„In der Wiener Staatsoper brennt ein Feuer der Leidenschaft“

Dominique Meyer, großes Exklusiv-Interview,  Wiener Staatsoper

Foto © Michael Pöhn
Großes Exklusiv-Interview mit dem Direktor der Wiener Staatsoper Dominique Meyer

Dominique Meyer, geboren 1955 im französischen Elsass, ist seit 2010 der Direktor der Wiener Staatsoper, dem bedeutendsten Opernhaus der Welt. Unter seiner Leitung verzeichnet das „Haus am Ring“ noch nie dagewesene finanzielle Erfolge und anhaltende Popularität. Dessen ungeachtet wird sein Vertrag nach zwei vollen Amtsperioden 2020 auslaufen. Mit klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de führte Meyer ein Gespräch über die politische Zukunft Europas und seine Passion für die Musikvermittlung. Und er verrät, dass er noch lange nicht an den Ruhestand denkt.

klassik-begeistert.at: Herr Direktor, um an unsere letzte Begegnung im Haus der Europäischen Union knapp vor der Stichwahl zur französischen Präsidentschaft anzuknüpfen: Sind Sie erleichtert über den Wahlausgang in Frankreich oder überwiegt die Besorgnis darüber, dass 33,9 % der Franzosen rechtsextrem gewählt haben?

Dominique Meyer: Weder noch, denn die Hoffnung auf Veränderung in Frankreich und Europa lebt nach wie vor. Es hat mich beeindruckt, dass Emmanuel Macron endlich die Notwendigkeit erkannt hat, die zentristischen Kräfte Frankreichs zu vereinen, um so Reformen anzugehen, die das Land dringend braucht. Selbstverständlich ist das Schaffen einer Art Großen Koalition zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts nicht ohne Gefahren und ein Scheitern würde extremen Strömungen in die Karten spielen. Allerdings hat Marine Le Pen nach Jahren der Imagepflege in diesem Wahlkampf endlich ihren wahren Charakter gezeigt. Es könnte daher gut möglich sein, dass es für den Front National trotz 10,6 Millionen erhaltener Stimmen in der Stichwahl bergab geht. Die Parlamentswahlen haben es jetzt gezeigt.

Wie sieht für Sie als überzeugter Europäer der Traum vom Europa der Zukunft aus?

Dominique Meyer: Zuallererst war für Leute meiner Generation allein schon das Konstrukt Europa ein Traum. Freier Personenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr oder auch die Idee von gemeinsamen Grundwerten – all dies zeichnet eine gesunde Gesellschaft aus. Leider hat man trotz guter Absichten vieles falsch gemacht und den europäischen Traum mit einem Haufen von Regelungen zugeschüttet. Ich denke auch, dass die EU zu schnell expandiert ist. Einige Beitrittsländer unterscheiden sich zu stark von unserem europäischen Werte- und Normensystem. Das hat zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten mit vielen Problemen geführt. Meiner Meinung nach ist die einzige Möglichkeit eine Flucht nach vorne – mit beispielhaften, klaren Regeln einiger bedeutsamer Ländern, die viel gemein haben.

Blicken Sie eher bangend in die Zukunft, vor allem mit Sorge um die junge Generation, zu der auch Ihr Sohn zählt?  

Dominique Meyer: Natürlich, jeder macht sich Sorgen um seine Kinder und deren Zukunft. Und es gibt viele triftige Gründe sich zu sorgen. Als ich beispielsweise vor ein paar Monaten nach Deutschland fuhr und einem Polizisten wieder meinen Pass zeigen musste, war das für mich ein großer Schock. Denn meine Generation hatte die fixe Idee, dass es nie mehr eine Trennung zwischen Frankreich und Deutschland geben wird. Trotz einiger Nachteile muss man doch über seinen Schatten springen, für das große Ziel einer europäischen Gemeinschaft. Wenn ich jetzt sehe, dass man trotzdem wieder den Pass zeigen muss, habe ich schon den Eindruck, dass man nicht mehr so willkommen ist wie früher. Das ist eine beängstigende Einschränkung der Freiheit, ein Auseinanderrücken.

Apropos Zukunft, wie sehen Sie Ihre Zukunft? Wissen Sie schon was Sie nach 2020 machen?

Dominique Meyer: Nein. Ich weiß es nicht, ich werde schauen, was kommt.

Wird es ein Abschied ohne Bitterkeit oder finden Sie, dass Ihre Leistungen nicht zur Genüge honoriert wurden?

Dominique Meyer: Absolut ohne Bitterkeit, da habe ich eine ganz andere Einstellung. Ich wurde vom Leben bis jetzt sehr verwöhnt, hatte immer schöne Stellungen inne. Durchaus auch heikle Posten, aber ich denke, es gibt keine interessanten Sachen ohne ein Stück Gefahr. Ich bin jedenfalls sehr dankbar, dass ich mich immer mit interessanten, schönen Dingen auseinandersetzen durfte, und vielleicht birgt die Zukunft noch Überraschungen…

 … man sehe sich nur den großen schwedischen Dirigenten Herbert Blomstedt an, der nächsten Monat 90 wird und immer noch große Orchester in großen Häusern leitet. Wollen Sie die nächsten Jahrzehnte auch voll berufstätig bleiben oder denken Sie an einen möglichen Ruhestand?

Dominique Meyer: Nein, ich denke nicht an den Ruhestand. Ohne hochmütig sein zu wollen, glaube ich, dass so viel angesammelte Erfahrung in verschiedenen Belangen ein wenig länger verwendet werden soll.

Sie haben Ihre berufliche Karriere im Wirtschaftsbereich gestartet und hatten schon während Ihres Wirtschaftswissenschaftsstudiums in Lyon und Paris Lehraufträge..

Dominique Meyer: Ja, ich habe bereits angefangen zu lehren, als ich mein Diplom noch nicht in der Tasche hatte. Einen Abschluss erhält man nach fünf Jahren und ich war damals eigentlich erst im vierten Jahr. Das war schon recht kurios, weil ich auch Studenten unterrichtete, die mit mir angefangen hatten.

Danach sind Sie Berater für Jack Lang geworden, haben also für die französische Regierung gearbeitet. Wieviel Kultur hat denn Politik in Österreich im Vergleich?

Dominique Meyer: Nun es ist ganz anders hier. Allerdings bin ich von der französischen Entwicklung gar nicht begeistert. Ich habe mich 1993 von der Regierung verabschiedet, weil ich schon damals das Gefühl hatte, nicht mehr so viel unternehmen zu können. Was mich zuvor begeistert hatte, war, dass man auch als Einzelner etwas bewegen konnte, trotz vieler Hindernisse. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass es in der Zukunft nicht mehr so sein würde. In Österreich ist Politik jedenfalls diametral verschieden, wobei ich mich hierzulande nicht so gut auskenne.

Es gäbe einige innovative französische Projekte, deren Übernahme der österreichischen Kulturlandschaft zumindest nicht schaden würde. Was halten sie von Emmanuel Macrons Kulturpass? Jugendlichen soll der Zugang zur Kultur durch einen Pass, mitfinanziert von sozialen Medien wie Google, Facebook und Co., erleichtert werden.

Dominique Meyer: Ich bin voll dafür und finde diese Idee großartig! Während meiner Zeit in der Regierung hatten wir ähnliche Projekte, allerdings verbunden mit einem steten Kampf. Was mich vor allem an Macrons Sache begeistert, ist, dass auf einmal ein Politiker eine Konzeption verwirklichen will, die direkt die Jugend betrifft und nicht nur aus dem Boden gestampfte Gebäude zwecks Profilierung. Man hat in Paris eine Konzerthalle für 380 Millionen Euro gebaut, und ich dachte mir die ganze Zeit, dass doch schon drei Hallen dieser Art vorhanden sind. Hätte man diese Summe nicht für etwas ausgeben können, das Inhaltliches und nicht Vergängliches schafft? Deshalb finde ich Macrons Idee herrlich, weil sie tatsächlichen Gehalt hat.

Glauben Sie in den nächsten drei Jahren noch Herzensprojekte und musikvermittelnde Projekte für Jugendliche wie beispielsweise die Electr.oper 2012 verwirklichen zu können?

Dominique Meyer: Ich hoffe schon, allerdings habe ich mich stets mehr auf die Arbeit mit Kindern fokussiert. Denn in der Musik und in der klassischen Oper geht es um Emotionen. Man vergisst es oft, aber wenn man diese Emotionen schon die ganz Kleinen erleben lässt, sind sie der Musik ein Leben lang verbunden und viel offener eingestellt. Mittlerweile arbeiten wir mit weit über 100 Schulen zusammen, um via Livestream nicht nur Opernübertragungen zu zeigen, sondern im Rahmen von „Wiener Staatsoper live at school“ auch Backstage-Eindrücke mit Künstlerinterviews zu vermitteln sowie Einblicke in Proben und in die Arbeit verschiedener Theaterberufe. Es war immer schon mein Wunsch massiv in die Musikvermittlung zu investieren.

Das merkt man auch den Projekten der Jungen Staatsoper mit ihrer Studiobühne in der Walfischgasse an…

Dominique Meyer: Ja, zusätzlich arbeiten wir noch an einer Herzenssache, dem Sozialprojekt mit Superar. Das ist eine wunderbare Organisation, die es sich zum Ziel gemacht hat, aktiv Musik in das Leben von Kindern und jungen Menschen zu bringen, die so eine Möglichkeit normalerweise nicht haben. Superar arbeitet mit Chören und Orchestern. Kinder, die nichts haben, spielen auf einmal Geige oder Cello! Die Wiener Philharmoniker und große Dirigenten wie Gustavo Dudamel musizierten bereits mit ihnen. Ich finde es sehr berührend, dass durch diese Arbeit Kinder, die wirklich nichts besitzen, plötzlich Träume haben. Einmal träumte ein Kind von Saiten für sein Instrument… Nächstes Jahr werden wir zuzüglich zu Führungen, Proben und Vorstellungen in der Staatsoper mit Kindern von Superar die Märchenoper „Die Arabische Prinzessin“ erarbeiten.

Wie haben Sie die Liebe zur Oper entdeckt?

Dominique Meyer: In meiner Familie gab es bloß die Kultur des Lesens. Es gab keine Musik, kein Theater, nichts dergleichen. Ich wuchs also unter Menschen auf, die nicht wie selbstverständlich in die Oper oder ins Konzert gingen. Als ich dann mit meinem Bruder von Südfrankreich nach Paris kam, habe ich mich entschieden alles entdecken zu wollen. Alles. Und ja, die Musik war das größte Geschenk. Nach meiner ersten Oper, dem Parsifal von Richard Wagner, hatte ich bloß drei Noten im Kopf und die Vierte wollte mir partout nicht mehr einfallen. Da eine Langspielplatte für mich damals schier unerschwinglich war, ging ich also wieder in die Vorstellung. So war es um mich geschehen.

Sind Sie stolz auf ihr Publikum?

Dominique Meyer: Ich bin verliebt in mein Publikum. Da ich viel reise, bin ich manchmal entsetzt zu sehen, dass andernorts bei schönen Vorstellungen überhaupt nicht geklatscht wird und die Leute schon nach einer Minute aus dem Saal hasten. Hier in der Wiener Staatsoper brennt hingegen ein Feuer der Leidenschaft. Manchmal bin ich müde oder nicht glücklich, doch dann gehe ich in die Vorstellung und sehe, wie diese Menschen reagieren. Das hat etwas sehr Berührendes.

Der legendäre österreichische Opernkritiker Marcel Prawy hat einmal gesagt, Zuhören sei sein „seelischer Hauptberuf“. Sie spielen kein Instrument, aber man sagt, Sie haben immer Musik im Kopf. Was hören Sie gerade?  

Dominique Meyer: Etwas sehr Konkretes, weil ich heute früh eine Radiosendung über Tenorarien vorbereitet habe, die nun allesamt in meinem Kopf sind. Genau im Moment Ihrer Frage hatte ich den Klang von Placido Domingo in Giuseppe Verdis „Troubadour“ im Ohr.

Wie klingt die Staatsoper?

Dominique Meyer: Das ist eine interessante Frage. Die Staatsoper klingt für mich zu allererst warmherzig. Auch wenn es manchmal schwierig ist, gab es nicht einen einzigen Tag, an dem ich mich nicht glücklich geschätzt habe, hier arbeiten zu können. Nicht einen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, aber an erster Stelle bin ich mit tollen Mitarbeitern verwöhnt. Vom Portier bis zum Konzertmeister. Ich habe in meiner großartigen Truppe alles, was ich mir wünsche: Höflichkeit, Respekt, Einsatz, Kompetenz… Und dann ist es natürlich beglückend nach der Büroarbeit in die Proben und Konzerte gehen zu dürfen, schöne Stimmen zu hören, faszinierende Projekte zu erleben. Dieses Zugegensein in der Oper war und ist eine lange Liebesgeschichte.

Lesen Sie viel?

Dominique Meyer: Ich habe schon immer viel gelesen. Seitdem ich hier bin, geschieht das allerdings nur mehr per Tablet – das hätte ich nie gedacht! Als ich anfänglich nach Wien kam, war ich frustriert, weil ich meine Zeitungen nicht mehr hatte. Für mich sind Zeitungen nämlich wie Croissants, die muss man frisch genießen. Eine Tageszeitung, die mehr als 24 Stunden alt ist, ist schon nicht mehr brauchbar. Als diese Tablets aufgetaucht sind, war ich anfangs misstrauisch, aufgrund des Mangels an Haptik. Aber siehe da, ich konnte mich dazu durchringen sie zu nutzen. Das gleiche gilt für Bücher. Die kann man innerhalb kürzester Zeit herunterladen, und ich erspare mir die dicken Wälzer auf all meinen Reisen. Deshalb schätze ich die kleine Bibliothek auf meinem Tablet sehr. Aber wenn ich im Sommer in Frankreich bin, kaufe ich mir doch wieder ein paar Bücher (lacht).

Haben Sie einen Lieblingsort in der Staatsoper?

Dominique Meyer: Nein, aber ich spaziere gerne. Ich gehe mindestens zweimal pro Tag eine Runde durch die Büros meiner Mitarbeiter. Es ist immer besser, wenn man die Leute vor Ort anspricht. Allerdings hat mein runder Schreibtisch, an dem viele Sitzungen stattgefunden haben, als Ort durchaus eine besondere Bedeutung für mich.

Was passiert, wenn Sie mit der Leistung eines Künstlers unzufrieden sind?

Dominique Meyer: Es passiert natürlich, dass beispielsweise einem Sänger des Ensembles etwas nicht gelingt oder er in eine falsche Richtung geht. Da gibt es verschiedene Lösungsszenarien. Zuallererst hole ich den Künstler in mein Büro und versuche mit ihm genauso umzugehen, wie ich es bei solchen Schwierigkeiten mit meinem Sohn machen würde. Es ist nicht immer einfach, die passenden Worte zu finden. Beispielsweise gibt es im Ensemble eine Sängerin, die ich sehr mag. Sie wollte unbedingt eine bestimme Rolle singen, für die sie eigentlich nicht die passende Stimme hat. Aber es war ein Traum von ihr. Nur negativ zu sein, wäre der falsche Ansatz und womöglich demoralisierend gewesen. Ich meinte, dass ich ihren Wunsch zwar nachvollziehen kann, aber es gebe einen Ton in einer Arie, den sie nicht immer trifft. Ich fragte sie also, ob sie glücklich sei, Angst vor dem Ton zu haben und am Vorabend der Premiere nicht schlafen zu können. Ob es ihr Spaß mache, in den Proben nicht auszusingen, sondern nur zu markieren, weil sie ihre Unsicherheit nicht zeigen will. Durch die richtigen Argumente habe ich ihr somit klargemacht, dass man natürlich mit seinen eigenen Grenzen spielen kann, aber dies sind gefährliche Spiele. Das funktioniert nicht immer, schwieriger wird es bei einem Regisseur oder Dirigenten, mit dem man nicht glücklich ist und trotzdem in der Öffentlichkeit verteidigen muss.

Stimmt es, dass der ehemalige Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper Franz Welser-Möst zurückkommt?

Dominique Meyer: Ich weiß es nicht, wir haben zwar Projekte geplant, aber die Reisepläne seines Cleveland Orchestra haben sich geändert. Man weiß nicht, was während der Periode, in der er da sein sollte, passieren wird.

Werden Sie den Opernball mit all dem medialen Trubel vermissen?

Dominique Meyer: Anfänglich hatte ich keine Ahnung, dass so etwas überhaupt existiert. Bevor ich nach Wien kam, wusste ich davon nichts. Ich finde den Opernball als Projekt sehr interessant. Und auch den Moment, in dem sich das ganze Haus sammelt, um diesen Ball zu verwirklichen. In den vier Tagen der Vorbereitung, an denen ich durchgehend vor Ort bin, fühlt man diese spezielle Warmherzigkeit zwischen allen. Weiters hat es mich auch interessiert den Ball zu modernisieren. Ein aufmerksamer Beobachter hat erkannt, dass wir vieles geändert haben. Ich habe einiges von meiner Erfahrung, die ich im Vorstand der Cannes Film Festival gesammelt habe, einfließen lassen. Begeistert hat mich auch die Wiener Balltradition. Als ich zum ersten Mal eine weinende Mutter gesehen habe, weil die Tochter debütiert hat, konnte ich diese Mischung aus Trauer und Freude tatsächlich nachempfinden. Mein Sohn hat allerdings niemals eröffnet, das interessiert ihn nicht. Für mich ist der Ball alles in allem eine sehr anstrengende, arbeitsintensive und zugleich spannende Zeit. Wenn mein Vertrag ausgelaufen ist, werde ich den Ball aber wahrscheinlich nicht mehr besuchen. Doch wer weiß…

Welche Saison während ihrer Karriere als Operndirektor würden Sie gerne noch einmal wiederholen?

Dominique Meyer: In der Staatsoper keine, bloß eine in Paris, als wir während einer Spielzeit so viele unterschiedliche Händel-Opern gespielt haben, das war toll.

Eine Frage zum Wiener Staatsballett: Was ist das erste Wort, das Ihnen zum Ensemble rund um Manuel Legris einfällt?

Dominique Meyer: Auferstehung. Wissen Sie, nach meinem Weggang von der Pariser Oper war ich sicher, die definitiv schönste Ballettzeit meiner Karriere verbracht zu haben. Ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, dass es irgendwo anders genauso beglückend sein könnte. Als ich nach Wien kam, hatte ich wieder einen Grund mich mit Ballett zu beschäftigen. Wir haben vieles bewusst geändert und ich habe in Legris wirklich den Menschen gefunden, der nahezu alles möglich machen kann. Wenn ich in Vorstellungen des Staatsballetts gehe, habe ich genau die gleichen Empfindungen wie damals in der Pariser Oper. Es gibt im Grunde genommen nur mehr einen Unterschied zum Pariser Ballett, und das ist die Dimension.

Mit einer Auslastung von 98, 8 Prozent, Subventionen von rund 60 Millionen Euro und einer Eigendeckung von fast 44 Prozent, basierend auf dem letzten Geschäftsbericht 2015/16, steht die Wiener Staatsoper finanziell glänzend da. In der Saison 2016/17 hat Ihr Haus einen Einnahmenrekord durch Kartenverkauf erzielt: 35.205.803,24 Euro – mehr als eine halbe Million Euro mehr als im Vorjahr. Auch kommt ein Gutteil der Subventionierung in Form von Tourismus und Steuern wieder an den Staat zurück…

Dominique Meyer: …die Staatsoper bringt Österreich etwa 200.000 zusätzliche Übernachtungen pro Jahr. Das sind ungefähr sieben volle Hotels der besten Kategorie jeden Tag. Die Staatsoper ist ein unentbehrliches Zugpferd sowohl für die Aura als auch die Finanzen der Stadt Wien. Wenn wir Anfang September wieder öffnen, sind alle Restaurantbesitzer und Hoteliers der Umgebung sehr glücklich.

 Wie steht es um Ihr Renovierungsgesuch?

Dominique Meyer: Die Einwilligung zur Renovierung habe ich jetzt glücklicherweise bekommen. Mit einer ersten Reihe von Arbeiten wird in der anstehenden Sommerpause begonnen. Dank einer gestaffelten Renovierungsarbeit in zwei aufeinanderfolgenden Sommern müssen wir das Haus auch nie schließen. Alle historischen Teile werden wieder hergerichtet. Das war für mich äußerst wichtig, denn ich denke, das Haus ist sehr repräsentativ. Es kommen 600.000 Besucher, weit über 300.000 Ausländer inbegriffen, pro Spielzeit in die Staatsoper. Ich wünsche mir, dass das Haus endlich wieder in alter Pracht erstrahlt. Ehrlich gesagt verstand ich nie, warum ich so kämpfen musste, um etwas zu bekommen, das selbstverständlich sein sollte. Ich mache es ja nicht für mich, sondern für den Glanz dieser Oper. Jedenfalls bin ich sehr glücklich, dass das Haus wieder in einem guten Zustand sein wird.

Noch ein paar abschließende Worte zu Ihrem Nachfolger Bogdan Roščić?

Dominique Meyer: Grundsätzlich rede ich weder über meine Vorgänger noch über meine Nachfolger. Als er am Tag seiner Ernennung hierher kam, gab ich ihm Schlüssel und Zugangskarte und habe ihm meine Pläne bis zum Ende meines Vertrages dargelegt. Obwohl Intendanten starke, oft divergierende Meinungen haben, will ich auch, dass er sich wohlfühlt und die entsprechenden Möglichkeiten bekommt, seine Ideen zu verwirklichen. Wenn etwas schiefgehen sollte, werde ich nie schadenfroh sein. Auch beantworte ich gerne alle Fragen, die er hat. Primär will ich ihm das Haus im bestmöglichen Zustand übergeben. Wichtig für mich ist nämlich die Zukunft der Staatsoper – ich will, dass es eine schöne ist.

Interview: Antonia Tremmel-Scheinost für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de

 

Ein Gedanke zu „Dominique Meyer, großes Exklusiv-Interview,
Wiener Staatsoper“

  1. Dominique Meyer erreichte erstmals eine Auslastung nahe 100 Prozent, er schenkt uns großartige Opern- und Ballettabende, ist bescheiden, sonnt sich nicht eitel am Geleisteten, sondern stellt voll Respekt das Werk in den Mittelpunkt. Keinem Operndirektor ist es wie ihm gelungen, wieder Mozartopern auf höchstem Festspielniveau quasi im Alleingang aufzuführen, eine Situation wie während der legendären Ära des weltberühmten Wiener Mozartstils der Nachkriegszeit, darüber wird leider nicht groß berichtet…
    Ich kann nicht verstehen, warum dieser überragende Opernchef, ein Glücksfall für Österreich, nicht gebeten wird, weiterhin in Wien zu bleiben? Warum will man unbedingt einen neuen Weg gehen, den niemand kennt und den viele nicht wollen. Moderator von Ö3 gewesen zu sein, scheint mir etwas wenig für ein anspruchsvolles Auswahlprinzip.

    Kämpfen wir um unsere Staatsoper, kämpfen wir um Dominique Meyer.

    Wilfried Marbach aus Zell am See

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