Ist Mozarts Zauberflöte ohne Schikaneders Libretto noch eine Zauberflöte?

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte  Staatsoper Hamburg, 1. Januar 2025

Hellen Kwon (Erste Dame), Adriana González (Pamina), Aaron Godfrey-Mayes (Tamino), Yeonjoo Katharina Jang (Papagena), Benjamin Appl (Papageno), Peter Galliard (Monostatos), Aleksandra Olczyk (Königin der Nacht) (Foto: RW)

Offenbar hat heute niemand mehr eine Vorstellung davon, wie Kurt Moll den Sarastro jahrelang auf dieser Bühne gesungen hat: Zum Niederknien schön mit voluminösem, in der Breite den Raum flutenden balsamischen Bass und einem unvergleichlichen Timbre.

Die Zauberflöte, deutsche Oper in zwei Aufzügen
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto von Emanuel Schikaneder

Inszenierung: Jette Steckel, Bühnenbild: Florian Lösche

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Musikalische Leitung   Leo Hussain

Staatsoper Hamburg, 1. Januar 2025

von Dr. Ralf Wegner

Jette Steckels Inszenierung verfolgt die Grundidee, alles wegzulassen, was sie nicht in ihr übergestülptes Konzept einbinden kann

Früher wäre eine solche Zauberflötenaufführung wohl nicht goutiert worden. Eine eigentlich leichte Märchenhandlung mit Brüchen, wie sie von Kindern fraglos hingenommen und von Erwachsenen kritisch hinterfragt wird, wurde von Jette Steckel fast bis zur Unkenntlichkeit überkleistert.

Insoweit hatte ich diesmal Verständnis für eine vor uns sitzenden Mutter, die ihrem Sohn ständig den zum Libretto konträren Handlungsverlauf erläuterte. Und die Bühne blieb, abgesehen von zahlreichen herabhängenden LED-Leuchtfäden, zumeist dunkel. Erst nach Ende der Vorstellung wurde erkennbar, dass die Choristen in Kostüme gekleidet waren. Und die Männer trugen lange Röcke, zeitweilig auch die drei Solisten vom Hamburger Knabenchor.

Bei der Premiere vor gut 8 Jahren mag das noch neu gewesen sein. Jetzt vermute ich eher, dass Jette Steckel auf diese Weise den antifeministischen Schikaneder’schen Text mehr oder weniger zu konterkarieren versuchte: Auch Männer sind eigentlich Frauen.

Als ob wir zu blöd wären, historische Texte richtig einzuordnen. Dann dürften wir unseren Kindern auch keine Märchen mehr von Prinzessinnen vorlesen, die von einem Prinzen erlöst werden, also weg mit Aschenputtel, Dornröschen oder Rapunzel. Beispiel Monostatos: Steckel macht ihn zu einem weißgeschminkten Clown, der sich zu Tode erschreckt, als er den in Jeans und Hemd gekleideten Papageno erblickt. Beide halten den jeweils anderen für den Teufel. Das ist der Clash der Kulturen, den Schikaneder hier auf die Bühne gebracht hat. Monostatos sieht erstmals einen befiederten Vogelmenschen und letzterer einen solchen mit dunkler Hautfarbe. Nur so macht der Text Sinn und wir gewinnen Mitleid mit Monostatos, der aufgrund seiner Hautfarbe von den anderen gemieden wird.

Die Choristen der Zauberflöte (Foto: RW)

Jeckel eliminiert den Librettotext und lässt Arien ohne Zwischenhandlung absingen, häufig aus dem Off oder dem Orchestergraben. Auf die Figuren der Königin der Nacht und den als fetten Mafioso verkleideten Sarastro hätte sie wohl am liebsten verzichtet und sich ganz auf Tamino und Papageno konzentriert.

Und Jette Steckel lässt Tamino und die immer mal wieder zusammenhangslos in die Szene gestellte Pamina während der Dauer der Oper altern, wohl um mehr als 60 Jahre; Paminas Röcke und Haare werden länger, wie Tamino wird sie gebrechlicher. Was nur noch fehlt ist das Seniorenheim, in dem sich beide schlussendlich zum Gutenachtkuss zusammenfinden dürfen.

Papageno bleibt dagegen alterslos jung, ebenso die von ihm angebetete Papagena. Sie sitzt in der ersten Reihe im Parkett, jung und hübsch, als Papageno sie umwirbt. Bei Schikaneder soll Papageno allerdings mit einer hässlichen Alten (unter der sich die schöne Papagena verbirgt) verkuppelt werden, auch darauf verzichtet Jeckel.

Die gesanglichen und orchestralen Leistungen überzeugten nicht in jedem Fall

Trotz allem, die unendlich schönen von Wolfgang Amadeus Mozart komponierten Arien und Duette kann Jette Steckel uns nicht nehmen. Und die gesanglichen Leistungen wurden am Ende vom Publikum unisono umjubelt. Offenbar hat aber niemand mehr eine Vorstellung davon, wie Kurt Moll den Sarastro jahrelang auf dieser Bühne gesungen hat: Zum Niederknien schön mit voluminösem, in der Breite den Raum flutenden balsamischen Bass und einem unvergleichlichen Timbre.

Alexander Roslavets, den ich noch gut als Fürsten Gremin oder Commendatore in Erinnerung habe, traf den Ton des milden, weisen Sarastros nicht. Das war vielleicht auch nicht von der Regie beabsichtigt. Seinem gesanglichen Vortrag fehlte die flutende, angenehm klingende Breite, und von Weisheit oder herrschaftlicher Milde war ebenfalls wenig zu spüren.

Seine Gegenspielerin Aleksandra Olczyk tippte das dreigestrichene f in der ersten Arie Oh zittre nicht, mein lieber Sohn und glitt problemlos durch die schwierigen Koloraturen. Ebenso beeindruckte sie mit klaren und weit in den Raum tragenden, brillianten Tonkaskaden bei der Rachearie.

Die beste gesangliche Leistung bot insgesamt Adriana Gonzáles als Pamina. Mit berückend schönen Tönen sang sie, sich der Todeslyrik voll hingebend, die g-Moll Arie im zweiten Akt. Aaron Godfrey-Mayes, noch als Mitglied des internationalen Opernstudios verzeichnet, reichte als Tamino nicht gleichwertig an ihre Leistung heran. Sein Tenor verfügt zwar über einen schönen, aber für das große Haus noch zu schmächtigen Klang.

Das Zauberflötenensemble: Claire Gascoin (Zweite Dame), Hellen Kwon, Ida Aldrian (Dritte Dame), Aleksandra Olczyk, Benjamin Appl, Aaron Godfrey-Mayes, Leo Hussain (musikalische Leitung), Adriana González, Alexander Roslavets (Sarastro) und Peter Galliard sowie dahinter der Chor (Foto: RW)

Ich meine mich daran zu erinnern, dass die Partie des Ersten Geharnischten fast einen Heldentenor erfordert. Ich erwähne Heinz Kruse, der im Jahre 1994 neben Wagners Siegfried auch noch den Ersten Geharnischten sang.

Einen heldentenoralen Klang habe ich bei der gestrigen Aufführung vermisst. Das mag aber auch daran gelegen haben, dass die Sänger der Nebenpartien ob der Dunkelheit auf der Bühne oft nicht zu unterscheiden waren.

Sehr deutlich war allerdings Hellen Kwon als Erste Dame zu vernehmen. Mit welcher Stimmpracht sie immer noch den Zuschauerraum fluten kann war beim ersten Auftritt der drei Damen unüberhörbar. Auch wenn es nur ein oder zwei Töne waren, die sie strahlen durfte. Was hatten wir für ein Glück, diese wunderbare Sängerin über Jahrzehnte in der Hamburgischen Staatsoper erleben zu dürfen. Aber auch Claire Gascoin als Zweite und Ida Aldrian als Dritte Dame trugen zum Erfolg des Damenterzetts bei.

Den größten Erfolg bei Publikum hat wohl stets der Sänger des Papageno, so auch hier. Benjamin Appl hatte es allerdings nicht leicht mit seinem leopardenfellartigen Umhang einigermaßen gut auszusehen. Warum er von den drei Damen zu Beginn des ersten Aufzugs zudem die Jeans heruntergezogen bekam, müsste wohl ebenfalls Jette Steckel erklären. Yenyoo Katharina Jang war ihm eine gesanglich schön klingende und ebenbürtige Partnerin. Und Peter Galliard blieb als clownesker Monostatos mit seiner flott gesungenen kurzen Arie Alles fühlt der Liebe Freuden in Erinnerung.

Noch ein Wort zum Orchester: Schon die Ouvertüre wurde von Leo Hussain sehr bedächtig genommen, dynamische Abstufungen waren seine Sache nicht. Das Orchester klang unisono leise, so als ob die Anzahl der Musiker reduziert gewesen sei. Vor allem fehlte dieser orchestralen Zauberflöteninterpretation jener Glanz oder die orchestrale Pracht, welche andere gesehene Aufführungen oft auszeichneten.

Um die Eingangsfrage zu beantworten: Mozarts Zauberflöte bleibt Mozarts Zauberflöte, auch wenn sie ihres wesentlichen Inhalts beraubt wird. Eines wird man der Aufführung aber lassen können, die Leuchtdioden-Farblichtspiele auf der Bühne sind zumindest nicht langweilig.

Dr. Ralf Wegner, 2. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Buchbesprechung: „Die Zauberflöte. Mozart und der Abschied von der Aufklärung“ von Laurenz Lütteken klassik-begeistert.de, 28. Mai 2024

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte Staatstheater am Gärtnerplatz, 22. Oktober 2023

Die Zauberflöte, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart Staatsoper Hamburg, 16. Dezember 2022

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