Schweitzers Klassikwelt 76: Als wir eine Oper langsam liebgewannen

Schweitzers Klassikwelt 76: Als wir eine Oper langsam liebgewannen  klassik-begeistert.de 29. November 2022

Foto:  „La Cenerentola“, Wiener Staatsoper © Michael Pöhn
Vlnr: Margarita Gritskova (Tisbe), Tara Erraught (Angelina), Valentina Naforniţa (Clorinda)

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Es war ein Sonntag, der 25. Oktober 1959 und die Premiere von „Angelina“. Unter diesem Titel versteckte sich damals noch „La Cenerentola“, was eigentlich einen bösen Spitznamen für Angelina bedeutet. Christa Ludwig sang mit Wohlklang die Titelrolle. Alberto Erede dirigierte, die Inszenierung von dem populären Günther Rennert wirkte etwas süßlich. Der damalige Ehemann von Christa Ludwig sang einen gewitzten Diener Dandini, dagegen wirkte Waldemar Kmentt als Prinz zurückhaltend, zwar nobel, aber blass. Als Stiefvater Don Magnifico plusterte sich Karl Dönch mit seiner unverwechselbaren Stimme, die sich keiner Stimmlage zuordnen ließ,  bis zur Peinlichkeit auf. Ein noch wenig bekanntes Opernmitglied, der Bassist Ludwig Welter,  beeindruckte als Erzieher des Prinzen und Philosoph.

Die Produktion wurde ein touristischer Hit. Viele Gäste aus dem Ausland schwärmten beim Kartenanstellen von einer dieser Aufführungen. Aber erst nach fast dreißig Jahren finden wir in unsren „Annalen“ anlässlich der Salzburger Festspiele diese Oper wieder. Wahrscheinlich war die irische Mezzosopranistin Ann Murray der Auslöser, die gern von Salzburg eingeladen wurde. Leider musste sie an diesem Abend nach der Pause durch Martha Senn ersetzt werden. Hinter diesem Namen verbarg sich eine interessante Vita. Im Kanton St. Gallen geboren wuchs sie in Kolumbien auf. Als studierte Juristin ging sie zuerst in den Staatsdienst und wurde Kulturattaché bei den Vereinten Nationen. Sie betonte immer die soziale Komponente der Kultur. Nebenbei erhielt sie Gesangsunterricht, lebte in den Vereinigten Staaten und brachte bei ihrem Einspringen in Salzburg schon Erfahrungen vom Teatro La Fenice und von der Scala di Milano mit. Walter Berry ist in der Zwischenzeit zum Vater Don Magnifico mutiert.

Anlass „La Cenerentola“ zu besuchen war auch Mitte und gegen Ende der Neunzigerjahre nicht die Oper selbst. Zunächst war es ein Nachreisen unsres Freunds Michael Eder, der in Krefeld den Don Magnifico sang. Die sehr konventionelle Art der Darstellung dieses Typs machte auf das Publikum hörbar weniger Eindruck als die modernere Art, wie der Regisseur den Philosophen Alidoro formte. Als wir zu einem Symposion nach Nürnberg fuhren, hatten wir einen Abend frei, den wir zu einem  Opernbesuch nutzen wollten. Wir hatten keine Wahl und kamen so wieder zu unsrem „Aschenbrödel“. Mit der Angelina Frances Pappas  gab es dann zwei Jahrzehnte später im Salzburger Landestheater ein beeindruckendes Wiederhören der inzwischen bayerischen Kammersängerin als „Die Dame“ in „Cardillac“.

Es war ein halbes Jahrhundert nach Rennerts „Angelina“ an der Wiener Staatsoper, als wir mit Pamina Musikreisen in Valletta, der Hauptstadt Maltas,  das drittälteste bespielte Theater der Welt besuchten.  Das Teatru Manoel eröffnete 1732 und somit drei Jahre vor dem Teatro San Carlo di Napoli.

Teatru Manoel Foto: Lothar Schweitzer

Sie spielten wieder einmal ausgerechnet an dem Abend „La Cenerentola“. Was uns an der Regie von Giovanni Dispenza gefiel, war seine unkonventionelle Sichtweise des Dieners Dandini. Es ist üblich, Diener als ihren Herrn in gewisser Hinsicht überlegen darzustellen. Das hebt das Selbstbewusstsein breiter Publikumsschichten. Davide Rocca hatte im Gegensatz dazu den Prinzen – ein von seinem Herrn befohlener Rollentausch – verunsichert zu spielen. Einmal anders!

Davide Rocca Foto: Musikademia (Vanzaghello, Milano)

Es ist uns in dieser Aufführung ein Licht aufgegangen, was für ein modernes Stück eigentlich diese Rossini-Oper ist. Ein klassisches Märchen auf Slapstick pfiffig  gebracht. Deshalb konnten wir dann fünf Jahre später der Wiener Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf unter dem feinsinnigen Dirigat von Jesús López-Cobos mehr abgewinnen. „La Cenerentola“ wurde zu unsrer liebsten Oper von Rossini.

Epilog im Sinn von „Schweitzers Klassikwelt 5“: „SängerInnen, die unbekannten Wesen.

Giuliana Castellani (Angelina) Foto: Lothar Schweitzer

Als die Titelrollenträgerin im Teatru Manoel den herzlichen Applaus entgegennahm, war sie neunundzwanzig Jahre jung und wir ahnten nicht ihr trauriges Schicksal. Von Kindheit an musikbegeistert begann die Tessinerin Giuliana Castellani bereits mit fünfzehn Jahren ihre Karriere. Mit siebzehn Jahren erkrankte sie an Hodgkin-Lymphom, aber kämpfte sich in drei Jahren zurück auf die Bühne. Elf Jahre nach ihrem von uns mit erlebtem Erfolg am Teatru Manoel verunglückte sie tödlich bei einem Autounfall in Tirol.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 29. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

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