Herbert Lippert gelingt es nur bedingt mit Schuberts Winterreise zu erwärmen

Schuberts Winterreise in Ton und Bild, Herbert Lippert, Wiener Staatsoper, Gustav Mahler-Saal

Foto: © Michael Pöhn
Schuberts Winterreise in Ton und Bild,
29. Oktober 2017
Gustav Mahler-Saal der Wiener Staatsoper
Herbert Lippert, Solist
Eduard Kutrowatz, Klavier

Von Bianca Schumann

Eine Premiere der besonderen Art erwartete die Besucher des Liedernachmittags in der Wiener Staatsoper. „Schuberts Winterreise in Ton und Bild“.

Im 19. Jahrhundert wurde es mit der aufkeimenden und bald Blüte tragenden Idee der Programmmusik rasch üblich, sich als Komponist einer außermusikalischen Bild- oder Textvorlage zu bedienen, um diese in Töne zu gießen. Herbert Lippert drehte den Spieß nun um: Der bislang allgemein als Opernsänger bekannte Tenor hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein jedes der 24 Lieder von Franz Schuberts Winterreise in Form von stimmungsvollen Landschaftsgemälden zu porträtieren. Die Ergebnisse seiner malerischen Arbeiten schmückten den Gustav Mahler-Saal am Samstag anlässlich des Konzerts und sind noch bis Ende November ebendort zu besichtigen.

Die Winterreise gilt zusammen mit dem Zyklus Die schöne Müllerin als Höhepunkt der Gattung des Liederzyklus‘, sowie des Kunstliedes. Technisch als auch interpretatorisch stellt ein jedes einzelne der Lieder eine große Herausforderung für Sänger und Pianisten dar. Es gibt kaum einen Weltstar, der sich nicht angeschickt hat, sein Können anhand dieses musikalischen Meilensteins zu demonstrieren und auf Tonband zu verewigen. Gelang es Herbert Lippert, diesem Urgestein an der Wiener Staatsoper, sich in diesen Reigen, bestehend aus den Besten der Besten, einzureihen?

Leider nur bedingt.

Das erste Lied: Gute Nacht. Wir hören, das lyrische Ich nimmt Abschied von seiner Liebsten. Es wandert los in finstrer Nacht, durch Schnee und Kälte. Eduard Kutrowatz am Klavier erwischt gleich das richtige Timbre. Es ist alles vorbereitet für den ersten stimmlichen Einsatz, doch – dieser mag nicht ganz glücken.

Es macht den Anschein, als ob Lippert stimmlich ein wenig wackelig aufgestellt sei. Besonders in hohen Piano-Passagen, wie gen Schluss des Liedes beim Vers Fein Liebchen gute Nacht macht es gar den Anschein, als ob Lippert die Führung seiner Stimme nicht vollkommen unter Kontrolle hätte. Zu luftig klingt es, die Intonation ist nicht immer auf dem Punkt. Aber gut, das erste Lied darf wackeln. Es folgen ja noch 23 weitere.

Die Wetterfahne kommt Lippert mit ihren kräftigen Phrasen im Forte weit mehr entgegen, als die fragilen Pianissimobögen der vorherigen Nummer. Doch kein Stück der Winterreise gibt sich mit bloßen triumphierenden Forteabteilungen zufrieden. Der schnelle Wechsel zwischen exaltiert leidenschaftlichen und introvertiert gebrechlichen Phrasen ist es, der die interpretatorisch wie technische Schwierigkeit, aber eben auch den ästhetischen Wert dieses Zyklus‘ ausmacht! Leider konnte Lippert hier nur zur Hälfte punkten.

Wann immer Lippert die Gelegenheit bekam, seine Stimme in tieferer Stimmlage in satter Dynamik anbringen zu können, passte fast alles. Die Gefrornen Tränen und auch die Erstarrung gehörten daher zu den überzeugenderen Darbietungen des Abends.

Was Lippert hoch anzurechnen ist, ist dass er sich bis ins Detail mit dem Zyklus auseinandergesetzt hat. Jedes Wort, jeder Ton sollte einen eigenen Ausdruck tragen. Doch vielmals segnete uns Lippert gar mit zu viel des Gutem. Im stürmischen Morgen sang der 60 Jahre alte gebürtige Linzer keine einzige Phrase in einer Stimmfärbung durch. Ganz unerwartet wurden Schlussworte unnötig stark betont. Ein wenig mehr Ruhe, mehr Vertrauen in die Wirkungsmacht des Werkes selbst und weniger aufgesetzt wirkende Deklamation hätte dem Höreindruck gutgetan.

Ein treffliches Beispiel für zu viel Wortausdeutung servierte Lippert dem Auditorium im elften Lied, dem Frühlingstraum. Ein wunderschönes Lied! Das Klaviervorspiel entführt die Hörer im wiegenden Sechsachtel-Takt in die Welt der warm seligen Erinnerungen des lyrischen Ichs. Eduard Kutrowatz brilliert hier, wie auch schon zuvor beim Lindenbaum erneut mit seiner präzisen doch zugleich einfach bescheidenen Interpretation des Klaviervorspiels.

Im Mittelteil dann der Stimmungsumbruch. Das Klavier bricht in Unruhe aus. Das lyrische Ich berichtet von Raben, die vom Dach schrien, und was macht Lippert? Im Übereifer schreit auch er förmlich diesen Vers in den Saal. Das hat nur mehr wenig mit Liedgesang zu tun.

Die Nebensonnen, das vorletzte Lied, erklingt dann auf einmal doch ganz ruhig, ganz sinnlich. Die Linienführung ist klar, von künstlichen Ausbrüchen keine Spur. Schade, dass sich die Stimmung erst jetzt am Ende des Zyklus‘ so richtig einnisten will.

Bianca Schumann, 30. Oktober 2017,
für klassik-begeistert.at

 

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