10 Fragen an den Kirchenmusiker und Dirigenten Thomas Dahl: "Ich wünsche mir eine Wertschätzung so vieler Dinge, die für uns selbstverständlich geworden sind"

10 Fragen an den Kirchenmusiker und Dirigenten Thomas Dahl  klassik-begeistert.de

Thomas Dahl, geboren in Tönning (Nordfriesland / Schleswig-Holstein), Studium in Hamburg, Stuttgart, Paris und Chicago. Seit 1996 Kantor und Organist an der Hauptkirche St. Petri zu Hamburg und Dirigent des Hamburger Bachchores. Konzerttätigkeit in den meisten europäischen Ländern, den USA und Japan. Im Juni 2019 führte Thomas Dahl mit dem Symphonischen Chor Hamburg auf Gozo (Malta) „Die erste Walpurgisnacht“ von Felix Mendelssohn Bartoldy und „Carmina Burana“ von Carl Orff auf.

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klassik-begeistert.de: Moin, moin, lieber Thomas, nach Hamburg. Wie geht es Dir und Deiner Familie?

Thomas Dahl: Herzlichen Dank der Nachfrage. Alle sind wohlauf.

Nenne bitte drei Schlagworte, wenn Du das Wort Corona hörst.

Was trägt, was hilft, was verbindet?

Welches sind die einschneidendsten Veränderungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie?

Die große Herausforderung an uns Musiker in der Kirche ist es, unsere Gemeinden und Zuhörer auf digitalem Wege anzusprechen. In angemessener Frequenz, in einem Format, das gut tut, in hoher Qualität. Und zwar jetzt.

Die Sankt-Petri-Kirche ist die älteste Pfarrkirche Hamburgs. Sie ist nach dem Apostel Petrus benannt und gehört zu den fünf Hamburger Hauptkirchen. Foto: wikipedia.de (c)

Kannst Du der Coronakrise auch etwas Positives abgewinnen?

Ein neues Bedenken sozialer Verantwortungen in den Beziehungsfeldern der Kirche. Eine Entschleunigung und ein Denken in bescheidenen zeitlichen Horizonten.

Womit verdienst Du normalerweise Deine Brötchen? Wie ist die Situation nach Aussetzen sämtlicher kultureller Veranstaltungen?

Ich bin in der glücklichen Situation, als Kirchenmusiker in Vollbeschäftigung arbeiten zu können. Für mich fallen einige externe, freiberufliche Termine aus – das ist aber etwas, was ich vor allem aus künstlerischen Gründen bedaure.

Du leitest als Kantor der Hamburger Hauptkirche St. Petri den Hamburger Bachchor und das Collegium musicum St. Petri. Wöchentliche Proben gehören seit Deinem 16. Lebensjahr zu Deinem Leben? Was fehlt Dir ohne Deine Klangkörper am meisten?

@Begegnung, Austausch, Gemeinschaft, Lachen, gemeinsame Beschäftigung mit so vielfältiger Musik, gerade jetzt in der Karwoche.

Thomas Dahl

Wie schaffst Du es finanzielle Verluste aufzufangen? Wie würde Deiner Meinung nach ein geeigneter Rettungsschirm aussehen?

Aktuell sind die Verluste noch zu verschmerzen. Wir bekommen großartige Unterstützung durch Konzertbesucher, die ihre gekauften Karten nicht erstatten lassen. Jetzt warte ich sehnsüchtig auf die nächsten Ansagen der Behörden, um zu erfahren, wann wir wieder loslegen können.

Wie gelingt es Dir als Kirchenmusiker und Dirigent ohne Publikum bei Laune zu bleiben?

Neben Kontakten über E-Mail und das Handy stellen mein Kollege Lukas Henke und ich wöchentlich Musik aus St. Petri ins Netz. Auf Initiative unseres Sängers Matthias Feldhoff posten wir jeden Mittwoch um 18 Uhr ein Abendgebet mit Liedern in der Tradition der anglikanischen Evensongs.

Eine Frage, die mich sehr interessiert: Mit welcher Musik stimulierst Du Dein Immunsystem?

Bach, Brahms, Reger an der Orgel. Jacob Collier, Pat Metheny, The Real Group aus der Konserve. Ansonsten viele wertvolle Impulse und Anregungen von Freunden und Kollegen.

Deine Frau Steffi unterstützt Dich seit Beginn Deiner Karriere. Wie kommt sie selbst durch die Krise?

Brillant! Sie macht Home Office, als habe sie nie etwas anderes gemacht. Da sie in zwei renommierten Kammerchören singt, vermisst sie die Chorgemeinschaften aber auch sehr.

Wie hältst Du Dich in Form? Musikalisch und körperlich?

Musikalisch: Ich habe seit Jahren nicht mehr so viel Orgel geübt. Das ist ein wirklicher Trost für mich. Und ich kann für die vielen kleinen Sendungen aus St. Petri viel improvisieren – frei, über Choräle oder Gregorianik. Das ist eine inspirierende Herausforderung.

Thomas Dahl

Körperlich: Ich fahre jeden Tag 20 Kilometer Rad, weil ich den Hamburger Verkehrsverbund HVV lieber nicht mehr benutze. Rund um St. Petri bin ich wie immer mit meinem Longboard unterwegs. Die Mönckebergstraße ist gerade ein sehr sicheres Revier für Skateboarder.

Momentan verbringen viele Musikliebhaber viel Zeit in ihren eigenen vier Wänden. Gibt es ein Buch, eine CD oder auch Streamingangebot, das Du uns dringend empfehlen möchtest?

Axel Hacke: „Wozu wir da sind.“

Kommen wir zur ersten Frage zurück: Wo siehst Du Dich in einem Jahr?

Hoffentlich am selben Ort mit meinem Chor, meiner Gemeinde und unserem wundervollen Publikum. Vielleicht unter bescheideneren wirtschaftlichen Verhältnissen. Aber das können wir alle trotzdem mit großartiger Musik füllen.

Es gibt Zukunftsforscher, die nach überstandener Corona-Krise eine Verbesserung des Weltklimas – ökologisch wie sozial – prophezeien. Teilst Du diese Einschätzung? Wie ist Deine Vision?

Ich glaube an keine nachhaltige Verbesserung des ökologischen Klimas durch Corona. Eine Verbesserung des sozialen Klimas, vor allem eine Wertschätzung so vieler Dinge, die für uns selbstverständlich geworden sind, wünsche ich mir sehr.

Schauen wir in die Glaskugel: Die Heilige Corona, auch Schutzpatronin gegen Seuchen, hat ein Einsehen mit uns und beendet die Pandemie. Alle Musikclubs, Theater, Opern- und Konzert- sowie Gotteshäuser öffnen wieder. Für Deinen ersten Auftritt hast Du drei Wünsche frei: Wo, mit welchem Werk und mit wem teilst Du die Bühne?

Ich wünsche mir jetzt einfach nicht, dass wir in der Carnegie Hall Pendereckis Lukas-Passion zum Jahresgedenken seines Todes aufführen, sondern wäre froh und glücklich, wenn ich mit meinen Ensembles unsere Aufführung von Bachs Johannes-Passion in der Fassung von Robert Schumann nachholen könnten, die wir für Karfreitag absagen mussten. Da ist so viel Liebe und Arbeit hineingeflossen – das muss jetzt erstmal in die Welt.

Lieber Thomas, ganz herzlichen Dank für das Interview. Und alles Gute Dir und Deiner wunderbaren Kirche im Herzen Hamburgs.

Interview: Andreas Schmidt, 8. April 2020, für
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