Foto 2014 © Bettina Stöß
Richard Wagner, Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg, Deutsche Oper Berlin, 5. Mai 2019
Ulrich Poser berichtet aus der Deutschen Oper Berlin
Die Vorstellung fing vielversprechend an: Der amerikanische Tenor Stephen Gould startete fulminant mit einem grandiosen „Dir töne Lob!“. Auch den Rest der Partie meisterte der „Bär aus Virginia“ mühelos. An manchen Stellen hätte man sich gewünscht, dass er sich etwas zurücknimmt; weniger wäre hier mehr gewesen. So hatte man doch zu oft den Eindruck, als hätte sich der fiebernde Tristan in die Wartburg verirrt. Eines ist aber sicher:
Es macht Freude, diesem Weltklassesänger mit Bayreuth-Festanstellung zuzuhören; er verfügt derzeit einfach über eine der stärksten und sichersten Wagnerstimmen.
Wie man durch leichte Zurücknahme sehr viel erreichen kann, hat der fantastisch, weil wunderschön lyrisch, textverständlich und kräftig singende Clemens Bieber als Walther von der Vogelweide vorgemacht. Mit seinem weichen Wohlfühltenor (KFV lässt grüßen) hat er an diesem Abend eine Lektion in Sachen Schöngesang erteilt. Schade, dass die Partie des Walther so kurz ist. Die Bravorufe am Ende des 2. Aktes hat sich Herr Bieber mehr als verdient.
Emma Bell als Venus und Elisabeth bot eine Leistung, die im Laufe des Abends das Prädikat umwerfend erhalten sollte. Anfangs an den hohen Stellen Ihrer Tessitur stellenweise noch etwas schrill, wuchs sie im weiteren Verlauf des Abends nach kurzer Zeit über sich selbst hinaus. Ihr glasklarer Sopran, ihre Stimmkraft, ihr vokales Einfühl- und Wandlungsvermögen und ihre zwischen Liebesgöttin und Heiliger sich wandelnde beeindruckende Erscheinung waren die Parameter, die ihr am Schluss großen Jubel bescherten.
Bejubelt wurde auch der gebürtige Kroate Ante Jerkunica als Landgraf Hermann. Stimmgewaltig setzte sein rabenschwarzer Bass Maßstäbe in Sachen Wagnergesang. Seine herausragende Textverständlichkeit und seine schier grenzenlose Stimmkraft ließen bei jedem seiner Einsätze aufhorchen und waren Auslöser wohliger Schauer. Große Freude, dass er an der DOB vorerst für länger seine Heimat gefunden hat.
Der Stabführer Stefan Blunier erhielt am Ende zurecht einige Buhs. Wenig Wagnermagie im Graben; zu viel Holter Polter. Das Wort Dampfkapelle wäre zwar eine zu böse Wahl, aber er ließ das Orchester zu oft zu laut agieren. Und Lautstärke allein schafft weder Dynamik, noch Magie. Die rauschauslösende Musik des Tannhäuser hat Besseres verdient.
Ganz anders der herausragende Chor der DOB: Wie gewohnt wurde hier auf höchstem sängerischen Niveau abgeliefert. Begeisterungsstürme aus dem Publikum waren der Lohn.
Dachte sich der Rezensent am Vorabend im Fliegenden Holländer noch in Bezug auf die Inszenierung, schlimmer ginge es nicht, wurde er am zweiten Abend im Tannhäuser eines Besseren belehrt. Die Inszenierung von Kirsten Harms ist über weite Stellen nichts als lächerlicher Klamauk. Mitverantwortlich für diesen Totalausfall sind in erster Linie die schlimmen Kostüme von Bernd Damovsky.
Bereits die Tatsache, dass die Protagonisten über weite Teile unbeholfen in laut scheppernden Ritterrüstungen auftreten mussten, gab sie der Lächerlichkeit preis. Jeden Moment wartete man darauf, dass John Cleese die Bühne als Ritter der Kokosnuss betritt. Frau Harms und Herr Damovsky haben unbeabsichtigt, aber miserabel bei Monty Python abgekupfert.
Tannhäuser sah aus wie Falstaff und Simon Keenlyside als Wolfram von Eschenbach wie sein 8-jähriger Sohn. Da konnte Letzterer seine Ode an den Abendstern noch so schön singen: Ertragen konnte man das nur mit verschlossenen Augen.
Der Gipfel an Sinnlosigkeit waren die im dritten Akt durchwegs an der Decke hängenden Ritterrüstungen: Willkommen im Fundus der DOB. Die eingesetzten Teufelsdrachen und die mäppern aussehenden Plastikpferde gaben dem Rezensenten den Rest. Da war es dann auch egal, dass die Pilger im Schlussbild allesamt in Krankenhausbetten lagen. Schlimmer ging es nicht.
Was für ein Wahnsinn, der genialen Tannhäuserinszenierung von Götz Friedrich ein solches Debakel folgen zu lassen. Ja, auf diese Art und Weise kann man ein etabliertes Haus auch in die 2. Liga manövrieren. Und im Gegensatz zu früher gab es einige freie Plätze.
Warum wird so etwas zugelassen? Warum?
Es hat den Anschein, als ob die Regisseure mit der Thematik nichts mehr anzufangen wissen. Auch ich tue mir mit dem Inhalt schwer. Der Tannhäuser ist ein typisches Produkt des deutschsprachigen Kulturkreises. Es werden Tugendhaftigkeit und Erotik auseinanderdividiert. Wir könnten da von dem persischen Dichter Nizami aus dem zwölften Jahrhundert lernen. In seinen „Sieben Geschichten der sieben Prinzessinnen“ erzählen die Prinzessinnen dem König vor der Liebesnacht Geschichten, die abgesehen von dem fehlenden Ideal der Einehe einer Hochethik zuzurechnen sind.
Lothar Schweitzer