Foto: Schlussapplaus Tannhäuser Ensemble; Foto Patrik Klein
Tannhäuser in Schwerin gerät durch das kurzfristige Einspringen eines jungen Dirigenten zur Sensation
Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters
Extra-Chor
Mecklenburgische Staatskapelle
Levente Török, Dirigent
Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin, 25. Oktober 2022
von Patrik Klein
Eine zu diskutierende Frage stelle ich zu Beginn: Wie kann es sein, dass nach über 40 Jahren Opernerfahrung mein Fazit lautet, die mit Abstand besten Musiktheaterabende hatte ich in kleinen bis mittleren Opernhäusern? Warum kommt es immer häufiger vor, dass an großen Häusern die Enttäuschung noch höher ist als die oftmals deftigen Eintrittspreise?
Nach den gähnend langweiligen oder gar ärgerlichen Erlebnissen der letzten Wochen an meinem Hamburger Stammhaus, reisten wir voller Optimismus zu viert von Hamburg nach Schwerin zu Wagners Tannhäuser.
Meinen emotional getriebenen Kommentar in den sozialen Medien weit nach Mitternacht gebe ich nur leicht bearbeitet wieder:
„Auch wenn es mitten in der Nacht ist, nach so einem Wagnerabend kann man nicht schlafen. Nein, ich kann es noch nicht. Zunächst muss ich mir ein paar Gedanken und Emotionen von der Seele schreiben. Wann hatte ich dieses Gefühl der inneren Zufriedenheit und diesen Einklang mit gespielten und gesungenen Noten, mit dem Werk von Richard Wagner zuletzt?
Es war in Minden 2019 beim ersten Ringzyklus nach der Götterdämmerung. Viele Stunden atemberaubender Musik lagen hinter einem jeden gebannten Zuhörer. Heute Abend in Schwerin war da endlich wieder dieses Gefühl, diese innere Befriedigung, diese überschwängliche Freude.
Zu verdanken haben vier angereiste Hamburger Jungs diesen Abend im Wesentlichen einer Person, die gestern erst erfuhr, dass sie heute ihren Auftritt haben wird. Der erste Kapellmeister des Mecklenburgischen Staatstheaters Levente Török musste ran ans Pult, durfte ran und tat es in unfassbarer Manier. Das gesamte Orchester und Ensemble folgte ihm voller Energie und Musizierfreude. Was da aus dem Graben kam, hatte Zug, Dynamik, satten Klang, aber auch feinste Details, eine musikalische Richtung, war ein Ohrenschmaus an Tempowechseln, Phrasierungen und energiegeladenen Finessen. Es krachte im Blech, es flirrten die Saiten der Geiger, es schmetterten die Hörner und Pauken.
Wer da keine Gänsehaut bekam und sich ungläubig im Sessel räkeln musste, der war verloren wie der Fliegende Holländer vergangenen Sonntag in zäher Tristesse in Hamburg. Für die Sängerinnen und Sänger war es eine Herausforderung, ganz ohne Abstimmungsproben sich mit dem Mann mit dem Taktstock zu finden. Sie schauten stärker als sonst auf diesen jungen Herrn am Pult, denn auch sie waren andere Tempi bisher gewohnt. Es funktionierte makellos, harmonierte und man spürte förmlich, dass alle an einem Strang zogen, spielten, sangen und ihr Bestes gaben.
Die Partien waren erstklassig besetzt vom Tannhäuser bis in die kleinsten Rollen. Die Regie brachte das Thema „Vernunft trifft auf Gefühl“ mit einleuchtender Aktualität hochspannend und konsequent auf die Bühne. Als sich der Vorhang zum dritten Mal schloss, bejubelte das fast ausverkaufte Haus am Weltoperntag eine sensationelle Tannhäuser-Aufführung in Schwerin. In der schönsten Opernkantine des Landes wurde der Erfolg mit einem kühlen Bier und atemberaubenden Blick auf das Schweriner Schloss gefeiert.“
Patrik Klein, 26. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikalische Leitung: Levente Török
Regie: Martin G. Berger
Bühne: Sarah-Katharina Karl
Kostüme: Esther Bialas
Video: Daniel M. G. Weiss
Choreinstudierung: Aki Schmitt
Dramaturgie: Philipp Amelungsen
Besetzung
Landgraf von Thüringen: Renatus Mészár
Tannhäuser: Heiko Börner
Wolfram von Eschenbach: Brian Davis
Walther von der Vogelweide: Marius Pallesen
Biterolf: Martin Gerke
Heinrich der Schreiber: Sebastian Köppl
Reinmar von Zweter: Young Kwon
Elisabeth: Camila Ribero-Souza
Venus: Gala El Hadidi
Ein junger Hirt: Marie-Louise Tosheva
Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters
Extra-Chor
Mecklenburgische Staatskapelle
Musiksalon bei Irina und Leon Gurvitch klassik-begeistert.de
Bayreuther Festspiele 2022 – Ein ganz persönlicher Rückblick (Teil 1) Klassik-begeistert.de
Werter Herr Klein,
Sie schreiben: „Für die Sängerinnen und Sänger war es eine Herausforderung, ganz ohne Abstimmungsproben sich mit dem Mann mit dem Taktstock zu finden. Sie schauten stärker als sonst auf diesen jungen Herrn am Pult, denn auch sie waren andere Tempi bisher gewohnt.“
Diesen Zeilen entnehme ich, dass Sie in der Vergangenheit bereits Vorstellungen des Tannhäusers in Schwerin besucht haben. Korrekt? Ansonsten frage ich mich, wie Sie zu der Einschätzung gelangen können, dass die Sängerinnen und Sänger bisher andere Tempi gewohnt waren?
Herzliche Grüße
G.T.
Lieber Herr Torlone,
das war zunächst eine Vermutung meinerseits, die aber durch anschließende Gespräche mit den Künstlern bestätigt wurde.
Viele Grüße
Patrik Klein