von Peter Sommeregger
„Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.“ Dieses Sprichwort mag in weiten Teilen zutreffen, für einen Ort der Welt gilt es jedenfalls nicht: Wien. In keiner Stadt der Welt habe ich so viele Gedenktafeln gesehen wie in meiner Heimatstadt. Allein die Erinnerungsorte für Beethoven sind ausgesprochen zahlreich, was der Tatsache geschuldet ist, dass der Komponist ein notorischer Wohnungswechsler war. Sogar als Toter ist er noch einmal umgezogen, vom alten Währinger Friedhof auf den Ende des 19. Jahrhunderts angelegten so genannten Zentralfriedhof, weit vor den damaligen Toren der Stadt. An diesem zentralen Begräbnisort schuf man eine eigene Abteilung für Ehrengräber berühmter Bürger Wiens, da die kleinen regionalen Friedhöfe nach und nach aufgelassen wurden, die jeweilige Prominenz verfrachtete man in die Simmeringer Heide, so heisst diese trostlose Ecke Wiens.
Beethoven und Schubert, die auch an ihrem ersten Bestattungsort Nachbarn gewesen waren, hat man die ursprünglichen Grabsteine kopiert. Johannes Brahms, Johann Strauss Vater und Sohn, Gluck, und vielen, vielen anderen Größen ihrer Zeit hat man hier fast so etwas wie ein Pantheon geschaffen. Entsprechend hoch ist die Besucherdichte während der Touristensaison, die in Wien inzwischen ja zwölf Monate im Jahr dauert. Da man den Toten ihre Privilegien dauerhaft zugesteht, und naturgemäß immer mehr berühmte Menschen sterben, hat sich dieser Ehrenhain immer weiter ausgebreitet.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass man nicht wenige Prominente bereits zu Lebzeiten mit dem Angebot einer kostenlosen Grabstelle köderte, um die Prominentendichte des Friedhofs weiter zu erhöhen. Das mag man noch verstehen, was aber ein wenig bedenklich anmutet, ist die späte Rückführung im Exil verstorbener Berühmtheiten. Nicht wenige von ihnen mussten während der NS-Zeit um ihr Leben fürchten, und konnten sich oft nur mit knapper Not ins Ausland retten. Jahrzehnte nach ihrem Tod hat man sie exhumiert, und mit unverhohlenem Triumph heim geholt. So geschehen u.a. mit Franz Werfel, der im Kalifornischen Exil starb.
Die Grenzen dieser Sammelwut werden dabei auch oft überschritten. Immer öfter trifft man auf Namen, die tatsächlich nur einem kleinen Kreis bekannt sein dürften. Längst musste man daher schon auf ein etwas abseits liegendes Gräberfeld zurückgreifen, in Wien will halt jeder prominent sein. Vom Niedergang der Grabmalkultur bleiben auch die Grabsteine der Prominenz nicht verschont. Der armen Ljuba Welitsch, einer der großen Opernstars der Nachkriegszeit ,hat man einen hässlichen Stein mit der Aufschrift „Salome des Jahrhunderts“ angetan, nicht alles was wahr ist, muss auch auf den Grabstein. Ein negatives Highlight ist auch die Grabstelle des Schlagerbarden Falco, ein Alptraum aus Acryl, Kunststein und anderen Zutaten.
Ernsthafte Konkurrenz hat es inzwischen durch die Grabstätte von Udo Jürgens bekommen. Ein Ungetüm aus weißem Marmor, das wohl einen abgedeckten Konzertflügel darstellen soll, ummantelt die Urne des Sängers. Dass sich neben dem Grab Stofftiere, Gipsengelchen und sonstige Abscheulichkeiten in größeren Mengen finden, kann man dem Schöpfer des Grabmals nicht anlasten, obwohl er damit eine Steilvorlage geliefert hat. Wie man weißen Marmor ungleich schöner verarbeiten kann, zeigt das ziemlich versteckt liegende Grabmal des Hofopernsängers Leopold Demuth. Ihm hat man einen lebensgroßen sterbenden Schwan als Grabplatte gewidmet, das Grab besteht seit über 100 Jahren, wird aber weiterhin gepflegt.
Ein Grab, das ich bewusst bei jedem Besuch des Friedhofs aufsuche ist jenes, der Kammersängerin Leonie Rysanek, wie alle richtigen Wiener mit böhmischen Wurzeln. Die Rysanek war nicht nur in Wien, auch in Bayreuth und viele Jahre an der Metropolitan Opera New York ein Star der Superlative. Für die Treue ihres Wiener Publikums spricht, dass auch über 20 Jahre nach ihrem Tod permanent frische Blumen, und häufig auch Grablichter an ihrem Stein zu sehen sind.
Ein wenig in Vergessenheit geraten ist inzwischen der Schauspieler Curd Jürgens. Sein Grab war wohl auch als Ruhestätte für seine Witwe gedacht, die allerdings nach ihrem Tod an einem anderen Ort beerdigt wurde. Ältere Wiener wissen noch, dass Jürgens‘ Begräbnis im Jahr 1982 tausende Wiener zum Zentralfriedhof lockte. Der Schauspieler hatte sich nämlich ein Begräbnis im Renaisaance-Stil gewünscht. Lange nach Einbruch der Dunkelheit wurde er im Schein zahlreicher Fackeln bestattet.
Aber das sind nur wenige, der unzähligen Geschichten, die sich um den Zentralfriedhof und seine Toten ranken. Ein Anfang ist gemacht, Fortsetzung folgt!
Peter Sommeregger, 23. September 2020, für
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Sommereggers Klassikwelt 53: Isabel Strauss – ein Leben wie eine Oper klassik-begeistert.de
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.