Baby-!-geschrei im dritten Konzert verstummte rasch, als die jungen Mütter peinlich berührt aus dem Saal geschlichen sind.
(Tonhalle Orchester Zürich beim Schlussapplaus Bruckner; Foto Patrik Klein)
Paavo Järvi zaubert einen überirdischen Klang in Hamburgs
Top-Konzertsaal
von Patrik Klein
Eines der traditionsreichsten Orchester Europas war an drei aufeinanderfolgenden Abenden zu Gast an der Elbe und bescherte dem gebannten Zuhörerkreis in der restlos ausverkauften Elbphilharmonie neue Maßstäbe in Sachen Bruckner. Die Sinfonien sechs, acht und zuletzt drei kamen zu Gehör. Sie wurden flankiert von Klassikern und seltener gespielten Werken der Konzertszene.
Nach dem zweiten Abend musste ich auf Facebook meinen Emotionen freien Lauf lassen:
„Bei Bruckners achter Sinfonie wurden die Trommelfelle mal so richtig durchgebürstet und die Synapsen auf Null gesetzt – Was für ein Konzert!? – Was für ein Orchester!? – Welch herrlicher Klang, wie von einem anderen Stern!? – Mit unglaublich präziser Wucht, technischer Perfektion aber auch zartem seidigem Glanz in den leisen Passagen spielte das großartige Tonhalle Orchester aus Zürich Bruckners achte Sinfonie – und das einleitende Stück von Arvo Pärt (Cantus in Memoriam Benjamin Britten) war kein Appendix am abendfüllenden Programm, sondern herrliche Musik, die ich bislang nie hörte – die Hütte tobte – zu Recht – Morgen folgt der dritte Streich.“
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Die Zuhörer an den drei Abenden waren höchstdiszipliniert und jeder Zwischenapplausversuch der wenigen unerfahrenen „En-passant-Konzertbesucher“ wurde weggezischt. Babygeschrei im dritten Konzert verstummte rasch, als die jungen Mütter peinlich berührt aus dem Saal geschlichen sind.
Noch einmal gab sich dann das Spitzenorchester aus der Schweiz am Samstag die Ehre. Insgesamt hörte man dreimal Bruckner, zweimal Pärt und je einmal Mozart und Messiaen.
Am abschließenden Abend gastierte der wunderbare Pianist und Komponist Fazıl Say, selbst ein Tausendsassa und ein Glücksfall für Mozart, der seinen Part bei dessen Klavierkonzert KV 488 quasi mit dirigierte, mitfühlte und dabei mit leiden musste. Er fand zudem auch noch die Zeit und Gelegenheit, während seines Einklangs mit Mozart mit der Konzertmeisterin musikalisch zu flirten. Was man so alles auf dem Konzertpodium erleben kann? Das Klavierkonzert wurde bejubelt und als Zugabe gab er eine Eigenkomposition zum besten, bei der orientalische Klänge erzeugt wurden, indem er eine Hand fast immer auf den Saiten des Klavieres bewegte und so einen bisher nie gehörten Sound erzeugt.
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Der dem Hamburger Publikum bestens bekannte estnische Chefdirigent der Kammerphilharmonie Bremen und Musicdirector des Tonhalle Orchesters Zürich, Paavo Järvi, leitete die drei Abende mit einer stoischen Erhabenheit, exakten Einsätzen und ausgewogener Dynamik. Er entlockte seinem Orchester höchste Präzision und wunderschöne Klangfarben vor allem bei Bruckners achter Sinfonie, die noch lange im Gedächtnis haften werden.
Eine Serie von Sternstunden in der Elbphilharmonie Hamburg.
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Das Programm der drei ausverkauften Abende:
Olivier Messiaen
L’ascension / Quatre méditations symphoniques
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 6 A-Dur
Arvo Pärt
Cantus in Memoriam Benjamin Britten
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 8 c-Moll (Zweite Fassung)
Arvo Pärt
Fratres
Wolfgang Amadeus Mozart, Solist Fazıl Say (Klavier)
Konzert für Klavier und Orchester A-Dur KV 488
Zugabe Fazıl Say: Eigenkomposition mit orientalischen Klängen und einer Hand häufig auf den Klaviersaiten
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 3 d-Moll
Patrik Klein, 14. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Viktoria Mullova, Estnisches Festivalorcher, Paavo Järvi, Kölner Philharmonie
Philharmonia Orchestra, Hilary Hahn, Paavo Järvi, Elbphilharmonie Hamburg, 30. Januar 2019
Dass ich einen (den ersten) dieser drei Abende miterleben durfte, liegt an einer Ihrer (Mit-)Autorinnen, die mich vor beinahe vierzig Jahren mit einer „Musst Du gehört haben“-Liste ihrer Lieblingskomponisten angefixt hat. Ohne diese Nachhilfe wäre ich vermutlich viel zu spät oder niemals auf die Idee gekommen, einen Konzertsaal zu betreten. Danke für immer! — Besonders in Erinnerung wird (meiner sonst eher Opern-begeisterten Begleiterin und) mir von diesem Konzert in der Elbphilharmonie (bei aller Disziplin des Tonhalle Orchesters) bleiben: Die geradezu mitreißende Spielfreude des jungen Cellisten Paul Handschke.
Martin W.