„Butterfly“ entfacht Begeisterungsstürme in Covent Garden

Giacomo Puccini, Madama Butterfly  Royal Opera House, 27. September 2022

„Butterfly“ ist ein Ohrenschmaus – man schwelgt in Puccinis sinnlichen Wogen dieser herrlichen Musik, erfreut sich der vom Meister aus Torre del Lago so enthusiastisch recherchierten original japanischen Klänge (abgesehen von den kleinen musikalischen Exkursen nach China…) bis hin zum disharmonischen Schlußakkord, wenn die Tragik der Betrogenen im berühmt-berüchtigten Harikiri endet – eine Oper ohne Happy End, denn auch die Überlebenden dieses blutigen Endes werden sich ein Leben lang quälen: Leutnant Pinkerton, dessen verzweifelter Ruf „Butterfly“ um Sekunden zu spät kommt, der Konsul, der trotz seiner klaren Sicht der Dinge deren Lauf nicht beeinflussen konnte und Pinkertons neue amerikanische Ehefrau, die mit einem mutterlosen Adoptivkind in ihre Heimat zurückreist, von Gewissensbissen gequält…

Giacomo Puccini, Madama Butterfly
Libretto: Giuseppe Giacosa und Luigi Illica

The Royal Opera House in Covent Garden, 27. September 2022

von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)

Dass diese Handlung, welche die Brutalität des Kolonialismus und die Geringschätzung gegenüber der Frau und der „Exotin“ zum Thema hat, spätestens aus heutiger Sicht höchst problematisch erscheint, ist keine Neuigkeit. Generationen von Regisseuren waren bemüht, diese Problematik szenisch zu thematisieren – mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Dass diese Inszenierung (Moshe Leiser und Patrice Caurier) dies irgendwie versuchte, ist zumindest diesem Kritiker nicht aufgefallen. Bleibt also nur noch das Programmheft („Objects of Desire: Japanese Women Through Western Eyes“).

Doch diese Inszenierung blieb wie die meisten Butterfly-Inszenierungen (löbliche Ausnahme: Seebühne Bregenz diesen Sommer) im exotischen, ja bisweilen mit Kirschblütenzauber und Sternenhimmel eher kitschigen Idyll verhaftet. Text (Giuseppe Giacosa und Luigi Illica) und Musik, vor allem wenn „Stars and Stripes“ intoniert wird und die Vorzüge Amerikas, das abenteuerliche, leichte Leben des „Yankee“ gepriesen wird, der vom billigen Haus, der billigen japanischen „Ehefrau“ und der jederzeitigen Kündbarkeit (Frist: Ein Monat) von beidem schwärmt, sind allerdings kritische Aussage genug. Da braucht es eigentlich keine Regie, die das noch zusätzlich erklärt und verstärkt. Es sei denn, es werde so genial gemacht wie Andreas Homoki in Bregenz, wo die sublime Tuschzeichnung auf dem riesigen weißen Blatt brutal von einer gigantischen amerikanischen Flagge durchstoßen wird und die amerikanischen Protagonisten ebenfalls durch einen Riss die Bühne und damit den Raum der japanischen Kultur betreten (und entweihen).

Wie in den meisten Butterfly-Inszenierungen ließen die Regisseure die gesamte Handlung im japanischen Papierhaus mit seinen verschiebbaren Wänden und dem Ausblick auf den (einer historischen Postkarte entnommenen) Hafen von Nagasaki, Kirschblüten und dem doch etwas provinztheatermäßigen Garten der Butterfly abspulen. Homoki hatte es in Bregenz vermocht, sich von dieser Gesetzmäßigkeit zu lösen und ließ das gemeinsame Haus des Amerikaners und der Japanerin als imaginierte, virtuelle Realität erscheinen – und zwang damit den Zuschauer, seine (ihre) Fantasie walten zu lassen: Das war genial. Hier war’s konventionell. Man weiß auch nicht so recht, ob man gerührt sein sollte, wenn in der Selbstmordszene ein mit Blüten besetzter Baum in Hintergrund erscheint, dessen Blüten während des Sterbens der Butterfly langsam abfallen, wie vom Wind weggeweht. Rührend? Oder nur kitschig? Eine Frage des Geschmacks.

Das Publikum brach zumindest angesichts der musikalischen Leistungen, dem zugleich subtilen und gewaltigen Hausorchester unter Nicola Luisotti in Begeisterungsstürme aus. Umjubelt waren auch die Hautpdarstellerinnen und Protagonisten: Diese Butterfly (Maria Agresta) hatte eine tragende, lyrische Stimme – stets sicher, präzise und der Schönheit des Klangs verpflichtet. Im Duett mit der ebenfalls hervorragenden Suzuki von Christine Rice schwangen sich die beiden Sängerinnen zu geradezu himmlischen Tönen auf. Mit Schmelz und doch Stärke der Tenor Joshua Guerrero in der Rolle des Pinkerton; Carlos Álvarez gab einen maskulinen, starken Konsul.

Dr. Charles E. Ritterband, 27. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dirigent: Nicola Luisotti
Regie: Moshe Leiser und Patrice Caurier
Regisseurin der Wiederaufnahme: Daisy Evans
Chorleitung: William Spaulding
Orchester der Royal Opera

Cio Cio San (Butterfly): Maria Agresta
Leutnant Pinkerton: Joshua Guerrero
Suzuki: Christine Rice
Konsul Sharpless: Carlos Álvarez
Goro: Carlo Bosi
Kate Pinkerton: Gabriele Kupsyte

Koproduktion mit dem Gran Teatro del Liceu, Barcelona

Bregenzer Festspiele, Puccini, Madame Butterfly und Giordanos Sibirien 20. Juli 2022

Giacomo Puccini, Madame Butterfly, Wiener Staatsoper, 16. September 2019

Giacomo Puccini, Madama Butterfly, Teatro Comunale di Bologna, 20. Februar 2020 (Première)

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