Giacomo Puccini, Tosca
Wiener Staatsoper, 13. Dezember 2020 (Live-Aufführung)
Anna Netrebko Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Renate Wagner bespricht den Stream:
Man kann an Anna Netrebko vieles bewundern; auf jeden Fall das ungemein konsequente Arbeiten an einer Karriere (denn geschenkt wird einem ja bekanntlich gar nichts). Bewundernswert ist nicht zuletzt ihr Fleiß. Man könnte schwindlig werden angesichts der Schnelligkeit, mit der sie sich in den letzten Jahren ein Riesenrepertoire von Riesenpartien angeeignet hat.
Nachdem sie Mozart, Bellini und Donizetti hinter sich gelassen hatte und 2014 in die Lady Macbeth gesprungen war, kamen die Troubadour-Leonora und die Giovanna d’Arco, es folgte die Adriana Lecouvreur, dann die Aida. 2017 eröffnete sie die Scala mit der Madeleine im „Andrea Chénier“ (die sie dann auch in Wien gesungen hat), 2018 folgten die „Tosca“ an der Met (mit der sie die Scala 2019 eröffnete) und die Forza-Leonora (in London mit Kaufmann), dann sang sie – die Zusammenarbeit mit Thielemann stand dahinter, wenn auch diesbezügliche Pläne bisher nur teilweise verwirklicht werden konnten – die Elisabetta und die Turandot. Und wenn man sie ließe, hätte sie demnächst an der Met als Abigaile debutiert, aber wie man sie kennt, holt sie das noch nach.
Abgesehen davon stehen die Lady Macbeth und die Tatjana immer noch auf ihrem Repertoire, während sie die Elsa möglicherweise nicht mehr versucht (die Idee, das an sich so geglückte Dresdener Abenteuer in Bayreuth zu wiederholen, wurde abgesagt und ist seither eingeschlafen)…
Anna Netrebko ist nun wirklich eine Tosca bis in die Fingerspitzen, an ihr längst nicht mehr „neues“ Timbre, das dunkel, guttural und für die dramatischen Rollen, die sie nun singt, geeignet ist, hat man sich gewöhnt (wobei es durchaus möglich ist, dass es Opernfreunde gibt, die meinen, ein Sopran könnte heller klingen). Ihre makellose Technik bewältigt alles, wenn auch das „Leichte“ vielleicht nicht mehr ganz so leicht fällt, aber Tosca liebesgurrt ja im ersten Akt auch nur ein bisschen – sonst ist sie voll geladen, im Eifersuchts-Krampf mit Cavaradossi, im Psycho-Duell mit Scarpia, in der leidenschaftlichen Hoffnung am Ende.
Und die Netrebko singt das nicht nur, sie spielt das auch…
… ORF III ist in diesen Tagen der Corona-Not ein starker Partner für die Staatsoper. Zu raunzen, man sei der Streams und Übertragungen müde, hört sich für mich angesichts eines solchen Abends wie grober Undank an.
Zum Bericht von Dr. Renate Wagner
klassik-begeistert.de, 14. Dezember 2020
Es war gestern Abend wirklich wunderbare Vorstellung. Die Netrebko hat sich in die Reihe der Primadonnen hochgesungen. Makellos leuchtet ihre etwas dunkler gewordene Stimme. Sie spielt sehr gut und überzeugt. Ihr Partner-Gatte ist schlanker geworden und sein Organ ist mehr flexibel und kontrastreicher geworden. Also ist er keineswegs ein „Anhängsel“. Er bot eine solide Leistung.
Eine tadellose Aufführung der Spitzenklasse.
Hugo Zsolnai