Anne Byrne weist nicht ohne Stolz darauf hin, dass in fünf Jahren, noch nie ein Termin ausgelassen wurde. Aber Vorsicht: diese Veranstaltung hat hohes Sucht-Potential!
von Peter Sommeregger
Neukölln, Berlins Hochburg türkischer Migranten und die Oper: Das ist schon seit der Gründung der „Neuköllner Oper“ 1972 eine geglückte Paarung.
Seit inzwischen fünf Jahren findet aber nur wenige Schritte entfernt, im Konzertcafe Prachtwerk, jeden Monat ein Veranstaltung von Opera on Tap statt. Dieses Ensemble von OpernsängerInnen und wechselnden Gästen hatte seinen Ursprung in New York, wo in Freddy’s Bar 2005 das erste Konzert stattfand. Gegründet von der Sängerin Anne Hiatt, die wie viele ihrer KollegInnen frustriert von den kaum vorhandenen Auftrittsmöglichkeiten für junge Künstler war. Inzwischen hat dieses Projekt schon mehrere „Ableger“, hauptsächlich in Großstädten der USA, aber auch in Deutschland gibt es mit Berlin, Hamburg und Dresden schon drei Veranstaltungsorte.
Ich bedaure es sehr, dass ich erst in diesem Jahr durch Mundpropaganda auf diese originelle Veranstaltung aufmerksam wurde. Bei meinem ersten Besuch am 11. Februar war ich sofort von der Spontanität, Lockerheit und gleichzeitigen Professionalität aller Beteiligten eingenommen.
Das Motto an diesem Abend war „Love Songs and Break up Songs“, nach einer kurzen Anmoderation von Anne Byrne, der Gründerin des Berliner Ablegers, erklären die Sänger teilweise auch selbst, worum es in der nächsten Gesangsnummer geht. Dies geschieht auf eine lockere und spaßige Art, die schon vor dem ersten gesungenen Ton im Publikum gute Laune verbreitet. Alle Mitwirkenden treten leger gekleidet und nur von einem Klavier begleitet auf. Es ist eine neue und besondere Erfahrung, Opernarien einmal so erfrischend direkt und hautnah zu erleben. Sicher, nicht alles gelingt optimal, aber gerade im (noch) nicht Perfekten liegt der Reiz dieser Auftritte. Es darf gegessen, getrunken, das Smartphone als Kamera verwendet werden. In der Pause und nach Ende der Veranstaltung kommt man leicht und unkompliziert mit den SängerInnen ins Gespräch.
Am 11. Februar waren die Sopranistinnen Marysa Abbas und Sarah Davis, die Mezzos Stephanie Goodwin und Kelsey Boesche, alle Amerikanerinnen, zu hören, außerdem der argentinische Tenor Rolando Guy, der neben einer schönen lyrischen Tenorstimme noch so viel Charme besitzt, dass er ihm förmlich aus allen Knopflöchern sprüht. Das Programm war äußerst anspruchsvoll und ambitioniert, das Spektrum reichte von der Hallenarie der Elisabeth bis zum Boheme-Duett, dazwischen auch weniger populäre Stücke.
Am Ende der Veranstaltung nach etwa zwei Stunden hat man durchaus noch Lust auf mehr. Gut, zum Trost zu hören, dass verlässlich an jedem zweiten Dienstag im Monat wieder gesungen wird. Anne Byrne weist nicht ohne Stolz darauf hin, dass in fünf Jahren, noch nie ein Termin ausgelassen wurde. Aber Vorsicht: diese Veranstaltung hat hohes Sucht-Potential!
Für alle Interessierten:
Opera on Tap
Jeden zweiten Dienstag im Monat um 20 Uhr im Prachtwerk
Ganghoferstr.2
12043 Berlin
Peter Sommeregger, 17. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de, klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.ch
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Langes Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
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Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de .