Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
Miriam Hanika – September (live), Instrumentalstück mit Englischhorn (2021)
von Lorenz Kerscher
Der Name Miriam Hanika ist derzeit noch wenig bekannt, denn es gibt ihn erst seit Beginn dieses Jahres. Es ist der Künstlername, den die klassische Oboistin Miriam Katharina Ströher kürzlich für ihr Wirken als Liedermacherin gewählt hat, nachdem sie in diesem Genre vorher schon einige Jahre als Miriam Green aufgetreten war und zwei CDs veröffentlicht hatte. Nun aber erst einmal der Reihe nach, um den Überblick über das Leben und Wirken der vielseitigen und kreativen Künstlerin nicht zu verlieren!
Miriams Eltern sind als Musiklehrer tätig und unterrichteten ihre begabte Tochter am Klavier. Sie lernte außerdem Oboe und besuchte ab dem Alter von 16 Jahren ein Musikgymnasium. Nach ihrem Abitur studierte sie in München Oboe, wo sie bei dem auch als Solist sehr bekannten François Leleux ihren Masterabschluss machte. Bei ihrem Examenskonzert im Sommer 2016 war ich zugegen und erlebte die Besonderheit, dass sie nach den Prüfungsstücken aus verschiedenen Stilepochen noch drei selbstgeschriebene Lieder in kammermusikalischen Arrangements aufführte. Hierbei spielte sie Einleitungen und Schlussteile auf der Oboe und sang dazwischen ruhige Melodien auf ihre eigenen feinsinnigen und klugen Texte.
Miriam Hanika – Am Ende des Tages (live)
Wenn sie während des Studiums der Auseinandersetzung mit ihrem heiklen Instrument und den widerspenstigen Rohrblattmundstücken müde war, setzte sie sich ans Klavier und vertonte eigene Texte. Die ersten fünf Lieder veröffentlichte sie 2014 auf einer selbstproduzierten CD. Dies brachte ihr und der begleitenden Kammermusikgruppe eine Vorstellung als „Band der Woche“ in der Süddeutschen Zeitung ein, wodurch ich auf sie aufmerksam wurde. Für Auftritte in dieser Formation ließ das Studium jedoch nicht viel Zeit, so dass zunächst nur wenige Videos in YouTube zu finden waren und Neugier weckten. Ihre Texte waren zunächst auf Englisch; inzwischen nutzt sie die deutsche Sprache, um ebenso feinfühlig wie klar zu den ihr wichtigen Themen Stellung zu beziehen. Ihr Lied Enticing Surrender mit der Botschaft, dass man besser seine kleinen Beiträge leisten soll, als im Kampf um zu hohe Ziele zu scheitern, erhielt 2015 einen zweiten Preis beim Friedenssongwettbewerb in Bonn.
Allmählich wuchs ihr Repertoire als Liedermacherin auf einen mehr als abendfüllenden Umfang an und es reiften die Pläne für das Album „Wanderlust“. Sie hatte sich ein eigenes Tonstudio aufgebaut und wollte die CD selbst produzieren. Die Finanzierung gelang ihr über Crowdfunding. Als das Projekt schon so gut wie abgeschlossen war, wurde Konstantin Wecker darauf aufmerksam. Der Altmeister des politischen Lieds hält seit einigen Jahren Ausschau nach jungen Leuten, die den Staffelstab übernehmen könnten. Um diese zu unterstützen, hat er das Label Sturm & Klang gegründet. In diesem erschien dann im April 2019 auch Miriams neue Produktion. Konstantin Wecker ist es auch zu verdanken, dass er sie bei einem Konzert im Mai 2020 mit Tamara Banez und Sarah Straub zusammenbrachte und damit eine Kooperation der drei ganz unterschiedlichen, sich aber ideal ergänzenden jungen Liedermacherinnen in die Wege leitete. Dieses Trio arbeitet derzeit an den Aufnahmen für ein Gemeinschaftsalbum, das in Kürze erscheinen wird.
Unter ihrem bürgerlichen Namen Miriam Katharina Ströher war sie auch immer als freiberufliche Oboistin tätig und wirkte beispielsweise im Georgischen Kammerorchester Ingolstadt und im Dandelion Quintett mit. Zu diesem klassischen Bläserquintett hatten sich junge Musikerinnen und Musiker zusammengeschlossen, um als Ensemble auf das Konzertexamen Kammermusik hinzuarbeiten. Gemeinsam erreichten sie ein bemerkenswertes Niveau und erzielten auch einen Wettbewerbserfolg, bis Corona dieses vielversprechende Projekt zunächst einmal stoppte.
Samuel Barber: Summer Music, Op. 31|Dandelion Quintet
Da in manchen Werken für Bläserquintett der Wechsel von der Oboe auf das Englischhorn gefordert wird, musste sie sich die dunkel und voll klingende große Schwester der Oboe zulegen. Daraus wurde eine große Liebe, die dazu führte, dass sie dieses ganz spezielle Instrument vermutlich erstmals auch außerhalb des Klassiksektors einsetzte. Einem Teil ihrer neuen, während der Corona-Pandemie entstandenen Lieder verleiht sie damit eine dunklere Farbe und einen einzigartigen Reiz. So legt sich die dem Englischhorn eigene Melancholie auch als Stimmungsbild der im Lockdown vom Publikum abgeschnittenen Künstlerin über ihr neues Album „Louise“, das neben vielen im Lied ausgedrückten Gedanken auch zwei Instrumentalstücke meditativen Charakters enthält. Der titelgebenden Urgroßtante, die mit ihrer Eigenständigkeit und ihrem krisenfesten Optimismus ein prägendes Vorbild war, ist auch eines von Miriams schönen Musikvideos gewidmet.
Miriam Hanika – Louise, Musikvideo mit Choreographie
Will man versuchen, Miriam Hanikas Musik nach irgendeinem Schema einzuordnen, wird das zu nichts führen. Wer zwischen E- und U-Musik, also zwischen ernster und unterhaltender Musik, unterscheiden möchte, wird sie in seinem Koordinatensystem nicht unterbringen können. Sie arrangiert für ein klassisches Instrumentarium, verlässt sich ganz überwiegend auf akustische Instrumente, singt aber ins Mikrophon. Ihre Stimme ist nicht klassisch ausgebildet, doch sehr sauber und textverständlich, worauf es ihr besonders ankommt. Die Einfachheit des Gesangsstils ist ihr ein Mittel, um den Geist ihrer Texte ganz ohne Pathos wirken zu lassen. Ungeschminkt, dezent gekleidet und mit flachen Schuhen oder auch barfuß verzichtet sie auf jeglichen Glamour und wirkt dadurch umso authentischer. Und so sanft sie wirkt, so sicher steht sie zu ihrer klar durchdachten Meinung.
Auf Oboe und Englischhorn ist sie Vollprofi, auch Klavier spielt sie sehr gut und begleitet sich bei einem Teil ihrer Lieder selbst. Publikum mit klassischen Hörgewohnheiten muss gewiss keine Hürde überwinden, um sich mit ihrer Musik anzufreunden. Manche Popmusikfans werden in ihren Programmen vielleicht schnelle, tanzbare Nummern vermissen. Es mag wohl schon Kritik in dieser Richtung gegeben haben, denn ihrem Lied „Pastell“ am Ende des untenstehenden Vorstellungskonzerts für das neue Album bekennt sie sich dazu, dass sie ihrer Wesensart entsprechend mit sanften Farben malt. Ihre Musik ist nicht das, was im Radio „rauf und runter läuft“, sondern verdient ein Publikum, das genau hinhört. Es lohnt sich, sie kennenzulernen! So traurig sie war, dass zur Vorstellung ihres neuen Albums nicht einmal Zuhörer zugegen sein konnten, ist es andererseits ein Glück, dass dieser bewegende Abend jetzt in exzellenter Aufnahmequalität dauerhaft als Videostream zur Verfügung steht.
Miriam Hanika – Releasekonzert des Albums „Louise“ in der Geltinger Kulturbühne „Hinterhalt“ am 21. Mai 2021
Weiterführende Information:
Biografisch sortierte Playlist in Youtube
Lorenz Kerscher, 10. Juni 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.
„‘Musik ist Beziehungssache‘, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
Rising Stars 7: Hanna-Elisabeth Müller, Sopran – trittsicher auf dem Weg nach oben