Sommereggers Klassikwelt 165: Der autokratische Pultstar Fritz Reiner

Sommereggers Klassikwelt 165: Der autokratische Pultstar Fritz Reiner  klassik-begeistert.de 21. Dezember 2022

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Das Chicago Symphony Orchestra verdankt ihm bis heute seinen extrem hohen Standard, der sich auch in der sorgfältigen Wahl von Reiners Nachfolgern niederschlägt. Gegenwärtig hat der italienische Stardirigent Riccardo Muti das Amt inne.

von Peter Sommeregger

Der Dirigent Fritz Reiner, einer assimilierten jüdischen Familie aus Pest entstammend, war im Jahr 1888 geboren ein echtes Kind der K.u.K.-Doppelmonarchie und wuchs im heimatlichen Budapest auf. Auf Drängen seiner Familie begann er zunächst ein Jura-Studium, das er aber bald zugunsten einer musikalischen Ausbildung an der Franz-Liszt-Musikakademie seiner Heimatstadt aufgab.

Ab 1909 war er als Korrepetitor an der Budapester Oper angestellt, wo er bereits 1910 als Einspringer für einen erkrankten Dirigenten sein Debüt als Operndirigent in einer Aufführung der „Carmen“ gab. Dies hatte eine Verpflichtung als Erster Kapellmeister nach Laibach zur Folge, wo er aber nur ein Jahr blieb. Danach wirkte er von 1911-1914 an der so genannten Budapester Volksoper, wo er auch Opern von Richard Wagner dirigierte.

Seine entscheidende künstlerische Prägung fand aber wohl an der Sächsischen Hofoper, später Sächsischen Staatsoper in Dresden statt, an der er von 1914 bis 1921 als Kapellmeister beschäftigt war. Häufig arbeitete er dort mit Richard Strauss zusammen, dirigierte er an dem Haus die deutsche Erstaufführung von dessen „Frau ohne Schatten“, unmittelbar nach der Wiener Uraufführung. Zu Gastspielen wurde er nach Rom und Barcelona eingeladen. Das breit gefächerte Repertoire dieses bedeutenden Opernhauses ermöglichte ihm das Sammeln von wichtigen Erfahrungen.

Im Jahr 1922 verlegte Fritz Reiner seinen Wohnsitz in die USA, wo er bis 1931 als Chefdirigent des Cincinnati Symphony Orchestra tätig war. 1928 erhielt Reiner die amerikanische Staatsbürgerschaft. Für mehrere Jahre unterrichtete er am renommierten Curtis Institute of Music in Philadelphia, ab 1938 stand er bis 1948 dem Pittsburgh Symphony Orchestra vor. Anschließend wirkte er für mehrere Jahre an der Metropolitan Opera in New York, wobei ihm seine reichen Erfahrungen der Dresdner Jahre zugute kamen. Viele bedeutende Aufführungen fanden unter seiner Stabführung statt, darunter 1949 die „Salome“ mit Ljuba Welitsch und 1951 die amerikanische Erstaufführung von Stravinskys „Rake’s Progress“.

Die Krönung seiner Laufbahn bedeutete für Reiner seine zehnjährige Tätigkeit für das Chicago Symphony Orchestra von 1953 bis zu seinem Tod 1963. Dieses Orchester führte der Dirigent mit seiner unerbittlichen Präzision an die Spitze der amerikanischen Klangkörper, ja der Welt. In diese Zeit fiel die erste Hochblüte von Stereo-Aufnahmen für die Schallplatte, Fritz Reiner spielte mit dem Orchester eine Vielzahl von Werken ein, seine Aufnahmen in „Living Stereo“ waren Kult und sind bis heute in ihrer Qualität faszinierend und in den Katalogen zu finden. Der bis heute anhaltende Nachruhm Reiners basiert im Wesentlichen auf diesem reichen akustischen Erbe, in der Erinnerung seiner Musiker und Zeitgenossen galt er jedoch als der Prototyp des autokratischen Pultlöwen, der keinen noch so kleinen Fehler durchgehen ließ.

Auch privat scheint der Dirigent kompliziert gewesen zu sein. Reiner war dreimal verheiratet, die ersten beiden Ehefrauen waren Töchter der berühmten ungarischen Operndiva Etelka Gerster, nach zwei Scheidungen heiratete er noch ein drittes Mal. Insgesamt hatte Reiner drei Töchter.

Das Chicago Symphony Orchestra verdankt ihm bis heute seinen extrem hohen Standard, der sich auch in der sorgfältigen Wahl von Reiners Nachfolgern niederschlägt. Gegenwärtig hat der italienische Stardirigent Riccardo Muti das Amt inne.

Peter Sommeregger, 20. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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