Foto: Dittus (c)
Silvester- und Neujahrskonzerte in Hamburg
Elbphilharmonie und Laeiszhalle,
31. Dezember 2017 / 1. Januar 2018
Hamburg, diese wunderbare Stadt im Norden Deutschlands, bietet sich hervorragend für einen Jahreswechsel für klassik-begeisterte Menschen an. Wer wie klassik-begeistert.de das Glück hatte, den Silvesterkonzerten in der Elbphilharmonie sowie dem Neujahrskonzert in der Laeiszhalle beizuwohnen, kann sehr positiv gestimmt ins neue Jahr gehen.
Am letzten Vormittag des Jahres 2017 lud das Philharmonische Staatsorchester Hamburg zu einem Moment des Innehaltens, zur Rückschau und zu einem Blick nach vorn. In turbulenten Zeiten setzte das Orchester auf Beständigkeit. Woran kann man sich halten, wenn die Zukunft ungewiss ist?
An die Musik – und zwar die Musik, die viele Jahrhunderte überdauert hat, die zugleich für Lebensfreude als auch für Vertrauen und Hoffnung steht: Musik von Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart. Ergänzt wurde das Programm durch Charles Ives‘ „The Unanswered Question“, einem Schlüsselwerk der musikalischen Moderne, und Werken für Orgel solo des französischen Organisten und Komponisten Jehan Alain.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung des US-Amerikaners Kent Nagano legte einen musikalisch vorzüglichen Vormittag hin. Was für ein gefühlvoller, bewegender Einstig mit Charles Ives! Mit einem ganz zarten Pianissimo entführten die Streicher die Zuhörer in eine andere Welt, während ein Trompeter wunderbare Fragezeichen aus dem Zuschauerrang in Ebene 15 blies. Vorbildlich verhielt sich ein älterer Zuschauer, der nach einem Hustenanfall sofort leise den Saal verließ.
Die Fantaisie Nr. 2 und die Litanies von Jehan Alain, von Christoph Schoener dargeboten an der Orgel, waren dann ein Programmpunkt, der nur von einer kleinen Minderheit im Großen Saal goutiert wurde. Wer bitte schön hat dieses Stück voller Dissonanzen ausgesucht? Da gibt es doch hunderte, ja tausende andere Werke, die besser zu einem Silvestervormittag passen. Zahlreiche Zuhörer in Ebene 15 hielten sich unweit der Orgel die Ohren zu – für normale Ohren ist es definitiv nicht angenehm, in der Nähe der Orgelpfeifen ein Forte oder gar Fortissimo zu hören. Dieses Stück dürfte in naher und ferner Zukunft (inter-)national kaum gespielt werden. Höflicher, kurzer Beifall.
Dann ein wunderbarer Bach: »O Ewigkeit, du Donnerwort« (BWV 20 und 60). Mit der angenehm ausgewogen singenden Mezzosopranistin Ida Aldrian – sie bot die beste Einzelleistung –, dem frisch und beschwingt singenden Tenor Robin Tritschler und dem voll und väterlich klingenden Bass Tareq Nazmi, in Kuwait geboren und in München aufgewachsen, der Silvester 2016 im Theater an der Wien als eifersüchtiger und tollpatschiger Masetto in Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ zu überzeugen wusste.
Don Giovanni, Mozart, 9. Sinfonie, Beethoven, Theater an der Wien, Wiener Konzerthaus
Die 41 Frauen des Chores St. Michaelis bestachen mit einer stimmlich vollen und beschwingten Darbietung. Nur die 21 Männer lieferten eine wenig überzeugende Darbietung ab: Sie waren – der Kritiker saß auf einem guten Platz in Ebene 15, Bereich J, Reihe 2, Platz 10 – leider kaum zu hören. Hier wäre viel mehr männliche Präsenz erforderlich gewesen! Auffällig war, dass im Chor – typisch für viele Chöre in der Hansestadt – nur 7 Männer bis etwa 45 Jahren sangen. Dieser traditionsreiche, wunderbare Chor braucht dringend mehr junge frische Männerstimmen. Auffällig war auch ein älterer, in der letzten Reihe singender Mann, der die ganze Zeit mit nach unten gebeugtem Kopf sang und den Dirigenten nicht eines Blickes würdigte.
Etwas besser zur Geltung kamen die Männer des Chores dann in der zweiten Hälfte des Vormittags in Wolfgang Amadeus Mozarts Messe C-Dur (KV 317), der „Krönungsmesse“. Zu den drei Solisten gesellte sich die stimmlich gute aber nicht ganz fehlerfrei singende Sopranistin Evgeniya Sotnikova.
Wenn allerorten fröhlich und mit beschwingter Musik der Jahreswechsel gefeiert wird, will auch die Elbphilharmonie am Silvesterabend nicht hintenanstehen. Schließlich bietet sie nicht nur einen einzigartigen (Musik-)Festsaal, sondern auch den besten Blick über den Hafen – so blieben die Foyers nach dem Abendkonzert bis nach Mitternacht geöffnet.
Das NDR Elbphilharmonie Orchester begrüßte das neue Jahr mit einer großen Belcanto-Gala mit den schönsten Arien von Rossini, Donizetti, Verdi & Co. Die Sängerbesetzung wurde angeführt von der russischen Starsopranistin Olga Peretyatko-Mariotti, deren aufregende Stimme auch regelmäßig an der Hamburgischen Staatsoper – hier gab es zu Silvester „La Belle Hélène“ von Jacques Offenbach und am Neujahrstag das „Weihnachtsoratorium“ (I – VI) von Johann Sebastian Bach als Ballett von John Neumeier – zu hören ist.
Es war ein wunderbar beschwingter und musikalisch beglückender Abend im Großen Saal der Elbphilharmonie. Der US-Amerikaner James Conlon, 67, seit 2016 Chefdirigent des Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI di Torino und Generalmusikdirektor der Los Angeles Opera, versprühte eine einnehmende positive Energie und animierte das NDR Elbphilharmonie Orchester zu Höchstleistungen.
Super, dieses Spitzenorchester kann auch Oper! Die 2100 Zuschauer in der Elbphilharmonie und Tausende von Radiohörern von NDR Kultur hatten ihre wahre Freude. Das war Italianità pur von einem norddeutschen Klangkörper. Da stimmten die Einsätze ganz genau, das war dynamisch exakt und gleichzeitig locker und sehr ausgewogen. Bravo!
Ja, und was Olga Peretyatko-Mariotti und der aus Kronstaad in Zentral-Südafrika stammende Tenor Levy Sekgapane ablieferten, war wirklich ganz große Klasse. Die leichten, girrenden Koloraturen von Olga Peretyatko-Mariotti sind weltberühmt. Sie bot sie mit einer unnachahmlichen Leichtigkeit und dar. Wunderbar! Bravo. Nur bei „Quando m’en vo“ aus Giacomo Puccinis „La Bohème“ tat sich die 37 Jahre alte gebürtige Leningraderin schwerer, hier fehlten ihr noch etwas Dramatik und Fülle im tiefen Register. Wunderbar gelang ihr als Zugabe das berühmte „O mio babbino caro“ aus der einaktigen Puccini-Oper „Gianni Schicchi“.
Levy Sekgapane ist ein Tenor mit einem ganz besonderen, hellen, jugendlichen Timbre. Er begann mit etwas Nervosität die Arie „La speranza più soave“, lieferte aber sofort – wie den ganzen Abend über – die Spitzentöne bis zum hohen D ganz wunderbar, voll und locker ab. Dieser junge Tenor kann wirklich verführen mit seiner Stimme. Nach der Pause war er mit Donizetti-Arien seiner Mitstreiterin absolut ebenbürtig – Donizetti liegt ihm noch mehr als Rossini. Mit dem wunderbaren „Trinklied“ aus Giuseppe Verdis „La Traviata“ beendeten diese beiden Ausnahmesänger den Abend in der „Elphi“.
Silvesternachmittag und am Abend des Neujahrstages luden auch die Symphoniker Hamburg zu einer liebgewonnenen Tradition in die wunderbare Laeiszhalle: Die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven stand auf dem Programm. Klassik-begeistert.de-Autor Leon Battran wohnte diesem Konzert bei:
Andreas Schmidt, 1. Januar 2018, für
klassik-begeistert.de
Foto: Daniel Dittus
Zum Silvesterkonzert in der Elbphilharmonie:
Ein grandioser Abend – mit ihrem Weltklasse-Sopran versetzte Olga Peretyatko-Mariotti die glücklichen Besucher des NDR-Silvesterkonzerts in Entzückung.
Ganz so perfekt, wie es in dem Beitrag anklingt, fand ich das Zusammenspiel zwischen NDR Elbphilharmonie Orchester und Sängern indes nicht. Vor allem vor der Pause fehlte es teils an der rechten Abstimmung, vor allem aber an der Dosierung – so wurde der Tenor Levy Sekgapane vom Orchester bisweilen regelrecht überspielt. Insofern hätte es schon Luft nach oben gegeben.
Jedoch – geschenkt! Zum guten Ende liefen beide Solisten zu absoluter Hochform auf, und das Publikum bedankte sich zu Recht mit Standing Ovations. Weiter so – und (hoffentlich!) auf ein Wiedersehen in der Elbphilharmonie am Silvestertag 2018!
Roland Stuckardt