Liudmyla Monastyrska sorgt für Gänsehautmomente

Giacomo Puccini, Tosca
Deutsche Oper Berlin, 21. Oktober 2017
Giampaolo Maria Bisanti, Dirigent
Boleslaw Barlog, Inszenierung
Filippo Sanjust, Bühne/Kostüme
Gerlinde Pelkowski, Spielleitung
Liudmyla Monastyrska, Tosca
Jorge de León, Cavaradossi
Zeljko Lucic, Scarpia

von Yehya Alazem

Wenn Leute, die noch nie in die Oper gegangen sind, mich fragen, „mit welcher Oper soll man anfangen?“, ist meine Antwort immer: „Tosca“. „Tosca“ ist eine Oper, die fast die Definition einer Oper ist. Im Libretto findet man alles: Liebe und Hass, Leben und Tod, Ernst und Spaß – und eine Partitur, die voller Melodramatik, Schönheit und Leidenschaft ist.

Obwohl sie eine der am meisten gespielten Opern ist, ist eine richtig gute „Tosca“-Aufführung keine einfache Aufgabe – weder für die Sänger, noch für den Dirigenten. Die drei Hauptrollen fordern Darsteller höchsten Niveaus – die Partitur enthält so viele musikalische Details, dass alles perfekt zusammenpassen muss.

Am Sonnabend feierte Boleslaw Barlogs Inszenierung der „Tosca“ an der Deutschen Oper Berlin ihre 385. (!) Aufführung seit der Premiere 1969. Eine Inszenierung, die allen klassischen Normen entspricht

Die Handlung spielt in Rom an einem Tag im Juni 1800. Im ersten Akt befinden wir uns in der Kirche Sant’Andrea della Valle, wo Cavaradossi die Gemälde der Madonna malt, wir sehen jedoch die Gemälde nicht. Im zweiten Akt sind es Scarpias Räume im Palazzo Farnese, der dritte Akt spielt auf dem Dach des Castel Sant’Angelo.

Das Bühnenbild und die Kostüme sind genau so, wie man es sich erwartet. Was besonders beeindruckt in dieser Inszenierung, ist das Spiel mit dem Licht, das die ganze Spielzeit über immer besser wird. Wie das Licht im ersten Akt durch die Fenster der Kirche schimmert und wie es sich im dritten Akt vom grauen Nebel in schöner Morgenstunde entwickelt, ist wunderbar.

Weil die Inszenierung wenig Aufmerksamkeit erfordert, kann man ganz auf das Musikalische fokussieren – und genau das brauchte es am Sonnabend. Die Leistungen waren von höchster Klasse. Nicht nur die individuellen Einsätze, auch die Chemie zwischen den Sängern und die Kommunikation mit dem Dirigenten waren hervorragend.

Der in Teneriffa geborene spanische Tenor Jorge de León, der vor einigen Wochen einen fantastischen Radames an der Bismarckstraße gegeben hatte, war auch als Cavaradossi souverän. Seine Stimme ist solide, kraftvoll und hat einen schönen Glanz. In den dramatischen Augenblicken ist er unglaublich – er hat die Stimme eines Otello.

Seine Höhe ist solider als die Säule des Gebäudes, in dem er sang. Die Stimme verlor nie an Kraft, sie blieb immer gerade und durchdringend. Das hohe B im ersten Akt und die „Vittoria, Vittoria!-Rufe“ im zweiten Akt erinnerten an die großen Tenöre des 20. Jahrhunderts.

Leider gelangen de Léon die Arie „Recondita Armonia“ und das Liebesduett mit Tosca im ersten Akt weniger, da es ihm ein wenig an Nuancierungen fehlte – er klang etwas eindimensional. Trotzdem war sein Cavaradossi musikalisch und darstellerisch glaubwürdig – Drama pur.

Der serbische Bariton Zeljko Lucic hat sich in den letzten Jahren einen großen Namen an der Metropolitan Opera in New York gemacht. Er ist zurzeit einer der besten Verdi-Baritone mit riesigen Erfolgen als Rigoletto, Iago und Macbeth.

Am Sonnabend bewies er, dass er Puccini genauso gut wie Verdi beherrscht. Sein Scarpia war großartig – sein Bariton ist einzigartig und facettenreich. Die Stimme hat eine breite Kraft und einen cremigen Klang. Er besitzt eine Tiefe in der Stimme, die auch eine weiche Leichtigkeit hat.

Man spürte auch seine Verdi-Wärme, die er in den intimen Momenten mit Tosca hervorbrachte. Dramatisch ist er kompromisslos und hat eine enorme Bühnenpräsenz. Das war ein sensationeller Scarpia, den man nie vergessen wird.

Als Titelheldin Tosca gab es eine Traumbesetzung mit der ukrainischen Sopranistin Liudmyla Monastyrska. Sie ist für ihre Interpretationen von Verdi-Sopranrollen berühmt. Aida und Abigaille hat sie schon an allen großen Opernhäusern gesungen. Im Juni sang sie die Elisabetta in Verdis Don Carlo an der Deutschen Oper, hatte aber nach einer Vorstellung wegen Krankheit absagen müssen.

Monastyrska war trotz starker Leistungen ihrer Kollegen der Star des Abends. Mit fantastischem Charisma und wundervollem, facettenreichem Gesang sorgte sie für große Gänsehautmomente.

Schon bei ihrem ersten Tonansatz hatte man verstanden, dass dies eine Leistung der höchsten Weltklasse werden würde. Monastyrskas dramatische Stärke, Sensualität und Großartigkeit waren perfekt geeignet für die Tosca. Die Differenzierungen in der Rolle beherrschte sie mit Bravour – mit Cavaradossi war sie die liebevolle, leidenschaftliche Sopran-Diva, gegenüber Scarpia war sie stolz, hasserfüllt und aggressiv wie eine Kobra.

Monastyrskas Klang ist klar, rund und berührend. Ihre Stimme hat eine dramatische Durchschlagskraft, die dank souveräner Technik auch ein großes Maß an Subtilität enthält. Dies war eine Tosca voller Dramatik und Eleganz. Die Sopranistin war die Diva in Person an diesem Abend.

Das Orchester unter dem italienischem Dirigenten Giampaolo Maria Bisanti präsentierte sich schon beim Scarpia-Leitmotiv am Anfang der Oper großartig. Die melodramatischen Farben, die verführenden Linien und die Präzision waren vollkommen. Bisanti und seine Musiker zeigten enorme Spielfreude und bauten die Spannung in der Partitur vom ersten bis zum letzten Ton vortrefflich.

Egal ob man gestern zum ersten Mal in die Oper ging oder ein Opernliebhaber war, der in der Oper lebt: Dies war eine Traumvorstellung einer der größten Opern des italienischen Repertoires.

Yehya Alazem, 22. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de

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