Es ist immer eine große Freude, frischen, jung klingenden Chören in der Laeiszhalle zuhören zu dürfen. Wie ist es nur möglich, diesen riesigen Apparat bestehend aus zwei Laienchören, einem Berufsorchester und einer Solistenriege so wundervoll zum Klingen zu bringen? Matthias Janz ist ein Meister darin, den Flensburger Bachchor, den Symphonischen Chor Hamburg sowie das Sonderjyllands Symfoniorkester und die Solisten zu einer harmonischen Einheit verschmelzen zu lassen.
Laeiszhalle Hamburg – Großer Saal, 21. November 2021
Robert Schumann, Das Paradies und die Peri
Susanne Bernhard – Sopran
Karola Sophia Schmid – Sopran
Marianne Beate Kielland – Mezzosopran
Dovlet Nurgeldiyev – Tenor
Ilker Arcayürek – Tenor
Yorck Felix Speer – Bass
Symphonischer Chor Hamburg
Flensburger Bach-Chor
Sonderjyllands Symfoniorkester
Leitung Matthias Janz
von Iris Röckrath
Wollen Sie einmal eintauchen in die Welt der persischen Märchen, genauer: in die Welt eines Elfenwesens? Diesem Wesen ist der Zutritt zum Himmelreich verwehrt, da es die Tochter eines gefallenen Engels und einer Menschenfrau ist.
Robert Schumann hat für die drei Teile seines Oratoriums „Das Paradies und die Peri“ unterschiedliche Klangfarben gefunden, die die
Stimmungen der verschiedenen Handlungsorte widerspiegeln, während die Peri auf der Suche nach „des Himmels liebster Gabe“ ist. Im ersten Teil kämpfen die Inder mit den angreifenden Afghanen zu heftigen aggressiven Rhythmen, im pestverseuchten Ägypten bekommt man eine Ahnung, wie sich der Tod anhören könnte – „Entflieh! Ein Hauch von mir bringt dir den Tod“, während ein Liebespaar der Pest zum Opfer fällt. Der dritte Teil lädt ein zu Spannungsbögen, die sich am Ende in der jubelnden Freude der Peri bis zum hohen C entladen – von den Chören und dem Orchester kräftig und klangschön unterstützt – und Gänsehaut erzeugen. Die Reue eines Verbrechers ist es, die der Peri schließlich das Tor zum Garten Eden öffnet.
Schumann hat im Jahr 1843 ein weltliches Oratorium („aber nicht für den Betsaal- sondern für heitre Menschen“, so Schumann) geschrieben, dessen Inhalt ihm vermutlich schon als Kind vertraut gewesen ist. Der Faszination für dieses Werk kann man sich kaum entziehen. Schon gar nicht, wenn man im Publikum dieser hervorragenden Aufführung in der Laeiszhalle Hamburg am Totensonntag gesessen hat.
Es ist immer eine große Freude, frischen, jung klingenden Chören in der Laeiszhalle zuhören zu dürfen. Wie ist es nur möglich, diesen riesigen Apparat bestehend aus zwei Laienchören, einem Berufsorchester und einer Solistenriege so wundervoll zum Klingen zu bringen? Matthias Janz ist ein Meister darin, den Flensburger Bachchor, den Symphonischen Chor Hamburg sowie das gut aufgelegte Sonderjyllands Symfoniorkester und die Solisten zu einer harmonischen Einheit verschmelzen zu lassen. Jede Chorstimme wird in wochenlangen Einzel-Abendproben am Heimatort einstudiert, kurz vor dem Aufführungswochenende (Sonderburg im Alsion, Flensburg im Deutschen Haus, Hamburg in der Laeiszhalle) gibt es eine gemeinsame Haupt- und eine Generalprobe jeweils in Dänemark, in der alle Beteiligten zusammengeführt werden. Das Ergebnis dieser intensiven Probenarbeit durften die Zuhörer nun im Großen Saal der Laeiszhalle erleben.
Der Chor (wohl coronabedingt in kleinerer Besetzung als gewöhnlich) klingt entschlossen im ersten Teil, lieblich am Ende des zweiten Teiles und besonders flexibel und textverständlich im Chor der Seligen – „Willkommen, willkommen, sei uns gegrüßt“. Insgesamt bestechen die Chöre durch einen äußerst homogenen, vollen Klang.
Bei der Auswahl der Solisten haben die Veranstalter ein sehr gutes Händchen bewiesen: Resultat ist ein stimmlich sehr schön miteinander harmonierendes, aufeinander hörendes Solisten-Ensemble.
Die Ausnahme-Mezzosopranistin Marianne Beate Kielland beginnt mit der Erzählung der Peri und macht neugierig auf die folgende Geschichte mit ruhigem warm-timbriertem Mezzo. Die Norwegerin kann mehr als 50 Aufnahmen vorweisen und ist eine der gefragtesten Interpretinnen barocker Opernpartien.
Susanne Bernhard als Peri im orientalisch anmutenden Kleid beginnt etwas verhalten mit eher dunkel gefärbtem Sopran, steigert sich beseelt im Laufe des Stücks und überstrahlt am Ende mit dem „hohen C“ den Chor und das Orchester.
Die feine, leicht geführte, trotzdem kräftige Tenor-Stimme von Dovlet Nurgeldiyev als Erzähler lässt von Beginn an aufhorchen, er gestaltet mit lyrischer Stimme sehr bewegende, zu Herzen gehende Momente. Der Deutsch-Turkmene ist festes Ensemblemitglied der Staatsoper Hamburg und singt dort Hauptrollen seines Fachs.
Die Hamburgerin Karola Sophia Schmid singt mit stimmlicher Leichtigkeit – ihre strahlende Höhe und ihr engelsgleicher Gesang lassen aufhorchen.
Yorck Felix Speer verleiht mit mächtigem, markantem Bass dem Tyrann Gazna seine Stimme und im Gegensatz dazu mit viel Schmelz dem Bass-Solo des reuigen alten Mannes im dritten Teil einen wunderbaren wehmütigen Ausdruck.
Der Tenor Ilker Arcayürek rundet das Solisten-Ensemble sehr feinfühlig mit wunderbarem Timbre ab. Geboren in Istanbul, aufgewachsen in Wien, war er Finalist des bedeutendsten Gesangswettbewerbs der Welt: BBC Cardiff Singer of the World.
Nach der Pause im dritten Teil der Aufführung wird das Tempo schneller, die Spannung steigt, zum Ende bangt, bebt, lebt, liebt, leidet das Publikum im Saal der schönen Laeiszhalle mit der Fee, die endlich eingelassen wird in Edens Garten. Tosender Applaus und tiefe Dankbarkeit, in dieser besonderen Zeit ein Konzert mit großer Bühnenbesetzung erleben zu dürfen.
Nun kann die Adventszeit beginnen, die Engel sind alle wieder an ihrem Platz.
P.S.: Während das Werk auf den Konzertbühnen eher selten zu hören ist, liegen doch einige Aufnahmen dieses Oratoriums vor. Dirigenten der Aufführung sind etwa John Elliot Gardiner und Giuseppe Sinopoli. Meine uneingeschränkte Empfehlung ist die Aufnahme mit Nikolaus Harnoncourt, der mit den Sängern ein Spitzenensemble versammelt hat.
Iris Röckrath, 22. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at