Ver-Rückte, das Abgrund-Tiefe. Als Holländer ist er in Bayreuth, dem Mekka für Wagner-Kunst, eine Fehlbesetzung. Seine Diktion ist zudem mangelhaft, teilweise ist nicht zu verstehen, in welcher Sprache er singt.
Die Verantwortlichen in Bayreuth können zurzeit nicht um DEN Holländer herumkommen: Es ist der Pole Tomasz Konieczny. klassik-begeistert.de hat ihn am 7. Juli 2021 im Nationaltheater in München als Holländer erlebt – es war ein magischer Abend. Konieczny bekam gleich nach dem ersten Monolog langen Szenenapplaus – eigentlich ein No-Go bei Wagner-Opern. Glück im Unglück: TK springt jetzt für den indisponierten und unterprobten Günther Groissböck als Wotan in der „Walküre“ ein – das ist wunderbar, denn es gibt weltweit gegenwärtig keinen besseren Wotan.
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 7. Juli 2021
Massive Buhs gab es für das Regieteam um Dmitri Tcherniakov. Kein Wunder: Wer gibt schon gerne ein paar hundert Euro für einen Abend aus und ist dann mit einer Wohnkulisse konfrontiert, die nicht einmal den Ansprüchen sozialen Wohnungsbaus in Castrop-Rauxel genügen würde. Es ist schwer verständlich, dass sich die Verantwortlichen in Bayreuth so eine Pipifax-Inszenierung – mit gruseligen Kostümen – haben aufschwatzen lassen. Dass ein Regisseur für eine so leblose und tote Inszenesetzung eines Musikgutes der deutschen Kulturgeschichte viel Geld bekommt, macht sprachlos. Note 5 von klassik-begeistert.de.
„Überraschend dagegen waren einige Buhs für den Chor, der normalerweise vom Publikum traditionell sehr bejubelt wird“, schreibt Die Zeit. „Zwar trat dieser tatsächlich deutlich weniger stimmgewaltig auf als sonst, das war aber – wie so vieles in dieser Zeit – wohl in erster Linie der Corona-Pandemie geschuldet. Deswegen durfte nämlich nur die Hälfte des Chores auf der Bühne stehen und dabei das Singen nur mimen. Die andere Hälfte sang auf einer Probenbühne und wurde live eingespielt. Die Festspiele sollen am Montag fortgesetzt werden mit der Wiederaufnahme der «Meistersinger»-Inszenierung von Barrie Kosky in ihrem letzten Jahr.“
Beifall bekam hingegen als einzige vor dem Festspielhaus vorfahrende Prominente die scheidende Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Sie verfolgt mit Ihrem Ehemann Professor Joachim Sauer seit vielen Jahren die Bayreuther Festspiele – und war sichtlich gut gelaunt. Mögen zukünftige Kanzlerinnen und Kanzler ein Quäntchen von Angelas Kultursinn übernehmen!
Andreas Schmidt, 25. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Meine Lieblingsoper (45): „Der Fliegende Holländer“ von Richard Wagner
Richard Wagner, Der fliegende Holländer, Staatsoper Hamburg, 1. März 2020
Richard Wagner, Der fliegende Holländer, Deutsche Oper Berlin, 09. Mai 2019
Musikalische Leitung | Oksana Lyniv |
Regie | Dmitri Tcherniakov |
Bühne | Dmitri Tcherniakov |
Kostüm | Elena Zaytseva |
Licht | Gleb Filshtinsky |
Dramaturgie | Tatiana Werestchagina |
Daland | Georg Zeppenfeld |
Senta | Asmik Grigorian |
Erik | Eric Cutler |
Mary | Marina Prudenskaya |
Der Steuermann | Attilio Glaser |
Der Holländer | John Lundgren |
Hallo, die Ovation für Frau Grigorian war wirklich eindrucksvoll, die letzten 20 Minuten muss sie sich besser einteilen! Erinnerte an Anja Silja, als die im Wieland-Wagner-Holländer „auftauchte“!
Fred Keller
Sehr geehrter Herr Schmidt,
gerne hätte ich gewusst, warum Sie die Inszenierung denn derart pauschal ablehnen, aber leider ist in Ihrer Premierenkritik davon kaum etwas zu lesen.
Bernd Künzig, Opernredakteur bei SWR2, kommt beispielsweise zum genau entgegengesetzten Schluss und hat in seiner Rezension auch präzise erläutert, warum er die Produktion gar als „neuen Maßstab für die Zukunft“ ansieht.
Zugegeben, das muss nicht Ihrer und übrigens auch nicht meiner Meinung entsprechen. Aber es ist ein begründeter und daher professioneller Blickwinkel unter vielen, der nicht einfach nur das nachplappert, was die Kolleginnen und Kollegen der Zunft ziemlich einmütig in ihren Berichterstattungen vor-geschrieben haben (Stichwort: „unabhängig“).
Und ja, Sie liegen im Trend: Das Gros der Rezensionen sieht die Inszenierung von Dimitri Tcherniakov mindestens problematisch, wenn nicht gar völlig verfehlt.
Aber selbst die Verrisse attestieren ihm zumindest noch „anfänglich originelle Ideen“ (NZZ) oder eine „wunderbar körperlich, dicht und unmittelbar inszeniert[e]“ Personenführung (Welt). „Diese Regie-Idee könnte sogar aufgehen…“ schreibt zum Beispiel der Kritiker der taz und erklärt dann, warum der Versuch am Ende trotzdem gescheitert ist. Jan Brachmann von der FAZ bezeichnet die gleiche Regie-Idee vorsichtig als dem Werk Wagners „untergeschoben“ und stellt im nächsten Atemzug fest: „Aber Asmik Grigorian trägt diese Idee als rebellierendes Mädchen, das die Lügen und Geheimnisse der Biedermänner nicht mehr aushält [in sich] …man hört die Komplexität ihrer Rolle in ihrem Gesang.“
Es geht also auch deutlich differenzierter in der Ablehnung.
Ich kenne jedoch keinen Bericht, welcher die Bayreuther Neuinszenierung quasi als Schändung eines „Musikguts der deutschen Kulturgeschichte“ hingestellt hätte und zudem auch noch jeden argumentativen Beweis hierfür schuldig geblieben wäre (abseits einiger zwar unterhaltsamer aber mehr polemischer denn sachdienlicher Hinweise zum Bühnenbild). Die Bayreuther Produktionen verfolgen seit 1978 ganz unterschiedliche Ansätze der Deutung, mal mehr mal weniger gelungen. Aber eben zumeist ohne die handelsüblichen „Zutaten“ aus Wagners Regie- und Szenenanweisungen. Scheitern und Gelingen liegen dabei ganz eng beieinander – wie im Theater nun einmal üblich, wenn man Richard Wagners Ausspruch „Kinder, schafft Neues!“ zumal in Bayreuth (!) ernst nehmen möchte.
Mir ist deshalb nicht klar, welche Grundvorstellung von Theater Ihrer pauschalen Empörung innewohnen mag. Hätte man den Festspielen nach der Premiere des Chéreau-Rings oder des Müller-Tristans die finanziellen Mittel für derlei Humbug, der von Publikum und Feuilleton gleichermaßen abgelehnt wurde, aus mangelndem Respekt vor deutschem Kulturgut gestrichen, hätte man Jahre später den einhelligen Jubel nebst stundenlanger Ovationen zur Dernière wohl verpasst. Nicht zu vergessen sei die stilbildende Wirkung und der Meilenstein-Charakter, welcher diesen Inszenierungen zwischenzeitlich zugebilligt wird, um nur zwei Beispiele herauszugreifen.
Ich glaube persönlich nicht, dass sich der HOLLÄNDER von 2021 in die Phalanx solcher Meilensteine einreihen wird, aber ich halte es für einen interessanten Ansatz, die Geschichte einmal unter diesem Blickwinkel zu beleuchten. Vielleicht bieten die kommenden Jahre und die „Werkstatt Bayreuth“ ja noch Gelegenheit, die Kongruenz zur Geschichte zu schärfen und deutlicher herauszuarbeiten, wofür es ja bekanntermaßen zig Beispiele aus der langen Festspielgeschichte gibt.
Das gilt übrigens auch für die musikalische Komponente der Produktion. Nur ein Beispiel: Während sich nahezu alle Medien im Lob für Oksana Lyniv fast überschlagen, wagt einzig die Süddeutsche Zeitung festzustellen, dass „die Dirigentin am Jenseitigen und Urgewaltigen [von Wagners Musik] scheitert“. Wobei die taz sogar noch ergänzt: „So klappert es immer wieder gefährlich […], an anderen Stellen fehlen aber einfach Wucht und Fallhöhe.“ – Trotzdem ein bemerkenswertes Debut, nicht wahr?
Die Wahrheit liegt wohl – wie meistens – irgendwo dazwischen und jede(r) macht individuelle Beobachtungen, die dann mit der persönlichen Erwartungshaltung abgeglichen werden.
Aber während ICH mich durch journalistische Rezensionen und Berichterstattungen über die Premiere informieren möchte, nehmen SIE für sich in Anspruch, Ihren Lesern eine solche zur Verfügung zu stellen. Ein gewisses Maß an sachlicher und fundierter Kritik darf deshalb meines Erachtens auch für den szenischen Part erwartet werden. Und dies – bitte erlauben Sie den Hinweis auf Ihr eigenes Selbstverständnis – vor allem dann, wenn Sie Ihren Blog so vollmundig als den „einzigen unabhängigen, JOURNALISTISCHEN Klassik-Blog im deutschsprachigen Raum“ bezeichnen.
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Bachmann, M.A.
(Frankfurt am Main)
Als Bonn zu Recht die Scala am Rhein genannt wurde, in der Ära Jean-Claude Riber und anschließend Giancarlo Del Monaco, sah man dort einen Holländer, der mich heute noch frieren läßt. Kein Abweichen von der Idee der Musik und der Geschichte und doch packend als sehe und höre man das zum ersten Mal. Vor allem ist mir der Däne Leif Roar in Erinnerung, der den Holländer sang, wie ich ihn nie zuvor und nie danach gehört habe.
Nur soviel zu Bayreuth: Asmik Grigorian und Eric Cutler waren die, weswegen man dahin hatte fahren sollen. Die Inszenierung, wie viele heute, verändern und interpretieren an dem Willen des Komponisten vorbei. Ich habe es anderswo schon einmal gesagt: man stelle sich vor, man schriebe den Zauberberg um und ließe ihn in einer Pizzeria in Klosters spielen mit Diskolight.
Asmik Grigorian hat mich im Tiefsten erfasst und wieder einmal deutlich gemacht, dass es Stimmen gibt, die einen an den Himmel des Gesangs denken lassen.