Man kennt das “hohe C” mit dem jeder Tenor hofft, sein Publikum in den Bann zu ziehen. Dieser Beitrag befasst sich allerdings mit drei Interpreten verschiedener Stimmlagen (Sopran, Tenor, Bass), die das Opernpublikum begeistert haben nicht nur durch einen Ton, sondern durch ihr ganzes künstlerisches Schaffen, und damit die Opernwelt maßgeblich verändert haben. Ihre Namen beginnen alle mit “C”. Zufall? Aber was vereint diese drei Künstler außer dem Anfangsbuchstaben ihrer Namen?
von Jean-Nico Schambourg
Keinen dieser Sänger habe ich jemals live erlebt. Wie auch, als Jahrgang 1959 hätte höchstens bei Maria Callas eine kleine Möglichkeit darauf bestanden. Aber die Kunst dieser drei Persönlichkeiten ist uns Gott sei Dank auf Schallplatte überliefert geblieben.
Beim Anhören der Aufnahmen dieser drei Sänger bin ich gleichermaßen fasziniert von der Größe ihrer Darstellung. Nein, sie singen nicht immer stimmtechnisch perfekt und fehlerfrei und treffen auch nicht immer den richtigen Stil des Musikstückes (oder zumindest unsere heutige Vorstellung davon). Aber wie sie, mit ihren stimmlichen Mitteln, die Personen die sie darstellen zum Leben erwecken, das kann keinen echten Opernliebhaber kalt lassen.
Enrico Caruso ist DER Inbegriff des Tenors. Er sang auf allen bedeutenden Bühnen der Welt. Ab 1903 war er 17 Jahre lang an der Metropolitan Opera New York engagiert. Hier setzte der Tenor den Maßstab für kunstvolles Singen. Enrico Caruso sang und spielte nicht nur die großen Opernpartien, er lebte sie. Man bewunderte die außergewöhnliche Bühnenpräsenz und strahlende Kraft und den dunklen Schmelz seiner Stimme, die er in technischer Vollendung beherrschte.
Im Gegensatz zu den beiden anderen Giganten die in diesem Beitrag besprochen werden, gibt es von Caruso weder Filmaufnahmen seiner Gesangskunst, noch Live-Mitschnitte seiner Auftritte. Was seine Bühnenpräsenz angeht, müssen wir uns allein auf die Kommentare und Kritiken seiner Zeitgenossen verlassen. Seine musikalische Ausnahmeposition können wir aber anhand der Schallplattenaufnahmen erkennen.
Caruso ist der erste “Startenor” der Musikgeschichte. Dieser Rang wird auch begünstigt durch den Umstand, dass er als erster großer Sänger die Wichtigkeit der Schallplatte erkannte und ausnutzte. 247 Aufnahmen wurden von ihm zwischen 1902 und 1920 veröffentlicht. Viele seiner Aufnahmen sind Referenz-Einspielungen. Ich begnüge mich mit zwei seiner beispielhaftesten!
Es ist zuerst seine Interpretation der Arie des Canio “Vesti la giubba” aus der Oper “Pagliacci” von Ruggero Leoncavallo, die für viele seiner Bewunderer als ein perfektes Beispiel für sängerische Darstellung zählt. Er hat diese Arie dreimal aufgenommen. Die letzte Version von 1907 mit Orchester gibt meiner Meinung nach am Besten die Vollkommenheit der Interpretation betreffend die Wut und die Verzweiflung des Canio wieder.
Im Gegensatz zu anderen Tenorkollegen von damals und heute, wirkt die Interpretation von Caruso nicht weinerlich, larmoyant. Seine Stimme ist fest und gut fokussiert, was ihm in allen Passagen der Arie eine vollkommene Kontrolle über den Ton garantiert. Wunderbar sein Singen der Schlussphrase “Ridi del duol” wo er die Verzweiflung des Canio durch zweifaches Glissando auf den Silben “Ri-di” ausdrückt.
Am Ende der Arie bei der Phrase “che t’avvelena il cor” hört man auch das typische “Caruso Weinen”, das aber kein aufgesetztes, kitschiges Schluchzen ist, das dem Sänger im Halse stecken bleibt. Er saugt die Luft zwischen den Wörten “avvelena“ und “il” mit einem kleinen Schluchzer an und setzt gleich auch einen weiteren kleinen Effekt auf das Wort “cor”. So kann er die Verzweiflung des Canio über die Untreue seiner Frau Nedda wunderbar ausdrücken ohne die Gesanglinie zu unterbrechen.
Mit seiner Stimme setzte Caruso Maßstäbe im Verismo-Fach. Er sang in 10 Welturaufführungen so auch in “Fedora” von Umberto Giordano, “Adriana Lecouvreur” von Francesco Cilea, “La Fanciulla del West” von Giacomo Puccini. Aber auch im Bel Canto Repertoire gelten seine Aufnahmen als absolute Referenzen wie die folgende Aufnahme der Arie “Una furtiva lagrima” aus “L’elisir d’amore” von Gaetano Donizetti eindrucksvoll zeigt.
Zwischen 1902 und 19011 hat er diese Arie viermal aufgenommen. Wenn man die Aufnahmen von 1904 und von 1911 miteinander vergleicht, fällt natürlich zuerst die Wandlung der Stimme Carusos vom lyrischen zum dramatischen Tenor. Besitzt sein Ton in der ersten Aufnahme noch vielmehr die Weichheit in der Tradition des “tenore di grazia”, so hören wir in der späteren Aufnahme eine männliche Stimme, warm gefärbt von der Sonne Italiens.
Aber in all seinen Aufnahmen weiß Caruso die verschiedenen Gefühlsmomente des Nemorino wunderbar zu interpretieren: dessen anfängliche Melancholie über die Träne in den Augen seiner angebeteten Adina, dann die Freude über die Erkenntnis, dass sie ihn liebt und doch immer wieder seine Schüchternheit sie darauf anzusprechen.
Am 17. Februar 1901 sang Caruso den Nemorino an der Mailänder Scala. Nach der Vorführung kam der große Dirigent Arturo Toscanini auf die Bühne, küsste Caruso und rief aus “Per Dio! Se questo napoletano continua a cantare così, farà parlare di sé il mondo intero.” (Mein Gott! Wenn dieser Neapolitaner weiter so singt, wird die ganze Welt von ihm sprechen). Der Maestro irrte sich nicht in seinen Bewertung!
Einen Monat später am 16. März trat Enrico Caruso erstmals zusammen mit dem russischen Bass Fjodor Chaliapine* (1873-1938) an der Scala auf, wieder unter der Leitung von Arturo Toscanini, in der Oper “Mefistofele” von Arrigo Boito.
Diesem Bass-Giganten begegnen wir in Teil 2 dieser Klassikwelt, am Sonntag, 23. Oktober 2022.
Jean-Nico Schambourg, 9. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
* Für sein Leben in der westlichen Welt benutze Chaliapine selbst die französische Schreibweise seines Namens. Zum Zweck diese Artikels behalte ich diese Schreibweise bei.
Schammis Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Jean-Nico Schambourg, Jahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölf Sprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, alle zwei Wochen.
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