Philippe Jordan © Michael Pöhn, Wiener Staatsoper
„Wie bei einer Putzfrau.“ So habe sich Direktor Bogdan Roščić von Musikdirektor Philippe Jordan verabschiedet – nämlich gar nicht. Nicht mal im Haus sei er gewesen, als Philippe Jordan seine letzte Vorstellung an der Wiener Staatsoper dirigierte: „Götterdämmerung“, Richard Wagner. Das Publikum hingegen will ihn gar nicht mehr ziehen lassen. Blumen, 25 Minuten Schlussapplaus für den scheidenden Musikdirektor, der vielen fehlen wird.
Richard Wagner, Götterdämmerung
Wiener Staatsoper, 28. Juni 2025
von Jürgen Pathy
Es ist deutlich zu erkennen, dass er mit den Tränen kämpft, als Philippe Jordan gestern eines erlebt: den überwältigenden Zuspruch des Wiener Publikums. Fünf Jahre hatte die „Beziehung“ gedauert – mit Höhen, aber auch mit einigen Tiefen. Tiefpunkt des Zwists, den Philippe Jordan und Direktor Bogdan Roščić öffentlich ausgetragen hatten: eine mediale Schlammschlacht Ende 2022 in puncto Regietheater, dem sich Jordan nicht mehr unterwerfen wollte.
Ein Abschied ohne Handschlag
Seitdem schien es, als hätten sich die Wogen geglättet – aber der Schein hat wohl getrogen. Keine offizielle Verabschiedung, keine würdigenden Worte, nicht mal anwesend sei Bogdan Roščić gestern gewesen, als Philippe Jordan mit der Götterdämmerung seinen Abschied gefeiert hat. Stimmt so nicht, revidiert ein Stammgast: Aber schon vor dem Ende habe Roščić das Haus verlassen.
Der Abschied war teilweise gar nicht so pompös, wie man es vielleicht erwartet hätte. „Siegfrieds Trauermarsch“, das orchestrale Highlight gegen Ende des letzten Akts – nach knapp vier Stunden, in denen das Ende der Götterwelt besiegelt wird –, haben manche schon lauter krachen lassen. Man denke nur an Ádám Fischers Dirigat 2018, als hätte der das Haus in die Luft sprengen wollen. Derart explosiv sieht Jordan dem Ende also nicht entgegen. Könnte man meinen, würde man nur rein diesen Trauermarsch interpretieren: Der ist verhältnismäßig reserviert, so nach dem Motto: In jedem Ende wohnt auch ein Anfang.
Ein letzte Verneigung: Das Wiener Staatsopernorchester zeigt Größe
Highlights beschert Jordan hauptsächlich im ersten Akt, der mit einer Dauer von rund zwei Stunden eine Herausforderung sein kann (Jordan legt ihn minimal zügiger an). Nicht aber, wenn das Staatsopernorchester sich denkt: Heute werfen wir alles in die Waagschale, heute zählt’s. Mag die Beziehung zu Jordan nicht immer so reibungslos verlaufen sein, an diesem Abend keine Spur von irgendeiner Disharmonie.
Vom ersten Takt an ist er da, dieser süßliche, innige Ton, mit dem die Wiener Philharmoniker alle um den Finger wickeln. Angeführt vom Konzertmeister Yamen Saadi, daneben Vorstand Daniel Froschauer – ziemlich prominent besetzt, der Graben also. Obwohl ein paar hundert Meter weiter Thielemann das Orchester ebenso für sich beansprucht. „Ich schau mir nur den ersten Akt an, dann geht’s in den Musikverein zu Thielemann“, erfahre ich von einem Mitarbeiter des Hauses.
Vörös und Hangler prägen den Auftakt
Einige Highlights hat er somit noch miterlebt. Siegfrieds Rheinfahrt, ein orchestraler Rausch, den Jordan gestaltet, als wäre er im Auftrag seiner Majestät unterwegs: engagiert, aber nobel. Die drei Nornen, von denen die dritte wieder verdeutlicht: Regine Hangler ist eigentlich zu Größerem bestimmt, als nur am Schicksalsseil zu hängen, bis es reißt. Das Wissen um den „Virus“, an dem Anja Kampe seit zwei Tagen laboriert – dennoch wird sie die Vorstellung singen: subtil dramatisch, über weite Strecken überzeugend, die Höhen gar nicht so schrill.
Waltrautes Auftritt erlebt er ebenso noch. DAS Highlight, nicht nur, weil Jordan eine unglaublich intensive Atmosphäre erschafft. Auch, weil Szilvia Vörös mit wohltönendem Mezzosopran dieser Szene stille Größe verleiht – und spürbar macht, wie hier alles endgültig kippt.

Andreas Schager setzt den krönenden Abschluss
Was er allerdings versäumt: Andreas Schagers fulminanten Auftritt im letzten Aufzug. Erst da schwingt der sich von einer Note auf die andere – geschmeidig, heldenhaft, trotz des Todes vor Augen. Fast schon Wagner’scher Belcanto, wenn man das so bezeichnen will. Clemens Unterreiner als Gunther, der sich deutlich Gehör verschafft. Bei Samuel Youn hingegen entgeht ihm weniger: Der kämpft als Hagen vergeblich um stimmliche Autorität.
Was er sich aber nicht hätte entgehen lassen dürfen, ist der Abschied von Philippe Jordan. Dem wird man in Wien noch lange nachtrauern. Nicht nur wegen seiner optischen Eleganz – kaum einer verkörpert so viel Stil beim Dirigieren wie der gebürtige Schweizer, den es nun nach Paris zieht. Auch wegen vieler Highlights, die anfangs noch auf sich haben warten lassen: eine „Salome“ voller Spannung, ein „Tristan“ im Fieberwahn, ein mit Wehmut durchzogener „Don Carlo“ – UND, ganz besonders hervorzuheben, weil man Philippe Jordan gerne in die Wagner-Strauss-Schublade steckt: Mozarts „Così fan tutte“, bei der man im Land der Tränen gelandet ist.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 29. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Die Walküre Wiener Staatsoper, 22. Juni 2025
Richard Wagner, Das Rheingold Wiener Staatsoper, 20. Juni 2025