The Bartered Bride © Savonlinnan Oopperajuhlat
Wer keinen Humor hat, sollte auf dumme Späße und dürftige Witze verzichten. Dies sei allen Mitmenschen ans Herz gelegt – ganz besonders aber jenen, die sich anschicken, auf Opern- und Theaterbühnen Regie zu führen. Das gilt namentlich für die Regisseurin dieser Produktion, Alice Nellis, die augenscheinlich weder über Humor noch Talent in ihrem Handwerk verfügt.
Die tschechische Nationaloper, Smetanas international gefeierte „Verkaufte Braut“, mit dümmlichen Regieeinfällen derart zu verhunzen – dazu gehört schon fast wieder Talent. Dass dies ausgerechnet eine tschechische Regisseurin schaffte, ist besonders bemerkenswert.
Bedřich Smetana, Die verkaufte Braut
Libretto: Karel Sabina
Dirigent: Jaroslav Kyzlink
Chor des Prager Nationaltheaters
Chorleitung: Lukas Kozubik
Ballett der tschechischen Nationaloper, Prag
Orchester der tschechischen Nationaloper, Prag
Savonlinna Opera Festival (Premiere), 27. Juli 2024
von Dr. Charles E. Ritterband
Das renommierte Savonlinna Opera Festival scheute keinen Aufwand, Musiker, Sänger, den Chor und sogar das Ballett der tschechischen Nationaloper durch halb Europa und stundenlang durch Finnlands Birkenwälder und Seenlandschaften zu karren, um seinem anspruchsvollen Publikum derartige Peinlichkeiten zu bieten – zumal das Festival auf seiner Website unverhohlen zugibt, dass „nicht jeder mit der Interpretation der Regisseurin einverstanden“ ist.
Die Regisseurin selbst proklamiert im Programmheft, dass die klassischen Opern, die jeder kenne, „zu etwas Neuem und Einzigartigen“ umgestaltet werden müssten. Sie erinnert daran, dass sich bei der Erstaufführung ihrer reichlich unkonventionellen Produktion in Prag vor zwei Jahren Bravo- und Buhrufe aus dem Publikum „die Waage hielten“.
Wenn man klassische Werke entstaube seien die Einen begeistert, die Anderen entsetzt. Es sei „wild“ gewesen, gibt die Regisseurin zu. Ein Kritiker sei aufgestanden, habe gebrüllt „Sie sollten sich schämen“, und habe zusammen mit anderen Zuschauern den Saal verlassen. Hier in Savonlinna reagierte das Publikum sehr positiv – allerdings blieben viele Zuschauerreihen, anders als bei allen anderen Vorstellungen des Festivals, leer.
Die ausgebildete Flötistin Alice Nellis kommt als Regisseurin von Film und Fernsehen – deshalb wohl hatte sie die überaus originelle Idee, Smetanas Oper als „Spiel im Spiel“, als „making of“, als Theater- oder TV-Probe samt Kameras und „Regisseur“ zu inszenieren. Sie wollte mit dieser immerhin 21. Prager Produktion, seit Smetana sein Werk 1863-1866 komponierte, zeigen, wie Generationen sich bemühten, dieser Oper in unterschiedlichen Interpretationen neues Leben einzuhauchen.
Der „Regisseur“ in Nellis’ Fassung ist offenbar um eine Aktualisierung des traditionsreich-folkloristischen Stoffes bemüht, doch gerade er war in seinem unbeholfenen Spiel, in dem er ununterbrochen herumfuchtelnd, Anweisungen gestikulierend und sinnlos gestresst die lächerlichste aller Figuren in dieser unseligen Inszenierung. Vollends läppisch war es, den Figuren ständig unpassende Perücken (noch dazu verkehrt) aufzusetzen – jedes bessere Schülertheater würde sich schämen, derartig peinliche Gags in eine Produktion einzubauen. Dass eine professionelle Regisseurin dies am bedeutenden Prager Opernhaus tun durfte, ist unverständlich – und dass das Savonlinna Opera Festival diesen Unsinn auch noch nach Finnland importiert, wird vollends unverständlich.
Man erinnert sich etwas wehmütig an die großartige „Verkaufte Braut“ im englischen Garsington-Opernfestival vor zwei Jahren, als die Handlung kunstvoll und poetisch als Zirkusvorstellung präsentiert wurde. Die berühmte Polka wurde dort als fröhlicher Tanz um einen Maibaum präsentiert – hier jedoch als „break dance“ heruntergekommener Jugendlicher in einer heruntergekommenen Kaschemme. Natürlich kann man das machen, doch ob es zur heiteren, folkloristisch geprägten Musik Smetanas passt, ist eine andere Frage. Trotz aller munteren Regieeinfälle zog sich dieses Stück schier endlos und eher verwirrend in die Länge. Radikale Striche hätten im durchaus gutgetan.
Die kläglich gescheiterte Absicht, neu und zeitgemäß (beispielsweise mit der Projektion von typisch sozialistischen Plattenbauten und einer Szene eines Festes in einer Arbeiterkantine, bei dem sehr viel Bier die Kehlen hinuntergeschüttet wurde) zu inszenieren führte dazu, dass Smetanas herrliche Musik ob so viel visueller Ablenkung weitgehend in den Hintergrund gedrängt wurde.
Dabei stand dieser Regisseurin für ihre Produktion durchaus hochkarätiges Personal zur Verfügung: ein temperamentvolles Orchester mit unverkennbar tschechischem Sound unter der souveränen Stabführung von Jaroslav Kyzlink, hervorragende Tänzer und Tänzerinnen (auch wenn sie unpassende Dinge tun mussten), ein mit viel (vielleicht allzu viel) Verve singender Chor (Chorleitung: Lukas Kozubik) und erstklassige Sängerinnen und Sänger, allen voran der Jenik des Tenors Peter Berger und die beiden Marenkas ( Alžběta Poláčková und Markéta Klaudová) sowie die Mezzosopranistin Yvona Škvárová als Hata. Markant der Bass des Kecal (Zdeněk Plech) und der sonore Bariton des Jiří Hájek .
Dr. Charles E. Ritterband, 27. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Regie: Alice Nellis
Bühne/Licht: Matěj Cibulka
Kostüme: Kateřina Štefková
Choreographie: Klára Lidová
Video: Michael Mocnak
Mařenka 1: Alžběta Poláčková
Mařenka 2: Markéta Klaudová
Jenik: Peter Berger
Kecal: Zdeněk Plech
Vasek: Josef Morávec
Ludmila: Maria Kobielska
Krušina: Jiří Hájek
Micha: František Zahradníček
Hata: Yvona Škvárová
Zirkusdirektor: Tomas Korinek
Giuseppe Verdi, Nabucco, Libretto: Temistocle Solera Savonlinna Opera Festival, 26. Juli 2024
Giuseppe Verdi, Rigoletto, Savonlinna Opera Festival, 5. Juli 2019
Wir können uns der Kritik zur „Verkauften Braut“ nur anschließen. Regie und Bühnenbild waren unmöglich und zeugen vom Unvermögen der Regisseurin.
So etwas muss den Verantwortlichen zu denken geben, dass eine Wiederholung mit unfähiger Regie bei anderen Stücken „um der moderne Willen“ nicht noch einmal passiert.
Eine Fahrt nach Prag lohnt sich sonst nicht mehr.
Gottfried und Christine Nerrlich