Klavierfestival Ruhr 2023, Konzert Krystian Zimerman © KFR/Peter Wieler
Duisburg, Mercatorhalle, 3. Juni 2023
Krystian Zimerman mit spannendem Programm beim Klavier-Festival Ruhr
Johann Sebastian Bach (1685-1750) – Partita Nr. 1 B-Dur BWV 825; Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826
Karol Szymanowski (1882-1937) – Präludien op. 1 (Auswahl); Mazurkas op. 50 (Auswahl)
Frédéric Chopin (1810-1849) – Klaviersonate Nr. 3 h-Moll op. 58
Krystian Zimerman, Klavier
von Brian Cooper, Bonn
Es gibt diese Abende, die nachklingen. Lange nachklingen. So auch der Duisburger Auftritt von Krystian Zimerman, der sich rar macht; die Rede ist von nur etwa 40 Konzerten pro Jahr, die er immer auf seinem eigenen Flügel spielt. Glücklicherweise tritt er überhaupt noch beim Klavier-Festival Ruhr auf, trotz des Eklats damals vor zehn Jahren, als er die Bühne verließ, weil er gefilmt wurde. Dazu gleich mehr.
Schlägt man am Klavier eine Taste an, ist der Ton erzeugt. Nix mehr zu machen. Wie kann es dann sein, dass einem immer wieder das Wort „gesanglich“ in den Sinn kommt, wenn man Krystian Zimermans Bach lauscht? Nur weitere Töne können folgen, die eine Melodie oder Struktur bilden. Und Zimermans Bach hat immer einen Anfangs- und Endpunkt, mit einigen Zwischenhalten, wie etwa die Doppelstriche bei den diszipliniert eingehaltenen Wiederholungsanweisungen.
In der ersten Hälfte gestaltete er also – und das Wort „gestalten“ ist bewusst gewählt – die ersten beiden der insgesamt sechs Partiten von Bach, BWV 825 und 826. Die B-Dur-Partita begann schon im ersten Satz äußerst gesanglich (noch am Folgetag ging er mir immer wieder durch den Kopf), und schon im zweiten Satz, der Allemande, zeigte Zimerman eindrucksvoll, wie keck und durchaus humorvoll das komponiert ist, wie übrigens auch im letzten Satz. Bachs Klaviermusik ist eben nicht „Nähmaschinengeratter“ und „Rechenaufgabe“ – zwei durchaus despektierlich gemeinte Wörter, die in der Vergangenheit in meinem Dunstkreis fielen.
Bach ist so viel mehr. Bei Zimerman steht er relativ selten auf dem Programm (bereits 2008 spielte er in Duisburg BWV 826). In den schnellen Sätzen ist er durchaus zügig unterwegs, am Schluss von BWV 826 mitunter so haarsträubend rasant (und dabei herrlich musizierend), dass der etwa sechsjährige Junge im Hinausgehen zur Pause seiner Oma völlig begeistert mitteilt, das sei doch eigentlich unmöglich, „so schnell und toll“ zu spielen. Nun, auch die Großen haben gestaunt! Auch ob des Gesanglichen der langsamen Sätze. Das Rondeau, der vorletzte Satz, schien hart an der Grenze zum Manierierten, aber eben nur fast: Es war total verspielt, als ob die Hände auf den Tasten, gleich Kindern auf einer Blumenwiese, fangen oder verstecken spielen.
Der Konzertfreund aus Aachen, der sich aus dem ohnehin reichhaltigen Klavier-Festival-Kuchen die absoluten Rosinen – oder, je nach Geschmack, die Schokostückchen – herauspickt, schwärmte zur Pause nicht nur von Zimermans Bach, sondern auch von des Meisters neuer Szymanowski-CD. Ein wenig enttäuscht sei er schon, dass der Chopin kurzfristig ins Programm aufgenommen worden sei, das habe man doch schon so oft von Zimerman gehört.
Stimmt, zuletzt vor gerade mal zwei Jahren in Wuppertal. Natürlich waren wir alle da. Aber da wir von Krystian Zimerman sprechen: Gerade bei ihm ist kein Rezital wie das andere, auch kein op. 58. Gerade bei ihm entsteht die im Konzert dargebotene Musik, die Kunst, aus dem Moment heraus. (Man mag darüber spekulieren, ob die stets kurzfristig angekündigte Programmwahl damit zu tun hat, aber das ist müßig.)
„Mehr Szymanowski wagen“ könnte als ein Motto über dem Abend liegen. (Wobei ich diesem Trend, Festivals und einzelne Konzerte zu betiteln, eher skeptisch gegenüberstehe.) Die Klaviermusik des 1882 geborenen Polen wird zwar immer wieder gespielt, aber leider noch allzu selten. Reizvoll an Zimermans Auswahl – vier Präludien aus op. 1, gefolgt von vier Mazurkas aus op. 50 – war das Erleben einer sich völlig verändernden Tonsprache. Sind wir in den ersten Werken des Teenagers noch fest in Chopin’schen Gefilden (die Miniaturen klingen mitunter wie in einem Salon improvisiert), so hören wir ein Vierteljahrhundert später bereits Skrjabin und Janáček heraus.
Und waren wir nach Bach und Szymanowski schon in einem richtig guten Rezital gewesen, wurde es in der h-Moll-Sonate… nun, das Wort „intergalaktisch“ drängt sich auf. Über Zimerman und Chopin ist schon so viel geschrieben worden. Die beiden Klavierkonzerte mit dem von ihm gegründeten Polish Festival Orchestra, auch schon bald 25 Jahre her, verpasste ich leider; eine b-Moll-Sonate bleibt sehr lange in Erinnerung, weil Zimerman allein dynamisch den Trauermarsch so bildhaft und spannend gestaltete, dass man sich am Straßenrand wähnte, während eine Prozession vorbeizieht.
Und nun eben diese h-Moll-Sonate in Duisburg. Von so einigen, die ich gehört habe, wird diese ebenfalls lange im Gedächtnis bleiben. Zimerman, an diesem Abend übrigens sichtlich gut gelaunt gegenüber seinem Publikum, hat das Werk vollkommen verinnerlicht; in Duisburg wurden sämtliche Zügel losgelassen, wo es schnell zuging. Und das Largo: wieder ungemein gesanglich. Über allem schwebt die klare Struktur.
Und dann, vor dem letzten Satz, dieser merkwürdige lange Blick ins Publikum. „Seid Ihr noch da?“, oder wie war das zu verstehen? Was dann im letzten Satz folgte, war einfach irrwitzig gespielt, ohne Netz und doppelten Boden, und es gelang phänomenal. Tosender Applaus. Derweil knöpft sich der Meister irgendwen aus den ersten Reihen vor – es sah aus wie „Ja, genau Sie – warum tun Sie das?“ und macht die eindeutige Geste: Er scheint mal wieder beim Klavier-Festival Ruhr gefilmt worden zu sein, die gute Laune schien dahin. Dennoch gab es eine kurze Zugabe für die brave Majorität im Saal, Chopins Nocturne Nr. 5 in Fis-Dur, op. 15/2. Ein großer Abend.
Dr. Brian Cooper, 5. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Krystian Zimerman, Johannes Brahms, Elbphilharmonie Hamburg, 1. Mai 2019
Krystian Zimerman, Sir Simon Rattle, Berliner Philharmoniker Philharmonie Berlin