Foto: (c) http://rolandovillazon.com / Centre Stage Artist Management Bayerische Staatsoper München, Münchner Opernfestspiele, 18. Juli 2018
Werke von Manuel de Falla, Federico Mompou, Fernando Obradors, Carlos Guastavino, Silvestre Revueltas, Alberto Ginastera, Alberto Nepomuceno und Luis A Calvo
Rolando Villazon, Tenor
Carrie-Ann Matheson, Klavier
von Raphael Eckardt
Auf seine Entertainer-Qualitäten ist seit jeher Verlass. Keiner scherzt, trinkt und tanzt so charmant unverkrampft wie Rolando Villazon. Das sollte sich auch am vergangenen Mittwoch im Bayerischen Nationaltheater bei den Münchner Opernfestspielen nicht ändern. Villazon ist eben Villazon – egal ob er italienischen Belcanto singt, oder aber wie an diesem Abend beinahe ausschließlich spanische und lateinamerikanische Kompositionen. Nur die hohen Töne seines unverwechselbaren Tenors, die hat das mexikanische Charmebündel nicht mehr richtig im Griff.
Dabei hat Rolando Villazon das Programm für seinen diesjährigen Soloabend in München äußerst geschickt zusammengestellt: Vergangenen Herbst noch mit den großen Arien Mozarts und Rossinis auf Tour, präsentiert er derzeit ein Programm mit überwiegend spanischen und hierzulande weitgehend unbekannten Komponisten wie Revueltas, Guastavino oder Manuel de Falla. Ein kluger Schachzug des mexikanischen Großmeisters, bedenke man die harsche Kritik, die Villazon für seinen überwiegend durchschnittlich gesungenen Mozart einstecken musste.
Begleitet wurde er auch diesmal von seiner langjährigen Weggefährtin Carrie-Ann Matheson am Klavier. Und die hat mit Villazons außergewöhnlich zusammengestelltem Programm wie erwartet keine Probleme. Ehemals Assistenzdirigentin und Pianistin an der New Yorker MET, arbeitete sie mit zahlreichen Dirigenten und Künstlern von Weltrang zusammen. Als Pianistin gab sie Rezitals mit Beczala, DiDonato oder Thomas Hampson. Kurzum: Matheson spielt auch an diesem Abend ihre volle Erfahrung aus und fügt sich nahtlos in die von Villazon kreierte musikalische Landschaft aus lateinamerikanischem Temperament und spanischem Feuer ein.
Mit sieben spanischen Liedern („Siete canciones populares espanolas“) von Manuel de Falla zeigt Villazon dann gleich zum Auftakt sein volles künstlerisches Potenzial. Mit herrlich spitzfindiger Komik führt Villazon von einem musikalischen Höhepunkt zum anderen. Immer wieder blitzen da feurig scharfe Töne auf, die mit unverwechselbarem Glanz aus temperamentvoll loderndem Feuer versehen werden. De Fallas Kompositionen überzeugen durch abwechslungsreiche und augenzwinkernde Texte mit brillanter Vertonung, die freilich exzellent zu Villazons natürlichem Temperament passen: „Al pano fino, en la tienda, una mancha le cayo; por menos precio se vende, porque perdio su valor…ay“ (zu deutsch etwa: „Auf das feine Tuch im Laden fiel ein Fleck; man verkauft es zu einem geringen Preis, weil es seinen Wert verlor…ohweh“). Schachzüge wie dieser sollten sich wie ein roter Faden durch einen kurzweiligen, aber musikalisch nicht immer vollends überzeugenden Abend ziehen. Durch intelligente Liedauswahl gelang es Villazon zwar weitgehend, seine sängerisch mittlerweile unverkennbaren Schwächen zu überdecken, die hohen Töne seiner eigentlich fein timbrierten Tenorstimme sind an diesem Abend dennoch häufig mit einem smogartigen Grauschleier überzogen. Sei’s drum!
In den nachfolgenden Werken von Federico Mompou („Seleccion de canciones“) und Fernando Obradors („Canciones clasicas“) überzeugt Villazon vor allem mit großartigem musikalischem Faltenwurf. Da schimmern fein kultivierte Legati zwischen dicht verschlungenen Gestrüppen aus Motiven hervor. Immer wieder gelingt es Villazon, musikalische Phrasen, die scheinbar getrennt voneinander durch das Stück führen, zu herrlich verzierten Einheiten verschmelzen zu lassen. Als dann warm angehauchte Piani in mystisch anmutende Welten Einlass gewähren, wird auch dem letzten Zweifler klar, dass Villazon immer noch zu den besten Sängern unserer Zeit gehört. In Kombination mit Mathesons feinfühligem, aber keineswegs temperamentlosem Klavierspiel entstehen da immer wieder fabelhafte musikalische Verzierungen, die höchste Phrasierungskunst offenbaren. Fabelhaft!
Zur Höchstform läuft der Kinderclown Villazon aber auch diesmal erst dann auf, als er sein inneres „Bühnentier“ komplett von der Leine lässt. Etwa in Silvestre Revueltas’ Cinco canciones de Ninos, in denen er spritzig abwechslungsreiche Dialoge urkomisch akzentuiert, oder wenn er in Carlos Guastavinos Alegria de la soledad mit seinen markanten Augenbrauen ein lateinamerikanisches Tänzchen wagt, das man als schauspielerische Einlage wohl eher in einem Kurt-Weill-Singspiel erwartet hätte. Überhaupt steigert Villazon sich am Ende mit beeindruckend textintelligenten Interpretationen von argentinischen, brasilianischen und kolumbianischen Kompositionen in dramatisch höchsten Furor hinein, der durch Matheson, furios am Steinway auftrumpfend, brillant untermalt wird.
Dann ist eigentlich Schluss, aber nicht bei Villazon. Der dreht sein feuriges, zur Ekstase neigendes, unverwechselbares Temperament erst richtig auf und schmeißt mit Zugaben um sich, verteilt Küsschen (gefühlt an jeden Zuhörer einzeln) und veranstaltet einen Bühnenzirkus, bei dem sich mancher konservativ angehauchte Münchner Operngänger verwundert die Augen reiben dürfte. Aber so ist das eben mit den lateinamerikanischen Opernstars, mit den Neymars der Klassikszene – mit Rolando Villazon.
Raphael Eckardt, 19. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de