Christian Gerhaher verströmt Goldklänge mit Daniel Harding und dem Swedish Radio Symphony Orchestra im Wiener Konzerthaus

Swedish Radio Symphony Orchestra / Gerhaher / Harding  Wiener Konzerthaus, 5. März 2024

Christian Gerhaher © Hiromichi Yamamoto

Daniel Harding sollte im Wiener Musikleben viel mehr verankert werden; das wäre eine Empfehlung sowohl für die Philharmoniker als auch für die Wiener Staatsoper – zumal die Szene derzeit absolut nicht mit vielen hervorragenden Maestros gesegnet ist!

Swedish Radio Symphony Orchestra

Christian Gerhaher, Bariton
Daniel Harding, Dirigent

Hugo Alfvén: A legend of the Skerries op. 20

Gustav Mahler: Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert

Richard Strauss: Also sprach Zarathustra; Tondichtung frei nach Friedrich Nietzsche op. 30

Konzerthaus Wien, Großer Saal, 5. März 2024

von Herbert Hiess

Kennen Sie den Moment, wo man eigentlich mit wenig bis gar keinen Erwartungen eine Veranstaltung (sei es Konzert, Oper oder Liederabend) besucht und man dann, wie es so schön neudeutsch heißt, „geflasht“ den Ort der Veranstaltung wieder verlässt?

Gestern war so ein Abend im Wiener Konzerthaus. Es spielte das Swedish Radio Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Harding und es sang der Spitzenbariton Christian Gerhaher.

Entgegen einiger Kritiken stellte sich heraus, dass das Swedish Radio Symphony Orchestra leicht mit den meisten Spitzenorchestern mithalten kann, dass Christian Gerhaher eine Lehrstunde in Konzert- und Liedgesang gab und dass Daniel Harding eigentlich viel zu wenig hier in der Wiener „Dirigentenszene“ vertreten ist.

Daniel Harding © Stephan Rabold

Daniel Harding, ehemaliger Assistent von Claudio Abbado, dessen Bewegungen er offenbar völlig übernommen hat, entwickelte sich zu einem der interessantesten Dirigenten. Es war eine Freude, ihm sozusagen bei der Arbeit zuzusehen und zu beobachten und zu registrieren, welchen Klangzauber er diesem Spitzenorchester entlocken konnte.

Harding weiß genau, wann und wo er zupacken soll; das fing schon bei Hugo Alfvén, dem schwedischen Romantiker an. Natürlich könnte man klischeehaft sagen „nordische Musik“. Ist es letztlich auch und man hört bei dem Werk trotzdem genau die Handschrift von Jean Sibelius durch. Obwohl Skerries ein irischer Seebadeort ist, entnimmt man dem Programmheft, dass sich Alfvén hier auf die Schären in Schweden bezieht.

Danach erlebte man, wie der grandiose Bassbariton Christian Gerhaher gemeinsam mit den Schweden und Harding Mahler zelebrierte.

So hat man die „Rückert-Lieder“ auch schon lange nicht mehr gehört. Der Sänger hat eine Wortdeutlichkeit, so dass man direkt mitschreiben könnte.

Mahlers Rückert-Lieder sind ein Prüfstein für Sängerpersönlichkeiten und Dirigenten. Und in Wien gibt es absolut keinen Mangel an Referenzaufführungen. Und Gerhaher konnte sich in diesem Konzert schon auf den Spitzenplatz katapultieren.

Unglaublich, mit welcher Wortdeutlichkeit und Stimmpräsenz er hier die Lieder bis in die letzte Nuance interpretierte. Egal, ob ein gehauchtes Pianissimo oder ein orgelndes Fortissimo. Er machte gemeinsam mit Harding aus den fünf Liedern ein Abenteuer. Wenn man da die singuläre Jessye Norman gegenüberstellt, die man bei den Aufnahmen im Musikverein (mit den Wiener Philharmonikern unter Abbado) erleben konnte, merkte man, dass diese Frau ein Universum für sich darstellte.
Ebenso mit den Wienern konnte man Thomas Hampson unter Leonard Bernstein erleben; Hampson ist zwar für sich großartig – aber Christian Gerhaher hat ihn hier im Konzerthaus locker übertrumpft. Dafür hatte man Leonard Bernstein am Pult der Philharmoniker. Und da gerät „naturgemäß“ jeder andere Dirigent (oder Dirigentin) automatisch ins Hintertreffen. Denn Leonard Bernstein dirgierte nicht Mahler, sondern zelebrierte ihn.

Und egal, ob es das auftrumpfende „Um Mitternacht“ ist, wo Gerhaher richtig orgeln konnte oder das verhaltene „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Da beanspruchten Gerhaher und Harding sehr die Emotionen des Publikums. Und nicht zu vergessen das exzellente Orchester; in „Um Mitternacht“ exzellent das Glissando von Oboe zum Englischhorn.

Letzteres verströmte in „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ seine Goldklänge gemeinsam mit Gerhaher und den Orchesterkollegen in den großen Saal.

Spitzenmäßig das Orchester bei „Zarathustra“. Hier konnten alle Instrumentengruppen zeigen, was in ihnen steckt. Phantastisch die Konzertmeisterin gemeinsam mit der exzellenten Oboe im „Tanzlied“; nicht minder exzellent die anderen Orchestermitglieder. Angefangen von den Streichern bis hin zum schweren Blech.

Daniel Harding sollte im Wiener Musikleben viel mehr verankert werden; das wäre eine Empfehlung sowohl für die Philharmoniker als auch für die Wiener Staatsoper – zumal die Szene derzeit absolut nicht mit vielen hervorragenden Maestros gesegnet ist!

Herbert Hiess, 6. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Klein beleuchtet kurz Nr. 11: Liederabend mit Christian Gerhaher klassik-begeistert.de, 2. Februar 2024

Musikfest Berlin, Kirill Petrenko und Christian Gerhaher Philharmonie Berlin, 14. September 2023

Swedish Radio Symphony Orchestra, Christian Gerhaher, Bariton, Dirigent Daniel Harding Laeiszhalle, 29. November 2021

Christian Gerhaher (Bariton), Anna Lucia Richter (Mezzosopran), Ammiel Bushakevitz (Klavier), Hugo Wolf Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 15. Juli 2022

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