Dornröschen, Bühnenbild von Jürgen Rose, in der Mitte Christopher Evans als Catalabutte (Foto: Kiran West)
Wie war es nur möglich, dass wir uns in so kurzer Zeit von John Neumeiers Repertoire so umfassend verabschieden müssen? Glaubt die Ballett-Intendanz tatsächlich, dass sich das knapp 1.700 Plätze fassende Haus regelhaft mit Mehrteilern oder Volpi-Choreographien wird füllen lassen?
Ein Meinungsbeitrag von Dr. Ralf Wegner
Demis Volpi war angetreten, um das Neumeier-Repertoire zu pflegen und dem Hamburger Ballettpublikum zusätzlich andere choreographische Sichtweisen aufzuzeigen. Heute erhielt ich die Unterlagen für unser Ballett-Abonnement I 2025/26.
Von den 6 vorgesehenen Aufführungen ist nur eine von John Neumeier (Die Möwe), drei dagegen von oder mit Werken von Demis Volpi: Sein derzeit geprobtes Handlungsballett nach Hermann Hesses Roman Demian, das 2024 in Düsseldorf bereits uraufgeführte Stück Surrogate Cities und ein erneuter mehrteiliger Ballettabend namens Kein Zurück, darunter Volpis Aftermath aus dem Jahre 2014 (neben Werken von Xie Xin, Angelin Preljocaj und Marcos Morau).
Das entspricht gerade einmal einem Anteil von 17% an John Neumeiers Choreographien, und wenn man die im Abonnement ebenfalls enthaltene Nijinsky-Gala und das obligate Gastspiel abzieht, von nur 25%. Beim Ballett-Abo II sieht es nicht anders aus, dort fehlt nur die Nijinsky-Gala.
Es wäre nicht verwunderlich, wenn Abonnenten ihr nicht gerade preiswertes Ballett-Abo kündigen, zumal auch nicht gesichert ist, dass die Saison-abschließenden Nijinsky-Galas das qualitative Niveau der Neumeier-Ära werden halten können.
Wie war es nur möglich, dass wir uns in so kurzer Zeit von John Neumeiers Repertoire so umfassend verabschieden müssen? Glaubt die Ballett-Intendanz tatsächlich, dass sich das knapp 1.700 Plätze fassende Haus regelhaft mit Mehrteilern oder Volpi-Choreographien wird füllen lassen? Ohne Schwanensee, Dornröschen, Sommernachtstraum, Giselle oder Neumeiers religiös inspirierten und sinfonischen Werke?
Wir werden uns wohl von Auslastungszahlen von um 95% verabschieden müssen. Kaum zu glauben, dass die Kulturbürokratie hier nicht eingreift. Denn wenn das Ballett nicht mehr wie bisher seinen hohen finanziellen Beitrag zwecks Quersubventionierung der das Haus nur noch selten füllenden Opernaufführungen leistet, fliegen die steigenden Kosten dem Kultursenator wohl bald um die Ohren. Und ob der Intendant Tobias Kratzer das Opernhaus mit dem vorgestellten Programm besser füllen wird, sei dahin gestellt. Es gibt Gründe, nicht davon auszugehen.
Dr. Ralf Wegner, 12. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Kommentar zur aktuellen Situation beim Hamburg Ballett Hamburgische Staatsoper, 6. Mai 2025
Odyssee, Ballett von John Neumeier Hamburgische Staatsoper, 11. April 2025
Endstation Sehnsucht, Ballett von John Neumeier Hamburgische Staatsoper, 2. Mai 2025
Anna Karenina, Ballett von John Neumeier Staatstheater Stuttgart, 14. März 2025 PREMIERE