Foto: Kate Lindsey (Rosina) © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Glückliche Stadt, in der man an zwei direkt aufeinander folgenden Abenden zwei der drei Hauptwerke Rossinis – den „Barbier“ und die „Cenerentola“ in hervorragenden Aufführungen erleben darf: „Il Barbiere“ in einer farbenprächtigen (und nicht unumstrittenen), unkonventionellen Inszenierung von Herbert Fritsch und in der Volksoper „La Cenerentola“, das fast schon legendäre Werk und nach wie vor erfrischende Werk von Achim Freyer. Musikalisch und schauspielerisch hatten beide Produktionen viel zu bieten – Rossini, Belcanto und Commedia dell’Arte in bester Operntradition.
Gioachino Rossini, Il Barbiere di Siviglia
Text: Cesare Sterbini
Wiener Staatsoper, 26. September 2023
Musikalische Leitung: Gianluca Capuano
Inszenierung und Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Victoria Behr
Licht: Carsten Sander
Graf Almaviva: Lawrence Brownlee
Bartolo: Marco Filippo Romano
Rosina: Kate Lindsey
Don Basilio: Peter Kellner
Figaro: Davide Luciano
Orchester und Chor der Wiener Staatsoper
von Dr. Charles E. Ritterband
Nach mehr als einem halben Jahrhundert wagt sich die traditionsbewusste Wiener Staatsoper an eine ziemlich kühne Neuinszenierung, welche die gewohnten Konventionen der „Barbiere“-Aufführungen – das Haus des Doktor Bartolo mit Drehbühne und die Musiker, die ganz am Anfang des Stückes möglichst geräuschlos („piano pianissimo“) auftreten sollten und dies natürlich nicht tun – weit hinter sich lässt.
Eigentlich ist diese Inszenierung des für seine originellen und bisweilen überdrehten Inszenierungen bekannten deutschen Regisseurs Herbert Fritsch gar keine Inszenierung, denn sie verzichtet total auf Bühnenbild und jegliche Requisiten, ja selbst die klassische Personenführung, die hier durch viel Klamauk, Pantomime und Mimik mit deutlichen Anleihen von der Commedia dell’Arte ersetzt wird: Im Grunde hat der Zuschauer bei dieser Produktion eine konzertante Aufführung zu erwarten. Das ist respektabel und durchaus sehr kunstvoll – doch die Beschränkung auf das Agieren und Singen an der Rampe läuft Gefahr einer gewissen Monotonie, ja Langeweile.
Der wiederum soll durch den ebenfalls von Fritsch geschaffenen visuellen Rahmen entgegengewirkt werden: Hinter den Protagonisten wurden riesige farbige und zudem farbig beleuchtete Folien aufgehängt, die sich (um ja keine Langeweile aufkommen zu lassen!) ständig auf und ab und vorwärts und rückwärts bewegen. Das aber hat wiederum zwei deutlich negative Folgen: Erstens verbreiten die raumfüllenden Plastikfolien einen starken (und wie manche Zuschauer mir zuraunten: geradezu unerträglichen) Kunststoff-Gestank und das ständige Wogen dieser bunten Plastikwelt rief nicht nur bei mir so etwas wie Seekrankheit hervor. Auch wenn das Ganze an die Werke Mondrians denken läßt: Nicht eben ideale Voraussetzungen für einen genussvollen Opernabend – und ein misslungener „Versuch aus der Sache ein Fest zu machen“, wie der ambitioniert-selbstbewusste Anspruch des Regisseurs an seine eigene Arbeit lautet.
Immerhin: musikalisch war das Ganze durchaus tragfähig und somit Staatsopern-konform. Der Amerikaner Lawrence Brownlee bot prachtvollen Belcanto mit beeindruckenden Höhen und tenoralem Schmelz als Almaviva und der italienische Bariton Davide Luciano gab einen stimmstarken, virilen Figaro. Als Star des Abends allerdings trat die amerikanische Mezzosopranistin Kate Lindsey als Rosina mit einer herrlichen dunklen, patinierten Stimme (die bereits einen Anklang an die tragische Gräfin aus Mozarts „Figaro“ signalisiert) und herrlich sprudelnden Koloraturen.
Das Staatsopernorchester unter der Stabführung des hörbar Rossini-affinen Mailänders Gianluca Capuano sprühte temperamentvoll und doch präzise.
Dr. Charles E. Ritterband, 26. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gioachino Rossini, Il barbiere di Siviglia o L’inutile precauzione Garsington Opera, 7. Juli 2023
Gioachino Rossini, Der Barbier von Sevilla Royal Opera Covent Garden, 2. Februar 2023 PREMIERE
Daniels Anti-Klassiker 16: Gioachino Rossini – Figaro-Arie aus „Der Barbier von Sevilla“ (1816)