Photos: Metropolitan Opera/New York
Besuchte Übertragung in der Lübecker Stadthalle am 14. Januar 2023
Umberto Giordano
Fedora
Marco Armiliato, Dirigent
Sonya Yoncheva, Sopran
Piotr Beczała, Tenor
David McVicar, Inszenierung
Orchester der Metropolitan Opera New York
von Dr. Andreas Ströbl
„Fedora“ ist eine dieser Opern aus der Zeit um 1900, in die man sich sofort verliebt und bei der man sich nach einer gelungenen Aufführung fragt, weshalb sie nicht öfter auf den Spielplänen erscheint. Sie ist sozusagen die kleine Schwester von Giordanos berühmtestem Werk, „Andrea Chénier“, und, wie so oft bei den eher übersehenen Geschwistern, nimmt man sie erst dann richtig wahr, wenn das Bühnenlicht mal nur auf ebendies Geschöpf gerichtet ist, weil das andere, vermeintlich eindrucksvollere, gerade nicht anwesend ist. Vergessen wir also den „Andrea Chénier“ für wenigstens einen Abend und gestatten „Fedora“ den Auftritt, der ihr gebührt.
Tatsächlich ist dies ein Werk, das, verglichen mit anderen Verismo-Opern dieser Zeit, über wenige große Nummern mit garantiertem Wiedererkennungscharakter verfügt, aber – von den zauberhaften Melodieführungen abgesehen – es verdichtet sich hier auf meisterhafte Weise eine Text-Musik-Kongruenz von erlesener Qualität. Wie Giordano das Libretto mit leidenschaftlicher Dramatik, filmreifen Umschwüngen und humorvollen Zitaten, die das jeweilige Lokalkolorit illustrieren, vergleichbar den schmiegsamen Gliedmaßen eines Liebespaares, ineinander verschlingt, ist brillante Kompositionskunst. Auch in einem rein instrumentalen Intermezzo gelingt es Giordano, die Gefühlswelt einer erschütterten Frau musikalisch auszubreiten. Der große Erfolg bei der Uraufführung 1898 ist sicher nicht nur auf die Besetzung der Fedora mit Gemma Bellincioni und Enrico Caruso als Loris Ipanoff zurückzuführen – diese damals hochmoderne, aber verständliche Musik muss das Publikum elektrisiert haben.
Die dramatische Handlung um ein Liebespaar, das Opfer von Missverständnissen und einer unbarmherzigen Staatsmacht wird, ist inhaltlich treffsicher und bittere Tränen sind bei denjenigen im Publikum garantiert, die ahnen, wie es sich anfühlt, aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände die Liebe seines Lebens zu verlieren; das tödliche Ende der Protagonistin durch Suizid macht auch ein glückliches Weiterleben ihres Geliebten unmöglich.
Um nun einmal die aufrüttelnde Theatralik beiseite zu lassen – „Fedora“ ist musikalisch wie ein dreigängiges Festmenü mit einer russischen Vorspeise, einem französischen Hauptgang und einem Schweizer Dessert. Im ersten Akt wird mit entsprechender Schwere in der Partitur die Handlung in St. Petersburg entrollt – der Verlobte der Fürstin Fedora Romazoff stirbt dort an den Folgen einer Schussverletzung und es wird offenbar, dass Graf Loris Ipanoff für die Tat verantwortlich ist. Diese nicht gerade leichte Kost erfährt eine reizvolle Abwechslung im zweiten Akt, der in Paris spielt. Dessen Mondänität malt Giordano in einem großen Ballbild mit reichlich Champagner und tönendem Kaviar. Die Fürstin trifft hier auf denjenigen, der ihren Mann getötet hat, aber bevor es zu tragischen Verwicklungen kommt, steigt noch einmal die Erinnerung an die russische Herkunft in musikalischen Zitaten auf – eine Buffo-Reminiszenz, gleichsam als Digestif für die nur portionsweise ertragbare Fülle an Emotionen.
Als Fedora klar wird, dass Ipanoff den in Wahrheit betrügerischen Verlobten in Notwehr angeschossen hat, ist es zu spät, denn sie hatte ihn zwischenzeitlich in einem Brief dem berüchtigten St. Petersburger Polizeichef gemeldet. Nur scheinbar leben sie anschließend in einem Berg-Idyll im Berner Oberland – auch der dritte Akt beginnt leicht, wie ein Schweizer Soufflé. Aber die Vorahnung erfüllt sich bald auf schicksalhafte Weise, denn aufgrund der falschen Anschuldigungen ist Ipanoffs Bruder als angeblicher Komplize in der Haft umgekommen, die Mutter starb am Schock darüber. Noch weiß Ipanoff nichts von dem Brief, erfährt bald aber die ganze Wahrheit.
Fedora sieht aufgrund der erdrückenden Schwere ihrer Schuld nur den Ausweg, sich durch Gift das Leben zu nehmen und stirbt in den Armen des Mannes, mit dem alles möglich gewesen wäre. Aber eine Folge von Geschehnissen, die einem Heinrich von Kleist alle Ehre gemacht hätte, führt unabänderlich zum erschütternden Ende.
Mit dieser Übertragung in die Kinosäle der Welt feierte die New Yorker „Met“ am 14. Januar 2023 ihre 150. HD-Präsentation und so erreichte die überragend schöne und sehr werkgetreue Inszenierung von David McVicar ein globales Publikum, liebenswürdig moderiert von der Sopranistin Christine Goerke. Die Ausstattung von Charles Edwards ist überaus detailverliebt, vom fallenden Schnee hinter den Fenstern des Petersburger Palasts – selbstverständlich mit zahlreichen Gemälden in Petersburger Hängung – über die festlich gedeckten Tische in Paris mit den schimmernden Champagner-Kühlern zu den Blumenarrangements im Schweizer Berganwesen. Die Kostüme von Brigitte Reiffenstuel sind bewusst zeitgenössisch gehalten und unterstreichen Zeit- und Lokalkolorit.
Für die engagierte Umsetzung der Musik war der italienische Dirigent Marco Armiliato eine hervorragende Wahl; er führte das bewährte Orchester jeweils mit angemessener leichter Eleganz oder der erforderlichen Leidenschaft. Er und Sonya Yoncheva als Fedora waren bereits im Oktober an der Mailänder Scala bejubelt worden. Die Sopranistin gestaltete die anspruchsvolle Rolle, bei der sie fast immer auf der Bühne sein muss, mit hohem spielerischem Einsatz und bewundernswerter Flexibilität, bis hin zum verzweifelten Schrei in ihrer Sterbeszene, „Dove sei?“.
Piotr Beczała als Ipanoff steigerte sich nach einer gewissen Zurückhaltung im ersten Akt immer mehr und sein höhensicherer Tenor formte all die Facetten seiner Stimmungen vom seligen Hoffen auf gemeinsames Glück bis zur tiefsten Enttäuschung.
Eine zwar inhaltlich leichtgewichtigere, aber ebenfalls nicht einfache Rolle ist die der Olga Sukarev mit der Sopranistin Rosa Feola; sie gab die Comtesse mit charmanter Koketterie. Als Diplomat Monsieur de Siriex sprang der Bariton Lucas Meachem für Artur Ruciński ein und gab der väterlichen Figur eine sympathische Fülle.
Der Pianist Bryan Wagorn als Chopin-Neffe Lazinski (Hamburger Musikliebhabern als Begleitung von Lise Davidsen bekannt), spielte in der Ball-Szene auf dem Flügel – die Szene bekommt durch die Reduktion auf das Klavier als einziges Instrument während des spannungsreichen Duetts Fedora – Ipanoff eine besondere atmosphärische Dichte.
Das Ende der Oper bildet einer dieser langsamen Tode einer Protagonistin, die alles verliert und durch ihre Entscheidung auch das Drama der anderen nur noch vergrößert. „L’amore è ingiusto… buona è la morte!” – “Die Liebe ist ungerecht – gütig ist der Tod“, so will sie die Schwärze des Schicksals umwerten, aber die Lichtregie von Adam Silverman ließ keinen Zweifel – das Dunkel hüllte schließlich alles ein, ohne Hoffnung auf ein Entrinnen aus einem grausamen Schicksal.
Lange blieb der Vorhang unten, glücklicherweise – das musste erst einmal sacken. Er erhob sich schließlich, um ein begeistertes Publikum zum brandenden Applaus von den Stühlen der „Met“ zu reißen.
Nach wie vor wissen viele europäische Opernfreunde immer noch nicht, dass sie in der Saison alle paar Wochen in die „Met“ gehen können, ohne dafür extra in den Privatjet steigen zu müssen – man muss lediglich das lokale Kinoprogramm studieren. Meist sind es die etwas größeren Häuser, seltener die Programmkinos, sofern es sie in den Zeiten aufgeblasener Kinokomplexe überhaupt noch gibt. Und so blieb auch bei der Übertragung der „Fedora“ ein Großteil der Sitzplätze leer. Da ist noch Luft nach oben.
Dr. Andreas Ströbl, 15. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Bregenzer Festspiele, Puccini, Madame Butterfly und Giordanos Sibirien 20. Juli 2022
DVD-Rezension: Umberto Giordano, SIBERIA, klassik-begeistert.de
DVD-Rezension: Umberto Giordano, Andrea Chénier, Teatro alla Scala 2017