Wiener Staatsoper: Brünnhilde kreischt, Siegfried strahlt und das Orchester spielt ohne Probe

Richard Wagner, Siegfried,  Wiener Staatsoper

Foto: Michael Pöhn (c)
Wiener Staatsoper,
11. April 2018
Richard Wagner, Siegfried

Ádám Fischer, Dirigent
Sven-Eric Bechtolf, Regie
Stephen Gould, Siegfried
Herwig Pecoraro, Mime
Tomasz Konieczny, Der Wanderer
Iréne Theorin, Brünnhilde
Martin Winkler, Alberich
Jongmin Park, Fafner
Monika Bohinec, Erda
Hila Fahima, Stimme des Waldvogels

von Jürgen Pathy

Im komödiantischen Teil der Ring-Tetralogie nimmt Richard Wagner das Publikum mit auf die Entwicklungsreise des jungen, verwegenen Siegfried: Von der Selbstfindung (Schwertschmiedung) über das Durchsetzungsvermögen (Drachentötung) bis zum schwierigsten Teil im Leben eines naiven Junggesellen: der Liebe.

Als inzestuöser Spross von Siegmund und Sieglinde macht der in Virginia (USA) geborene Stephen Gould, 56, seinem Namen alle Ehren und glänzt darstellerisch wie stimmlich im mittleren und höheren Register – vor allem im Forte beweist er leuchtende Durchschlagskraft. Der Kammersänger, der 2019 am Grünen Hügel in Bayreuth wieder die Titelpartie in „Tristan und Isolde“ singen wird, wächst im Laufe des Abends immer authentischer in die Rolle des kühnen, jugendlichen Helden. Mit seinen Einlagen bekundet er bei der Waldvogelszene seine komödiantischen Fähigkeiten, zeigt eine enorme Ausdauer und strahlt auch noch in der abschließenden Liebesszene mit Brünnhilde, bei der er kurzfristig das Fürchten lernt.

Dieses lehrt auch eine im Forte kreischende Iréne Theorin, 54, die einen rabenschwarzen Tag erwischt. Das betörende Piano der debütierenden Staatsopern-Brünnhilde deckt wiederum das Orchester unter der Leitung des ungarischen Maestros Ádám Fischer, 68, völlig zu. Neben den neuerlich katastrophalen Hörnern nicht das einzige Mal, dass die Wiener Philharmoniker an diesem „dritten Abend“ den Sängern das Leben schwer gestalten. Kaum wahrzunehmen war auch das grazile Vögelchen der Hila Fahima.

Der Hochmut, den „Ring“ ohne eine einzige Orchesterprobe realisieren zu wollen, musste sich im Laufe dieses schwierigen, epochalen Werkes irgendwann rächen. Wer auch immer diesen Zustand zu verantworten hat, sollte sich bewusst vor Augen führen, dass die renommierte Wiener Staatsoper, eine weltweite Institution, einen Ruf zu verlieren hat.

Vorbildliches leistet ein weiteres Mal der als Wanderer getarnte polnische Parade-Wotan Tomasz Koniecny, 46. Mit Leib und Seele verschreibt sich der ausgebildete Schauspieler diesem wankenden Götter-Charakter, dessen vielschichtige, bedeutende Partie man laut dem Bassbariton „überhaupt nie ausschöpfen kann“. Der vielgepriesene Wagner-Sänger beweist das Gegenteil und kann diesem „Ring“ neuerlich seinen brillanten Stempel aufdrücken.

Unfähig die Mitgift der verstorbenen Sieglinde neu zu schmieden, erfährt der Niblung Mime „Nur wer das Fürchten nie erfuhr, schmiedet Nothung neu“. In der Rolle des egoistischen Ziehvaters von Siegfried zeigt der österreichische Kammersänger Herwig Pecoraro, 61, zwar Probleme im hohen Register, besticht das Wiener Publikum jedoch mit einem kauzig wackelnden Gang, einer charismatischen Stimme und einer deutlichen Artikulation.

Der außerordentlich sauberen Ausdrucksweise genauso mächtig ist der Bregenzer Charakter-Bariton Martin Winkler, dessen Alberich wieder einmal bemerkenswert glaubwürdig wirkt.

Nicht minder beeindruckend der mächtige Bass des Südkoreaners Jongmin Park, 31, der einen atemberaubenden Drachen gibt.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 13. April 2018, für
klassik-begeistert.at

Foto: Michael Pöhn

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