Beethovens Musik ist universell: Lisa Batiashvili und das Concertgebouworkest liefern im Wiener Konzerthaus den Beweis für Barenboims Lieblingsspruch

Royal Concertgebouw Orchestra, Paavo Järvi, Lisa Batiashvili, Violine  Konzerthaus Wien, 19. Februar 2023

Foto: Lisa Batiashvili © Sammy Hart

Diese Musik bringt selbst die kleinsten aller Gäste im rammedickevollen Konzerthaus zum Stillsitzen – für einige bleibt tatsächlich nur noch der Sitzplatz Mama. Beethovens Musik ist eben universell, ein Genuss für alle Ohren, auch und gerade mit dieser genialen Schnittke-Kadenz…

Royal Concertgebouw Orchestra
Paavo Järvi, Dirigent
Lisa Batiashvili, Violine

Werke von Ludwig van Beethoven und Sergei Prokofjew

Konzerthaus Wien, 19. Februar 2023

von Johannes Karl Fischer

Wie ein Relikt aus alten Zeiten. Nein, keine Spur eines antiquierten „Museumskonzerts“, stattdessen eine in die lebendige erste Blütezeit der Musikstadt Wien. Die Stimmung so berauschend wie die 200-Jahre alten Kritiken der Uraufführung. Im Theater an der Wien war das Beethoven-Violinkonzert 1806 erstmalig zu hören. Einzig der Musikverein ist noch näher.

Kern dieses aufregenden Programms ist Alfred Schnittkes haarsträubende Kadenz, wunderbar und hochvirtuos gespielt von der Solo-Violinistin Lisa Batiashvili. Als wäre sie ihr gerade eingefallen, genau wie Beethoven, der seinerzeit minutenlang Klavierkadenzen improvisierte. Inmitten tonaler Melodien finden auch Dissonanzen des 21. Jahrhundert nach und nach ihren Platz. Im Finalsatz droht Schnittke das Ganze im tumultartigen Alptraum einer Welt vor Massenfolter und -vernichtungswaffen versinken zu lassen, doch kommen die Celli des Wiener Altmeisters zur Rettung. „Beethovens Musik ist universell“ – so liefert Batiashvili den Beweis für Barenboims berühmtes Beethoven-Zitat. Und gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die zweite Konzerthälfte…

Von Batiashvilis Wundergeige schwebt aber schon vorher eine atemberaubende, unendliche Melodie durch den Saal. Die wunderbare Akustik wirkt wie kunstvoll gezaubert von der Solo-Geigerin, alle Ohren und Augen stehen stets auf sie. Nach einer edlen, runden Einleitung des glasklar spielenden Concertgebouworkests packt sie das Konzert mit festem Griff, spielt die dramatischen Höhepunkte voll aus. Eine Priese der romantischen Freiheit – der Epochenwandel dieses Konzerts bahnt sich an –  und doch stets mit einer starken Infusion an Wiener Charme. Ihre Kunst erzählt einen Roman in der allverständlichen Sprache Beethovens.

Das waren fünfundvierzig Minuten reinster Genuss, da kann kein Tristan dieser Welt mithalten und auch Thielemann muss sich warm anziehen! Selbst die kleinsten aller Gäste – auf dem Sitzplatz Mama sitzend – können die drei Sätze nur mit offenen Ohren und Augen mucksmäuschenstill verfolgen. Das ist die Genialität und Universalität dieser Musik. So klingt der Batiashvili-Beethoven-Zauber!

Nach dieser ersten Hälfte hat man haushohe Erwartungen an die zweite. Und mit Prokofjew 5 steht gleich der nächste Hammer auf dem Programm. Die Klarinetten-Soli im zweiten Satz frisch und keck, das langsame Adagio weich und breit. Auch in der zweiten Konzerthälfte gibts es viele Highlights zu hören. Für das Orchester ist auch diese brutal schwere Sinfonie des 20. Jahrhunderts kein Problem, an Individualkönnen mangelt es unter diesen MusikerInnen nicht. Das muss man bei Prokofjew erstmal hinkriegen.

Eine sehr schöne Sinfonie ist hier zu hören. Zu schön, denn diese Musik stammt aus einer gänzlich anderen Zeit als Beethoven. 1944 in Russland ist sie entstanden, inmitten des deutschen Kriegsterrors. Da könnte Paavo Järvi das Orchester ruhig mal etwas feuriger spielen lassen. Wenigstens ein bisschen des ästhetisch Unschönen, das naturgemäß zu dieser Musik gehört, zulassen. So nach dem Vorbild Schnittke, Batiashvili hat es in der ersten Hälfte schon prima vorgemacht. Das war richtig toll.

Paavo Järvi © Julia Bayer

Als Zugabe gibt’s den Valse Triste von Sibelius. Wunderbar, wie sich auch das Concertgebouworkest schwungvoll in der Ballsaison zurecht findet… fast könnte man meinen, die waren vorher tatsächlich beim Tanzen. Und höchst lobenswert, dass zur Abwechslung mal nicht immer dieselben fünf Schlagerwalzer gespielt werden!

Nach der Alpensinfonie am Vortag schrieb ich einer Kollegin: „Thielemann/Philharmoniker war schon heute der Hammer.“ Batiashvilis Beethoven war der Mega-Hammer. Was wohl aus Thielemanns Bruckner wird? Oder sind in der Musikstadt Wien solche Ausnahme-Konzerte einfach die Norm?

Johannes Karl Fischer, 20. Februar 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Elbphilharmonie, 10., 11. und 12. November 2022

Concertgebouworkest Víkingur Ólafsson, Klavier, Martin Fröst, Klarinette, Alain Altinoglu, Dirigent Essen, Philharmonie, 10. September 2022

NDR Elbphilharmonie Orchester, Lisa Batiashvili Violine, Dirigent Alan Gilbert Elbphilharmonie Hamburg, 2. September 2020

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