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Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 52 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.
Wenn große Namen durch den Kakao gezogen werden, kann das auch eine Chance sein – Die Ouvertüren „Franz Schubert“ und „Mozart“ von Franz von Suppé
von Daniel Janz
Bis heute werden gewisse Komponisten als die Größten der Größten und die „einzig Wahren“ bezeichnet. Einige dieser Namen erklingen so oft, dass auch hier bereits mehrere Anti-Beiträge über sie erschienen sind. Natürlich kann man sowas als persönliche Meinung abtun. Spannend ist aber, wenn Zeugnisse auftauchen, die diese Allgegenwärtigkeit bestätigen und mit ihr arbeiten. Deshalb ist auch bemerkenswert, wenn ein Komponist wie Franz von Suppé Werke solcher klassischen Popstars aufgreift und neu verarbeitet.
Franz von Suppé wurde vor allem als Operetten-Komponist im 19. Jahrhundert bekannt. Seine Hauptbeschäftigung war das Komponieren von Gebrauchsmusik, wobei er regelmäßig verschiedene Wiener Vorstadttheater mit Material bediente. Vermutlich blieb er auch deshalb der Nachwelt nicht in Erinnerung, weil sein Schaffen viel Musik umfasst, die auf einzelne Anlässe bezogen zu sein scheint, ohne Größeres darstellen zu wollen.
Ob das auch ein Grund war, warum er sich an vermeintlich größeren Vertretern seines Handwerks versuchte? Mozart – im Jahr 1854 bereits über 60 Jahre verstorben – galt damals schon als legendär. Seine Musik und Lebensgeschichte waren dementsprechend gleichermaßen gegenwärtig und bekannt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich auch jemand an diesen Material bedienen würde, um ein „Künstlerlebensbild“ zu erschaffen. Als also Leonhard Wohlmuth einen entsprechenden Text verfasste, den Franz von Suppé vertonen sollte, schien dessen Chance gekommen zu sein.
Das erklärte Ziel: In einem vieraktigen Stück einen Generalabriss über das Leben des Künstlers Mozart schaffen. Schnell war klar, dass dadurch nur Schlaglichter auf einzelne Schlüsselerlebnisse gelingen konnten. Vielleicht hat Franz von Suppé auch deshalb bewusst viele der fröhlichsten Themen von Mozart verwendet? Beim Anhören beschleicht einen jedenfalls oft das Gefühl, dass Suppé ihn womöglich nicht allzu ernst genommen hat, wenn er Märsche und Tänze von Mozart aufgreift, um zu charakterisieren, wie er als Hallodri scheinbar sorg- und schwerelos durchs Leben tänzelt.
Über die Originalität dieses Werks lässt sich auch beherzt streiten; schon zur Uraufführung warf man Suppé vor, dass sich seine Eigenleistung in überschaubaren Grenzen halten würde. Denn er komponierte zum Text von Wohlmuth nicht etwa ein eigenständiges Werk basierend auf Motiven von Mozart. Sondern streng genommen erstellte er eine Kollage aus Themen, die fast alle von Mozart stammen, und würfelte sie nahezu unbearbeitet zusammen. Heutzutage würde man wohl von einem „Best-of“ sprechen.
Einerseits bleibt dadurch der Wiedererkennungswert besonders für Mozartkenner erhalten. Andererseits muss man fragen, ob das nicht schon zu viel fantasielose Klauerei ist? Denn andere Werke dieser Arbeitsweise überschreiten schnell die Schwelle zum Plagiat. Aber hören Sie gerne selbst in die Ouvertüre, wie viel Sie von „Figaros Hochzeit“, „Die Entführung aus dem Serail“, „Don Giovanni“ und „Die Zauberflöte“ wiedererkennen:
Für Franz von Suppé führte dies jedenfalls weder zur Verurteilung wegen Urheberrechtsverletzung, noch zur Ächtung. Zwar hielten sich Ruhm und Erfolg dieses Werks in Grenzen. Doch es zahlte sich für ihn so sehr aus, dass er 1864 das Kunststück wiederholte. Diesmal widmete er sich in einer Operette dem 1828 verstorbenen und gleichermaßen legendären Franz Schubert. Auch hier klaute er die Musik aus bekannten Klassikern des Komponisten, um damit das Libretto von Hans Max zu untermalen. Und auch diesmal mit entsprechender Geringschätzung durch Kritiker.
Ähnlich, wie bei seinem Mozart-Vierteiler, sticht auch hier die Ouvertüre als interessantestes Fragment heraus. Im Gegensatz zur Mozart-Ouvertüre verarbeitete er hier die Themen jedoch geschickter miteinander, sodass nicht nur ein Wiedererkennungswert entsteht, sondern auch ein gewisser Eigenanteil erkennbar wird. Wenn er also Schuberts Erlkönig aufgreift und ihn im neuen Licht erstrahlen lässt, hat das durchaus etwas Kunstvolles:
Schlussendlich bleibt die große Frage, wie man solche Funde einordnen will. Auf der einen Seite dürften sie als Fragmente für den Orchesterbetrieb so interessant sein, dass man sie sich gerne häufiger anhören könnte. Auch sind sie mit nur 7 bis 8 Minuten Länge keinesfalls zu lang, als dass sie einen Konzertabend sprengen würden. Auf der anderen Seite sind diese Werke jetzt aber nicht die ganz großen Würfe. Den Zweck, eine Geschichte zu erzählen, erfüllen sie aber allemal. So gesehen kann es sicher nicht schaden, auch Franz von Suppé das ein oder andere Mal wieder aufzugreifen.
Daniel Janz, 2. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker, Komponist, Stipendiat, studiert Musikwissenschaft im Master:
Orchestermusik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich zunächst für ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zur Verbindung von Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für klassik-begeistert. 2020 erregte er zusätzliches Aufsehen durch seine Kolumne „Daniels Anti-Klassiker“. Mit Fokus auf den Raum Köln/Düsseldorf kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend geht er der Frage nach, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
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