Elisabeth Sobotka und Christian Thielemann präsentieren auf ihrer ersten Pressekonferenz eine vielversprechende Saison

Spielzeit 2024/25 Staatsoper Unter den Linden  Berlin, 13. Mai 2024

Elisabeth Sobotka und Christian Thielemann zur Spielplanpräsentation am 13. Mai 2024 © Peter Adamik

Präsentation Spielzeit 2024/25

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 13. Mai 2024

von Kirsten Liese

Eine gewisse Anspannung zu Beginn dieser historisch-bedeutsamen Pressekonferenz war zu spüren. Christian Thielemann, neuer Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, und Elisabeth Sobotka, die designierte Intendantin, stellten ihre erste Saison vor.

Eine Wunsch-Allianz war das anfänglich wohl nicht. Aber mittlerweile, nach näherem Beschnuppern, hat doch erfreulicherweise eine konstruktive Zusammenarbeit ihren Anfang genommen, als eine „habsburgisch-preußische Entente“ bezeichnet sie ein sichtlich gut gelaunter Christian Thielemann.

Die Spielzeit, die die beiden vorlegen, ist jedenfalls in Anbetracht der schwierigen Umstände, einem zeitlich kurzen Vorlauf und dem übervollen Terminkalender des Stardirigenten, ein kleines Wunder, geprägt von einem starken Willen auf beiden Seiten.

Dass Thielemann in seiner ersten Saison sogar eine Opernpremiere möglich machen würde, stand nicht unbedingt zu hoffen, man ging eher von ein, zwei Konzerten aus. Umso mehr darf man staunen, dass der Vielbeschäftigte für seine erste Premiere mit Die schweigsame Frau  am 19. Juli 2025 noch dazu ein Werk ausgewählt hat, dass Karl Böhm einmal als die schwierigste Strauss-Oper überhaupt bezeichnete. An der Staatsoper wie überhaupt in Berlin wurde das Stück, das ich tatsächlich bislang nur einmal an der Wiener Staatsoper erlebte, noch nie gegeben.

Warum er sich denn ausgerechnet dieses Werk vorgenommen habe, will ein Kollege wissen. Umgekehrt ließe sich indes genauso gut fragen: Wer denn, wenn nicht der geniale Strauss-Dirigent Thielemann, dessen maßstäbliche Dresdner Frau ohne Schatten  einem noch nachhängt, wäre prädestiniert, eine solche Herausforderung anzunehmen?

Es ist dies die letzte von insgesamt acht Premieren in der kommenden Spielzeit, die am 2. Oktober mit Verdis Nabucco in prominenter Besetzung mit Anna Netrebko (Abigaille) und Luca Salsi (Titelpartie) in einer Einstudierung von Bertrand de Billy beginnt. Die obligatorische Legitimationsfrage zu Netrebko, die kürzlich einmal wieder anderswo aus politischen Gründen ausgeladen wurde, blieb da natürlich nicht aus. Und dass Sobotka mit Rückendeckung von Thielemann ihre Entscheidung souverän mit einem Statement gegen simple Gut-Böse-Schemata verteidigt, imponiert mir sehr.

Auch der übrige Premierenreigen mit Werken, die in Berlin seltener geboten werden, liest sich gut: Bellinis Norma in musikalischer Einstudierung von Francesco Lanzillotta gehört ebenso dazu wie Die Ausflüge des Herrn Brouček von Leoš Janáček, die Simon Rattle und der Regisseur Robert Carsen zusammen erarbeiten.

Sehr gefreut hat es mich auch, mehrfach den Namen des britischen Dirigenten Alexander Soddy in der Broschüre zu entdecken, der – ich schrieb es unlängst erst im Kontext mit dem von ihm geleiteten Lohengrin – sehr achtbar eine ähnliche klangliche Handschrift ausgebildet hat wie Thielemann. Er zeichnet für György Kurtags Einakter Fin de Partie  nach dem gleichnamigen Drama von Samuel Beckett, dirigiert aber auch Wagners Meistersinger im Repertoire.

Insgesamt sehr detailliert stellen Intendantin und Dirigent ihr Programm vor, wozu freilich auch die Konzerte zählen, bei denen sich Thielemann immerhin dreifach präsentiert: Seinen offiziellen Antritt feiert er am 7. Oktober. Geboten werden da Mendelssohns zweites Klavierkonzert mit Igor Levit als Solist sowie Schönbergs sinfonische Dichtung Pelleas et Mélisande und ein zeitgenössisches Werk von Samy Moussa mit dem Titel Elysium.

Noch größeren Appetit in mir wecken seitens der Programms die Konzerte am 24. und 25. März mit Bruckners Sechster und Henzes Sebastian im Traum  sowie ein Programm mit Orchesterliedern von Richard Strauss, umrankt von wenig bekannten Dichtungen von Franz Liszt.

Das neue Team Sobotka und Thielemann redet viel an diesem Vormittag, bevor die Fragerunde eröffnet ist. Berlin ist bekanntlich ein Haifischbecken, da stehen bei solchen Anlässen leicht kritische, abwegige oder uncharmante Fragen zu befürchten, kann es folglich nicht schaden, empfindliche Punkte schon einmal anzusprechen,  um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Thielemann unterstreicht seine gute Beziehung zu Daniel Barenboim als Lehrmeister, Weggefährten und geschätzten Kollegen bis weit zurück in Zeiten seiner Jugend, als er an der Deutschen Oper als Korrepetitor wirkte. Und er erinnert sich berührend, wie er sich mit dem Opernhaus Unter den Linden schon in DDR-Zeiten beschäftigte, als er vom Westen in den Osten reiste, wo er nicht nur Theo Adam auf der Bühne erlebte, sondern im Graben Barenboims Vorgänger Otmar Suitner, der ihn damit beeindruckte, wie er in einem Moment höchster Anspannung in aller Seelenruhe seine Brille putzte.

Ausblicke gibt es auch schon zu zukünftigen Silvesterkonzerten, an denen Thielemann statt der langjährigen Tradition mit Beethovens Neunter gerne die leichte Muse am Hause pflegen will wie zuvor schon in Dresden, wobei konzertante Operetten ebenso denkbar wären wie Schlager aus alten Ufa-Filmen.

Nach der Präsentation eines derart ambitionierten, sicherlich unter großen Anstrengungen und Klimmzügen entworfenen Programms wundert es mich, was die Kollegenschaft so bewegt, als es an die Fragerunde geht.

Gleich zwei Wortmeldungen betreffen eine Produktion von Mozarts Zauberflöte in einer Inszenierung von Yuval Sharon, die Sobotka aus dem Repertoire abgesetzt – und dafür einen schon älteren Figaro  wieder hineingenommen hat. Mir erscheint Sharons wenig ansprechende Inszenierung im Gegensatz zu der verbleibenden bewährten Zauberflöte von August Everding  entbehrlich – weshalb ich davon ausgehe, dass dieser Produktion sicherlich kaum jemand eine Träne nachweint.

Andere Wortmeldungen rühren an das übliche Netrebko-Bashing, dem Sobotka mutig trotzt, und die am Haus etablierte Barockoper, die in der kommenden Spielzeit einmal ausbleibt, in Zukunft aber wieder einen festen Bestandteil bilden soll.

Mich beschäftigen andere Dinge: Ob nicht an diesem Haus, dessen Repertoire wenig ansprechende Inszenierungen hergibt, Brigitte Fassbaender ihr überfälliges Debüt als Regisseurin geben könnte. In vieler Hinsicht würde sich das anbieten: Elisabeth Sobotka schätzt Fassbaender, die im Juli 85 wird, sehr, sie hat sie regelmäßig zu den Bregenzer Festspielen als Regisseurin ins Opernstudio eingeladen. Und ich selbst weiß von Fassbaender, dass es für sie ein Traum wäre, zumal als Berlinerin, an der Staatsoper zumindest einmal zu inszenieren – am liebsten in einer Produktion mit Thielemann, unter dessen Leitung sie allzu gerne einmal gesungen hätte, wenn ihre Gesangskarriere nicht schon weit vorher geendet hätte. Also bringe ich das als Anregung ein und freue mich, dass mein Vorschlag positiv – vom Dirigenten mit einem breiten Grinsen, von der Intendantin mit dem Versprechen, das mit Fassbaender klarzumachen –aufgenommen wird.

Und dann beschäftigt mich das enorme Potenzial, das in den österlichen Festtagen liegt, die 2025 allerdings noch ohne Christian Thielemann über die Bühne gehen – aber über kurz oder lang unter den europäischen Osterfestspielen die Nummer Eins werden könnten. Gewissermaßen als Fortsetzung von Thielemanns glanzvollen Osterfestspielen in Salzburg. Dazu freilich muss ich den Kapellmeister nicht überreden, er selbst trägt sich bereits mit ambitionierten Ausgaben, in denen er etwa auch vergessene bedeutende Berliner Persönlichkeiten ins Zentrum stellen will wie allen voran Regisseur, Dirigent und Berliner Theaterintendant Heinz Tietjen.

Mit großer Freude vernehme ich schließlich, dass Thielemann sehr daran interessiert ist, seinen Freund Riccardo Muti an die Staatsoper zu holen, sei es für ein Konzert oder – noch besser – für eine Oper. Vielversprechender kann man nicht an den Start gehen. Gratulation!

Kirsten Liese, 14. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

4 Gedanken zu „Spielzeit 2024/25 Staatsoper Unter den Linden
Berlin, 13. Mai 2024“

  1. Ch. Th. lässt nicht ab, die leichte Muse zu quälen; das war schon in Dresden und beim Neujahrskonzert in Wien zu erleben, nun müssen es auch die Berliner erleiden. Selbst schuld!
    Dass die Osterfestspiele in Salzburg „glanzvoll“ gewesen seien, wüsste ich aber: Parsifal war schrecklich, Otello eine Zumutung, die Tosca eine Katastrophe, ebenso der (in Wien nun aufgewärmte) Lohengrin.
    Arabella und Cavalleria/Pagliacci glänzten szenisch und durch die Besetzung; die musikalische Leitung hat beim Verismo schwer daneben gelegen. Walküre ein lauer Aufguss aus glorreicher Vergangenheit.
    Wettangebot: spätestens zur 3. Saison wird von Abschied gesprochen werden.

    Waltraud Becker

    1. Nun ja, Frau Becker, dass Sie das so sehen, überrascht wenig. Ob Herr Thielemann das überleben wird? Jedenfalls braucht er keineswegs meine Wenigkeit, um ihm eine glanzvolle Ära in Salzburg zu bescheinigen. Das Publikum hat stets vor Begeisterung gerast wie zuletzt auch beim Salzburger/Wiener „Lohengrin“, Kritiker-Kollegen, allen voran Wilhelm Sinkovicz von „Die Presse“, gerieten ins Schwärmen. Und sollte das für Sie als Expertise noch nicht ausreichen, lassen Sie mich noch Riccardo Muti hinzufügen, der genialste Verdi-Dirigent der Zeit und im italienischen Repertoire erfahren wie kein Zweiter. Er hält große Stücke auf Thielemanns Verdi und Puccini, das hat er mir gerade kürzlich erst gesagt.
      Kirsten Liese

  2. 1. Brauche ich keinen Herrn Muti, ich habe selber Augen und Ohren. Mein erstes Katastrophenerlebnis mit Thielemann war 2013; egozentrisch und rücksichtslos hat er Wagner zu huldigen versucht; leider nur unvollkommen. Die nächste Katastrophe, die ich live erlebt hab, war Cav/Pag in Salzburg. Als Österreicherin maße ich mir an, über die adäquate Interpretation von Werken, die für das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker infrage kommen, Bescheid zu wissen. Ch.Th. kann’s halt nicht, er kommt aus einer anderen Prägung.
    2. Das „Publikum“ rast jedenfalls, weil die teuren Karten gerechtfertigt werden müssen. Das ist kein ernst zu nehmender Maßstab. Von „stets gerast“ kann übrigens keine Rede sein; ich denke nur an Otello und Tosca; die wurden beide sehr kritisiert.
    3. Wie szenisch und musikalisch katastrophal der (nun) Wiener Lohengrin ist, konnte jeder am Stream miterleben. Braucht keine weiteren Erklärungen…
    Lass uns doch Herrn Ch.Th. als das einstufen, was er ist und seit Jahrzehnen bewiesen hat: Wagnerdirigent: ja (meistens), Strauss und Bruckner, auch Brahms. Nix Operette, nix italienisches Repertoire. Dazu einer, von dem mit Recht gesagt werden kann, dass er fast überall nach einer gewissen Zeit entbehrlich schien und mehr oder weniger weggedrängt bzw. hinausgeworfen wurde; so eine Biografie ist mir nicht ein zweites Mal bekannt. Bezeichnend: die Berliner Philharmoniker haben den tatsächlich besten Dirigenten gewählt und der hieß nicht Thielemann! Diese Entscheidung wiegt tatsächlich schwer.

    Waltraud Becker

  3. Herrn Thielemann scheint das alles so sehr auf den Magen geschlagen zu haben, dass er seine Tournee mit den Dresdnern krankheitsbedingt abgesagt hat…

    „Leider muss Christian Thielemann seinen Auftritt für dieses Konzert [27.05.2024] wie auch für alle weiteren Termine der Tournee krankheitsbedingt absagen. Die Kölner Philharmonie wünscht ihm eine schnelle Genesung.“

    Wolfgang Ahlborn

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