Sommereggers Klassikwelt 193: Auch Ruhm und Orden retteten Ottilie Metzger nicht vor der Gaskammer

Sommereggers Klassikwelt 193: Auch Ruhm und Orden retteten Ottilie Metzger nicht vor der Gaskammer

von Peter Sommeregger

Die am 15. Juli 1878 in Frankfurt/Main geborene Ottilie Metzger erhielt ihre Gesangsausbildung zum Mezzosopran am Stern’schen Konservatorium in Berlin bei Selma Nicklass-Kempner. Bereits im letzten Jahr ihrer Ausbildung wurde sie an das Theater in Halle engagiert. Nach zwei Jahren wechselt sie an das Opernhaus von Köln, wo sie drei Jahre im Engagement bleibt.

Ihre anschließende Verpflichtung an das Stadttheater von Hamburg markiert den Beginn ihrer großen Karriere. In Köln wirkt sie an mehreren Uraufführungen mit, so bei „Versiegelt“ von Leo Blech, von Hamburg aus gastiert sie u.a. in Berlin, Wien, Budapest und Dresden. In den Jahren 1901, 1902 und 1912 tritt sie in kleineren Rollen bei den Bayreuther Festspielen auf.

Im Jahr 1910 nimmt sie als Solistin an der Uraufführung von Gustav Mahlers 8. Symphonie, der „Symphonie der Tausend“ in München teil. Im gleichen Jahr wirkte sie an den Londoner Erstaufführungen von Richard Strauss’ „Salome“ und „Elektra“ in den Rollen der Herodias und der Klytämnestra mit.

Anfang der 1920er Jahre unternimmt sie mehrere Gastspielreisen in die USA, wo sie hauptsächlich als Konzertsängerin auftritt. 1925 zieht sie sich von der Bühne zurück, unterrichtet von 1926 bis 1930 am Stern’schen Konservatorium, bis 1933 tritt sie noch als Konzertsängerin auf. Als Jüdin kann sie danach nur noch in Konzerten des Jüdischen Kulturbundes auftreten, wo sie neben Liedern auch Spirituals und religiöse jüdische Gesänge vorträgt.

Von 1902 bis 1908 war Ottilie Metzger in erster Ehe mit dem Literaten Clemens Froitzheim verheiratet. Im Jahr 1910 heiratet sie in zweiter Ehe den gefeierten Bass-Bariton Theodor Lattermann. Von da an verwendet sie den Doppelnamen Metzger-Lattermann. Aus der Ehe geht eine Tochter, Susanne, hervor. Lattermann muss seine Karriere aus gesundheitlichen Gründen früh aufgeben und stirbt bereits 1926, mit gerade einmal 46 Jahren. Die Tochter heiratet nach Brüssel, dorthin flieht Ottilie Metzger im Juli 1939, nachdem sie als Jüdin in Deutschland in größter Gefahr schwebt. Auch in Belgien wirkt sie als Gesangspädagogin, bis sie nach einer Denunziation von der Gestapo verhaftet wird. Sie wird in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo sie am 12. Oktober 1942 eintrifft, und wohl unmittelbar danach ermordet wird.

Heute erinnert eine Gedenktafel im Garten vor dem Bayreuther Festspielhaus an sie und die Sängerin Henriette Gottlieb, die ein ähnliches Schicksal erlitt.

Ottilie-Metzger-Gedenkplatte-Bayreuth

Die zahlreichen erhaltenen Schallplatten Ottilie Metzgers geben einen Eindruck ihrer gut gebildeten, sonoren Mezzo-bzw. Altstimme. Ihr samtweiches Timbre, ihre für diese Stimmlage erstaunlich gute Höhe lassen die künstlerische Potenz der Sängerin bis heute nachvollziehen. Unter ihren Einspielungen finden sich auch Duette mit ihrem Ehemann Theodor Lattermann.

Ottilie Metzgers Schicksal zeigt beispielhaft die Barbarei der damaligen Machthaber, aber im Gegensatz zu deren namenlosen Opfern blieb zumindest die Kunst der Sängerin bewahrt.

Peter Sommeregger, 12. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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