Martha Argerich und Daniel Barenboim - musikalische Emotionen der Extraklasse

Solistenkonzert Argerich · Barenboim, Salzburger Festspiele, 23. August 2017

Fotos © Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Solistenkonzert Argerich · Barenboim, Salzburger Festspiele
Großes Festspielhaus, 23. August 2017

Wolfgang Amadeus Mozart
Sonate für zwei Klaviere D-Dur KV 448 (375a)
Robert Schumann
Sechs kanonische Studien für Pedalflügel op. 56
(Bearbeitung für zwei Klaviere von Claude Debussy)
Claude Debussy En blanc et noir
Claude Debussy La Mer

von Raphael Eckardt

Die erst relativ spät aufgeblühte künstlerische Partnerschaft zwischen Martha Argerich und Daniel Barenboim darf man spätestens seit den 1990er Jahren zweifelsohne als legendär bezeichnen. Argerich und Barenboim: Das sind zwei absolute Ausnahmekünstler der Klassikszene, deren Klavierspiel an emotionalen Elementen kaum zu übertreffen ist.

Beide kennen sich seit ihren Kindertagen in Argentinien, beide treten seit über 25 Jahren überall auf der Welt gemeinsam als Klavierduo auf; und beide vermitteln einen einzigartigen Esprit, der an diesem Augustabend auch das Salzburger Publikum in seinen Bann ziehen sollte. Im Rahmen der Festspiele stehen Kompositionen von Mozart, Schumann und Debussy auf dem Programm: Klaviermusik zu vier Händen, Klaviermusik auf zwei Flügeln, Klaviermusik von zwei der bedeutendsten Pianisten, die die Klassikwelt der letzten 50 Jahre zu bieten hat.

Den Auftakt macht Mozarts D-Dur Sonate KV 448. Und die kann man nicht besser interpretieren als Argerich und Barenboim an diesem Abend! Reizvoll werden dem Hörer die verschiedenen und gleichzeitig doch so innig vertrauten und miteinander verbundenen Künstlertemperamente vor Ohren geführt: Barenboim artikuliert impulsiv und streng markant. Ja, da hat man das Gefühl, dass dieser viel gereiste Mann seine ganze Lebenserfahrung in einer einzigen Mozartsonate verarbeitet. Hier und da gibt er sich als Geschichtenerzähler: Mit strenger Miene liest er aus einem Krimi vor, dessen Aura spannungsdurchwoben im Konzertsaal schwebt. Akzentuierungen, Marcato – Barenboim schafft klare Muster. Bei Argerich hingegen kommt alles aus einem Fluss: Da ist ein Strom aus türkisblauem Wasser, der sich seinen Weg durch saftig blühende Almwiesen bahnt. Gebirgsklar und rein sprudeln die Töne aus dem Steinway-Flügel. Hier ein kleines Ritardando,  da ein dezentes Portato.

Beide Künstler spielen mit den Extremen des anderen – um sich im musikalischen Gesamtergebnis in einer Mitte zu treffen, die goldener nicht sein könnte.

Bei Schumanns sechs kanonischen Studien für Pedalflügel, die Argerich und Barenboim in einer Bearbeitung von Debussy für zwei Klaviere aufführen, sind ihre gegensätzlich ausgerichteten Temperamente ein beinahe noch größerer Trumpf: Robert Schumann, der manisch-depressive Komponist, der wohl sein ganzes Leben in seelischen Extremzuständen verbracht hat, gilt mit als der am schwierigsten zu verstehende romantische Komponist. Argerich und Barenboim verstehen seine Musik nicht nur, sie schreiben an diesem Abend eine überaus authentische, musikalische Autobiografie des Komponisten: Barenboim gibt erneut einen grimmigen, alten Mann, der dem Tod unerbittlich ins Auge sieht. Mit tiefen, düster–emotionalen Elementen skizziert er ein Gemälde aus dunklen Farbtönen. Barenboims Konturen sind auch hier scharf und unverwaschen, aber von beinahe ungreifbarer Trauer durchzogen. Martha Argerich gelingt eine introvertierte und vom Leben durchtriebene Mischung aus Poesie und Hymnik. Lebensfreude und tiefe Trauer wechseln sich beinahe im Sekundentakt ab. Depressive Elemente überbrücken die Gipfel himmelhoch jauchzender Lebensfreude.  Der Tagesspiegel hat das Duo im April dieses Jahres für eine ähnliche Interpretation Schumanns scharf kritisiert. Da muss man einmal ehrlich hinterfragen, ob die Musik Schumanns an dieser Stelle eventuell missverstanden wurde. Eine Kritik an dieser Weltklasseperformance ist an diesem Abend keineswegs nachvollziehbar.

Mit Debussys „En blanc et noir“ und „La Mer“ gelingt in der zweiten Hälfte des Konzertabends die Befreiung aus jeglicher psychischer Anstrengung. Sanft stoßen kristallklare Wellen an einen weißgelben Sandstrand, um hier und da vereinzelte Dünenkonturen mit sanftem Druck zu verwaschen. Vor allem in „La Mer“ spielen beide ihr ganzes technisches Können aus: Mit synchron wild umherspringenden Händen – dies könnte beinahe einer Tanzchoreographie entnommen sein – sitzt jeder Lauf, jede Phrasierung. Alles wirkt einheitlich, alles ist unfassbar exakt. Argerich und Barenboim spielen an diesem Abend unwahrscheinlich harmonisch zusammen. Man könnte meinen, dass sie ihr ganzes Leben nichts anderes getan hätten als miteinander am Klavier zu sitzen und zu musizieren. Gemeinsam kreieren sie einen musikalischen Sonnenuntergang, der paradiesischer nicht sein könnte. Da sieht man sie träumen, die beiden Kindheitsfreunde: Hand in Hand verschwinden sie  langsam am orangerot funkelnden Horizont.

Martha Argerich, Klavier Daniel Barenboim, Klavier

Argerichs und Barenboims Verhältnis zueinander scheint an diesem Abend inniger denn je zu sein: Bei einer Lichtpanne verlässt Barenboim zügig die Bühne, um Scheinwerferänderungen selbst vorzunehmen. Argerich eilt sogleich nach, um ihren Partner zu unterstützen. Am Ende des Konzerts wird seltsamerweise lediglich Frau Argerich ein Blumenstrauß überreicht. Doch da fackelt man unter Freunden nicht lange: Argerich zieht eine rote Rose aus dem Strauß und steckt sie Barenboim liebevoll zu.

Alles in allem bleibt ein ganz besonderer Konzertabend in Erinnerung, der sich auch dadurch hervorhebt, dass Argerich und Barenboim weit mehr vermitteln als musikalische Emotionen der Extraklasse: Nämlich den aufrichtigen, liebevollen Umgang, der unter Freunden herrschen kann, die eine Passion teilen und diese zu ihrem Lebenswerk gemacht haben.

Raphael Eckardt, 24. August 2017, für
klassik-begeistert.de

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