Richard Wagner, Parsifal
Tiroler Festspiele Erl, 31. März 2018
von Charles E. Ritterband
Zugegeben – der Parsifal ist nicht unbedingt meine liebste Oper. Eher das Gegenteil. Dieses „Bühnenweihfestspiel“ – denn genau genommen ist es keine Oper – muss als Fortsetzung, ja als Vollendung von Wagners Gesamtwerk angesehen werden. Wagner nannte den Gral „eine Vergeistigung des Nibelungenhortes“ und die Figur des Parsifal ist in mancher Hinsicht die Wiedergeburt des Siegfried.
Ich halte es mit Nietzsche, der Wagner wegen dessen pessimistisch verbrämter Ring-Tetralogie bewundert hatte und Wagners „Weltabschied“ als „Verrat“ verurteilt hatte. Er konnte es Wagner nicht verzeihen, dass sich dieser aus Schwäche (wie Nietzsche meinte) vor dem Kreuz gebeugt habe. In ihrem Programmheft stellen denn die Tiroler Festspiele Erl, die dieses Werk nicht zufällig am Karsamstag zur Aufführung gebracht haben, fest: „Es wäre falsch, den Parsifal als ein christliches Werk zu bezeichnen“. Denn Wagner gehe „unter Nutzung christlicher Symbole weit über den Rahmen einer einzigen Religion hinaus“ und weise „in Richtung einer übergeordneten Ethik“ mit dem Begriff des „Mitleids“ im Zentrum.
Kein einfacher Stoff also, seit seiner Uraufführung vor 146 Jahren immer wieder interpretiert, diskutiert, missverstanden. Vor allem: Diese Oper ist nicht einfach zu inszenieren. Zwischen Kitsch, Pathos – und vor allem: Statik. Diesen Problemen ist auch die Neuinszenierung der Festspiele Erl von Gustav Kuhn nicht entgangen. Die Oper – streckenweise wegen ihrer epischen Länge von weit über vier Stunden, ihrer Langfädigkeit ohnehin schon schwer erträglich leidet hier zusätzlich unter einer völlig statischen Inszenierung. Der (übrigens ausgezeichnete) Chor stellt sich abwechselnd in verschiedenen Zonen des Bühnenbildes auf und wird wieder abgezogen. Die Blumenmädchen-Szene erinnert in ihrer kitschigen Buntheit, ihrer disneyhaften Glattheit und Gefälligkeit weit mehr an eine zweitrangige Operette als an eine Szene aus einer ernstzunehmenden Wagner-Oper.
Das Bühnenbild mit seinen abstrakten (aber einer Erklärung und Interpretation unzugänglichen) geometrischen Elementen und den nach einem unerfindlichen System immer wieder auf- und abgeklappten zweidimensionalen Metallskulpturen soll etwas muntere Abwechslung in die oft monotone Handlung bringen – aber das ist eine eher sinnlose Übung. Desgleichen die farbigen Beleuchtungseffekte, in Giftgrün, Violett und Abendrot, welche die Szene durchaus ästhetisch aufwerten, aber keinen wirklichen Sinn ergeben – uns Zuschauer höchstens über lange Durststrecken visuell hinwegtrösten.
Und da ist der lange, weiße Ikea-Kunststofftisch in der Mitte des Bühnenbildes, an dem vor allem Amfortas stundenlang sitzt und seine ewigen gesanglichen Monologe absorbiert und mit etwas Würgen (wie das bei Ikea-Möbeln eben dazu gehört) den Gral, eine Plastikschüssel, aus dem aufgeklappten Tisch hervorwürgt – dieser weiße Kunststoff-Tisch deprimiert uns immer mehr und ist am Ende völlig unerträglich.
Doch bei aller Kritik: Das Festspielhaus, in dem dieser Parsifal zur Aufführung gelangt, ist atemberaubende, fantastisch gut gelungene Architektur. Und die Akustik ist schlicht phänomenal. Was sie transportiert, ebenso: Das Orchester der Tiroler Festspiele Erl, ebenfalls unter Gustav Kuhn, leistet in diesen vielen Stunden großartiges. Da werden kraftvolle Klangwolken ins Publikum gesendet, das wie in einem griechischen Theater auf steil ansteigenden Sitzreihen mit optimaler Akustik Platz genommen hat. Da werden mit großer Präzision subtile Passagen vermittelt und da ergießt sich der ganze Schwall Wagner’scher Sinnlichkeit in den erotischen Kundry-Szenen über das Publikum.
Und diese Kundry (die deutsche, in Spanien aufgewachsene Sopranistin Nicola Beller Carbone) erbringt grandiose gesangliche Leistungen in dem langen anspruchsvollen zweiten Aufzug, in dem sie fast pausenlos auf der Bühne agiert. Ihre Stimme ist stark, aber schön und kontrolliert. In ihrem Auftritt vermittelt sie all die Erotik und Sinnlichkeit, welche die Figur ihr abverlangt.
Alle gesanglichen Leistungen waren erstklassig, besonders zu erwähnen ist der überwältigende Titurel des grandiosen Bass-Baritons Donald Thomson und der Gurnemanz des aus Serbien stammenden Bass-Baritons Pavel Kudinov, dessen wunderschöne Stimme allerdings bisweilen vom Orchester übertönt wurde. Der Parsifal des in München geborenen jungen Tenors Ferdinand von Bothmer war glaubwürdig, äußerst berührend und passagenweise schlicht schön.
Das Publikum honorierte die musikalischen Leistungen von Solisten, Orchester und Chor mit langanhaltendem Applaus und großem Jubel. Was es allerdings von der Inszenierung gehalten hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.
Amfortas: Thomas Gazheli
Titurel: Donald Thomson
Gurnemanz: Pavel Kudinov
Parsifal: Ferdinand von Bothmer
Klingsor: Michael Kupfer-Radecky
Kundry: Nicola Beller Carbone
1. Gralsritter: Laszlo Maleczky
2. Gralsritter: Frederik Baldus
Knappen: Hui Jin, Marta Lotti, Anna Lucia Nardi, Giorgio Valenta
Blumenmädchen: Paola Leggeri, Maria Radoeva, Alena Sautier, Lada Kyssy, Svetlana Kotina, Michiko Watanabe
Schwan: Katharina Glas
Erler Kinder
Chorakademie und Orchester der Tiroler Festspiele Erl
Musikalische Leitung: Gustav Kuhn