Foto: Lisa della Casa, Arabellissima © Foto Fayer
von Lothar Schweitzer
Die Rezensionen über diese Oper von Richard Strauss nach der Premiere bei den Salzburger Festspielen 1958 sind nicht überwältigend ausgefallen. Die Feuilletons waren meine erste Begegnung mit dem Werk. Die „Arabella“ – ein Studienfreund nannte seine erste Tochter nach dieser Oper – führt bis heute ein Schattendasein neben dem „Rosenkavalier“. Ich las sogar Vergleiche mit einer Operette!
Im Gegensatz zu „Don Giovanni“ und „Tiefland“ lernte ich „Arabella“ in der Oper und nicht zuerst durch eine Schallplatte näher kennen und lieben. Es war der denkwürdige 17. Juni 1960 mit Lisa della Casa, Dietrich Fischer-Dieskau und der bezaubernden Anny Felbermayer als Zdenka, die sie an dem Abend das einzige Mal an der Wiener Staatsoper sang.
Im Vergleich zu „Don Giovanni“ und „Tiefland“ kaufte ich keine mir noch unbekannte Oper, wiederum nicht als Album, sondern einen Querschnitt von der bewährten Firma Decca.
Otto Edelmann singt den heruntergekommenen Grafen Waldner, als geborener Wiener echt wienerisch, aber nicht in grobem Dialekt, wie leider manchmal zu hören, dafür mit noblem Schönbrunner Deutsch. Die Basspartie hat nicht die extremen Tiefen des Baron Ochs im „Rosenkavalier“, kommt also Edelmanns Bassbariton entgegen.
Lisa della Casa war in den Fünfzigerjahren d i e „richtige“ Idealbesetzung der Arabella. „Aber der Richtige, wenns einen gibt für mich auf dieser Welt, der wird einmal dastehn …“ Und wie das „Dastehn“ durch ihren Mund klingt! „ … und wird mich anschaun …“ Man spürt einfach schon die Seligkeit, die kommen wird. „Selig werd ich sein und gehorsam wie ein Kind.“ Der zweite Teil des Satzes irritiert heute etwas. Aber niemand würde wagen Hugo von Hofmannsthal dramaturgisch verändern zu wollen. Auch wenn sie im zweiten Akt im Zweigesang singt: „Und du wirst mein Gebieter sein, und ich dir untertan.“ Auch einer selbstbewussten Frau ist das Bedürfnis nicht fremd sich anlehnen zu können. Mich hat es zumindest vor einem halben Jahrhundert gerührt, wenn Lisa della Casa dann fortsetzt: „Dein Haus wird mein Haus sein, in deinem Grab will ich mit dir begraben sein – so gebe ich mich dir auf Zeit und Ewigkeit.“ Ich könnte heute jugendliche Opernbesucher fragen, wie es die Opernlegende Marcel Prawy nach einer „Madama Butterfly“ machte: „Nicht zu kitschig?“ Er war glücklich, als sie seine Frage verneinten. Wie wirkt dieser Text heute auf die Jugend?
Hilde Güden singt Arabellas Schwester Zdenka, die als Zdenko in der Gesellschaft auftreten muss, weil ihr Vater zwei Töchter nicht standesgemäß ausstatten kann, bis das Schicksal es anders vorsieht. Mit ihrem glänzenden Sopran war sie im Zusammenklang mit Lisa della Casa das vollkommene Paar. Mit meiner wachsenden Erfahrung könnte ich mir heute die Güden in dieser Rolle auf der Bühne nicht mehr vorstellen.
„So gib das Mädel mir zur Frau!“ Ich sitze Galerie, Seite, meine Stimmbänder sind in Anspannung, tonlos bewegen sich meine Lippen, der eindrucksvolle Rest wird mit Wohlklang auf der Bühne Wirklichkeit. Hochstimmung.
Durch die Decca-Schallplatte mit George London als Mandryka bin ich gut vorbereitet. Einzig Thomasz Konieczny (Wiener Staatsoper) und Wolfgang Brendel (Glyndebourne Festival) erreichten bei unsren Arabella-Erlebnissen asymptotisch den Bassbariton mit der begnadeten dunkel und voll tönenden Stimme. Begnadet nicht als Geschenk gemeint, sondern als für eine begrenzte Zeit anvertraut. Während ich auf dieser Arabella-Platte George London als Mandryka und in Rundfunksendungen vor allem mit der Spiegelarie bewunderte, stand er nach einer Stimmbandlähmung nicht mehr als Mandryka, Don Giovanni, Boris Godunow und Scarpia auf der Bühne.
Georg Solti und die Wiener Philharmoniker geben der herrlichen Musik von Richard Strauss ihr Fundament.
Von Alison Jensen stammt folgende Zeichnung (signiert Glyndebourne 1996) Wolfgang Brendel am Schluss des 3. Akts darstellend, wenn er singt: „So wahr aus diesem Glas da keiner trinken wird nach mir, so bist du mein und ich bin dein für ewige Zeit“, bevor er das von Arabella als Zeichen ihres Einverständnisses gereichte und von ihm ausgetrunkene Glas Wasser auf die Steinstufen schmettert.
Und Arabella antwortet ihm: „Und so sind wir Verlobte und Verbundene auf Freud und Leid, und Wehtun und Verzeihn.“ Das ist Hugo von Hofmannsthal! Wäre empfehlenswert Brautpaaren ins Stammbuch zu schreiben.
Für meine Frau und mich sind „Der Rosenkavalier“ und „Arabella“ vom Wesen verschiedene, aber gleichwertige Schwestern.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 30. Juni 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“