Der Jahreswechsel in Wien ist für Klassik-Freunde ein Genuss

Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart,
Theater an der Wien;
Symphonie Nr. 9 d-moll op. 125, Ludwig van Beethoven, Wiener Konzerthaus

Wien, diese wunderbare Stadt im Herzen Europas, bietet sich hervorragend für einen Jahreswechsel für klassik-begeisterte Menschen an. Wer wie klassik-begeistert.de das Glück hatte, dem Neujahrskonzert im Großen Musikvereinssaal beizuwohnen, kann schon sehr positiv gestimmt ins neue Jahr gehen.

Neujahrskonzert 2017, Wiener Philharmoniker, Großer Musikvereinssaal, Wien


Aber Wien bot zum Jahreswechsel auch eine ganz wunderbare Oper: „Don Giovanni“ des Genies Wolfgang Amadeus Mozart – zu Silvester im wunderschönen Theater an der Wien, erbaut von 1800 bis 1801 unter Kaiser Franz II. Und am Abend des Neujahrstages die 9. Symphonie – dieses Götterwerk des Genies Ludwig van Beethoven, im wunderschönen Wiener Konzerthaus, erbaut von 1911 bis 1913 unter Kaiser Franz Joseph I.

Allein diese beiden Aufführungen waren eine Reise nach Wien wert!

„Don Giovanni“, uraufgeführt am 29. Oktober 1787 in Prag, ist eine hinreißend schöne Oper mit einem hoch dramatischen und musikalisch beglückenden Finale. Durch den Abend führte der britische Dirigent Ivor Bolton, der mit seiner Ehefrau Tess Knighton, einer Musikologin und Kritikerin, in Barcelona lebt. Seit der vergangenen Spielzeit ist Ivor Bolton Musikdirektor am Teatro Real in Madrid. Außerdem ist er Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel und des Dresdner Festspielchores.

Es war eine wahre Freude, Ivor Bolton bei seinem letzten Dirigat im vergangenen Jahr bei der Arbeit zu beobachten. Er dirigiert mit Liebe und Leidenschaft. Er atmet Mozart. Er schließt bisweilen die Augen. Er muss kaum in die Partitur schauen. Ja, Mozart wäre sicherlich erfreut gewesen, sein Meisterwerk von so einem Dirigenten aufgeführt zu sehen. Dass das sehr gute Mozarteumorchester Salzburg nicht immer seinen Anweisungen folgte, war nicht Boltons Schuld. Der Arnold Schoenberg Chor war – wie immer – phantastisch und auch spielerisch umwerfend gut.

Ja, und dann die Inszenierung von Keith Warner! Witzig! Spannend! Unterhaltend! Pfiffig! Auch hier hätte Mozart sicher seine Freude und Zustimmung gehabt. Möge diese Inszenierung, die eine Neueinstudierung der Produktion aus dem Jahr 2006 (und 2009) anlässlich des 10-Jahres-Jubiläums des Theaters an der Wien als reine Oper war, noch viele, viele Male viele Menschen beglücken!

„Regisseur Keith Warner setzte in seiner Inszenierung bewusst auf Slapstick und Klamauk. Was bei der ersten Begegnung 2006 noch frisch und frech wirkte, hatte drei Jahre später schon etwas an Witz und Esprit eingebüßt“, sagt der hervorragende Wiener Opernkritiker Harald Lacina („Der neue Merker“). „Sieben Jahre Pause haben der Inszenierung gut getan. Vieles hat man in der Zwischenzeit wieder verdrängt, so dass die Inszenierung nun wieder mit einigen ungewöhnlichen Einlagen neuerlich überraschen konnte und das Interesse nicht nachließ.“

Harald Lacina fasst den Abend wunderbar zusammen: „Don Giovanni ist Manager Im ‚Hotel Universale’ (Ausstattung: Es Devlin). Leporello fungiert in diesem Hotel als Concièrge. Elvira, ein Zimmermädchen, und Masetto, ein Page, komplettieren das Personal dieses amourösen Hotels. Als ein typisches Mittelklassehotel besitzt das ‚Hotel Universale’ auch zwei Aufzüge, schließlich ist ja Mozarts Oper ein dramma giocoso in zwei Aufzügen.“

Star des Abends war der Bariton Erwin Esteban Schrott (geboren am 21. Dezember 1972 in Montevideo, Uruguay) als junger und außerordentlich zügelloser Edelmann Don Giovanni. Schrott wurde im montevideanischen Stadtviertel La Comercial in eine Arbeiterfamilie mit österreichisch-deutschen Vorfahren geboren.

Der Bariton war an diesem Silvesterabend wirklich allerbestens aufgelegt. Sein voller, angenehmer, männlich-viriler, dunkler Bariton überzeugte. Erwin Schrott nimmt man den Machismo ganz und gar ab! Dass er in der höheren Lage nicht vollkommen perfekt sang, war dabei zu verschmerzen. Beim grandiosen Finale der Oper aber zeigte der Bariton, dass er in jedem Register ein ganz großer Sänger sein kann. Herr Schrott, Sie sind ein überzeugender Don Giovanni! Muchas Gracias!

Für ein Minus hingegen konnte der Bariton nichts: Seine Freundin und seine Mutter unterhielten sich in der ersten Parkettloge rechts während der Aufführung immer wieder über die Leistungen ihres Lieblings. Das gehört sich nicht, werte Damen – auch nicht für Angehörige von Prominenten.

Großflächige, einfarbige Tätowierungen auf der flachen Brust – darunter auch ein Tattoo auf dem Hinterkopf – zieren den muskulösen Körper des Künstlers aus Uruguay, der mit dem Weltstar Anna Netrebko verheiratet war und mit ihr den gemeinsamen Sohn Tiago hat. Und diese Tätowierungen auf der Brust wussten der Regisseur Keith Warner und sein Co-Regisseur Michael Moxham sehr gut in Szene zu setzen. Eine gute halbe Stunde war Erwin Schrott mit weit geöffnetem weißen Oberhemd auf der Bühne zu sehen. Wer auf gut gemachte Tatoos steht, dem hat es gefallen. Ja, das geheimnisvolle Brust-Tatoo des Erwin Schrott verkörpert das Bild eines modernen Don Giovanni ganz hervorragend. Es gibt der Rolle eine „sexy“ Ausstrahlung.

Eine ebenso beeindruckende Leistung wie Schrott lieferte der Bass Lars Woldt als Komtur – am Ende als schauerliche Gipsfigur, die offenbar nur Don Giovanni erscheint. Herr Woldt, Ihr Bass ist wirklich wunderbar. So voll, satt und ausgewogen! Lars Woldt ist neben seinen Gesangsaktivitäten auch Professor an der Hochschule für Musik in Detmold und an der Hochschule für Musik und Theater München. Im Theater an der Wien war er im April 2016 in Richard Strauss’ „Capriccio“ sehr überzeugend als La Roche zu hören.

Jonathan Lemalu als Leporello und somit Diener Don Giovannis wusste mit einer angenehm markant-männlichen Stimme und voller Spielwitz zu überzeugen. Der neuseeländische Bassbariton kann sogar eine Banane essen und gleichzeitig wunderbar singen. In der Schlussszene wuchs Lemalu über sich hinaus. Ein toller Abend, Jonathan! Thank you!

Die junge kanadische Sopranistin Jane Archibald gab als Donna Anna ihr Debüt am Theater an der Wien. Ihr Sopran ist hell, angenehm zu hören und wird sich noch weiterentwickeln.

Die US-Amerikanerin Jennifer Larmore gab die rachsüchtige Donna Elvira sehr temperamentvoll und mit einem humoristischen Augenzwinkern. „So scharf wie ihr Degen, den sie gegen Don Giovanni zog, war auch ihr kräftiger metallischer Mezzosopran“, sagt der Opernkritiker Harald Lacina.

Als Stubenmädchen Zerlina wusste die norwegische Sopranistin Mari Eriksmoen mit wunderbar heller Stimme und einem gleichzeitig angenehm tieferen Timbre zu überzeugen. Sie war bereits im Februar 2015 als Rosina in „Il barbiere di Siviglia“ von Gioachino Rossini erfolgreich im Theater an der Wien aufgetreten. Eriksmoen besitzt ein großes schauspielerisches Talent – es war zu schön zu sehen, wie sie Leporello an einen Garderobewagen fesselt und anschließend mit Staubwedel, Fön und heißem Bügeleisen quält.

Der Bass Tareq Nazmi, in Kuwait geboren und in München aufgewachsen, wusste als eifersüchtiger und tollpatschiger Masetto zu überzeugen. Der Tiroler Tenor Martin Mitterrutzner, Ensemblemitglied der Oper Frankfurt, als Don Ottavio und Verlobter Donna Annas, muss noch an der Strahlkraft seiner Stimme arbeiten. Da geht wirklich mehr.

Ja, und dann genau 25 Stunden später die göttliche Musik des Jahrtausend-Genies Ludwig van Beethoven im Wiener Konzerthaus am Neujahrsabend. Mit den Wiener Symphonikern an ihrer musikalischen Wirkungsstätte, der Wiener Singakademie und einem 34 Jahre alten polnischen Dirigenten: Krzysztof Urbanski.

„Der Abend war umwerfend schön“, sagte die Wienerin Regina Teuscher, die seit vielen Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter die „Neunte“ zum Jahresanfang hört. „Ich habe die vielen schönen Themen der neunten Sinfonie noch nie so schön herausgearbeitet dirigiert bekommen wie von diesem jungen Dirigenten.“

Krzysztof Urbanski dirigiert sehr, sehr fein, im positiven Sinne des Wortes lässig und sehr elegant. Er leitete die Musiker anmutig und präzise. Seine Botschaft: die „Neunte“ ist nicht nur ein kraftvolles Werk mit einer kraftvollen Botschaft. Nein, sie ist auch ein feines, hoch filigranes Werk mit umwerfend schönen Nuancen vom ersten bis zum vierten Satz.

Krzysztof Urbanski aus dem polnischen Pabianice, 2015 ausgezeichnet mit dem Leonard Bernstein Award, gehört zweifelsohne die Zukunft! Dzienkuje bardzo, pan Urbanski, für diesen wunderbaren Abend!

Und herzlichen Dank an die wunderbaren Wiener Symphoniker, die Urbanski so aufmerksam folgten. Danke an die Damen und Herren der phantastischen Wiener Singakademie, die die „Freude schöner Götterfunken“ ohne Noten perfekt darboten. Danke besonders an den Tenor mit den längeren, dunklen Haaren in der ersten Reihe, der das Werk mit allergrößter Freude und größter Intensität sang! Es war eine Freude Ihnen zuzuschauen!

Da ist es auch zu verschmerzen, dass die Solisten Simone Kermes (Sopran), Marianne Crebassa (Mezzosopran), Maximilian Schmitt (Tenor) und Adrain Eröd (Bass) allesamt keine besonders ansprechende Leistung boten.

Andreas Schmidt, 2. Januar 2017
klassik-begeistert.at
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