Das Hamburg Ballett tanzt herausragend

Jane Eyre, Ballett von Cathy Marston  Hamburg Ballett, 16. November 2024

Ida Praetorius (Jane Eyre), Nathan Brock (musikalische Leitung), Artem Prokopchuk (Edward Rochester), Ana Torrequebrada (Junge Jane)

… trotzdem bleibt Cathy Marstons Ballett Jane Eyre nach dem Roman von Charlotte Brontë inhaltlich eine Schmonzette

Äußerlich und auch im Herzen jünger und deutlich weniger arrogant tanzte Artem Prokopchuk den Part des Edward Rochester leichtfüßig und darstellerisch mit großer Sensibilität. Das übertrug sich sichtbar auf seine Partnerin Ida Praetorius. Zwischen ihnen stimmte die Chemie. Vor allem der weiße Liebes-Pas de deux am Ende des ersten Aktes geriet zum tänzerischen Höhepunkt.

Jane Eyre, Ballett von Cathy Marston

Musik von Fanny Hensel, Felix Mendelssohn Bartholdy und Franz Schubert

Choreographie und Inszenierung: Cathy Marston
Bühnenbild und Kostüme: Patrick Kinmonth

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Musikalische Leitung: Nathan Brock

Hamburg Ballett, 16. November 2024

von Dr. Ralf Wegner

Eines muss man Cathy Marston lassen, sie schuf für ihr Ballett drei Rollen für Tänzer und dreimal so viele für Tänzerinnen. Und die Männerrollen sind mit dem bösartigen Heimleiter Mr. Brocklehurst, dem steifen Geistlichen St John Rivers sowie dem vermeintlichen Bigamisten Edward Rochester zudem nicht sonderlich sympathisch.

Wovon handelt das Stück nach dem Roman von Charlotte Brontë? Das arme Waisenmädchen Jane Eyre durchleidet mehrere Lebensstufen, bis sie nach etlichen Komplikationen den reichen Gutsherrn Edward Rochester für sich gewinnen kann. Früher nannte man so etwas einen Lore-Roman oder noch früher eine Hedwig Courths-Mahler-Geschichte für die in den Niederungen der Gesellschaft verhafteten, vom Prinzen träumenden Dienstmädchen.

Artem Prokopchuk überzeugte als Gutsherr Edward Rochester

In der letzten Saison tanzten Ida Praetorius und Madoka Sugai die Schlüsselpartie, Karen Azatyan und Alexandr Trusch den Gutsherrn Edward Rochester.  Azatyan ging mit Cathy Marston nach Zürich, welche 2023 die dortige Ballettdirektion übernommen hatte. Als Nachfolger trat der zuletzt als Tybalt und schwarzer Bruder in Neumeiers Ballett Epilog  positiv aufgefallene Gruppentänzer Artem Prokopchuk an. Zwei weitere Rollen waren mit neuen Solisten besetzt, die Demis Volpi vom Ballett am Rhein mitgebracht hatte: Daniele Bonelli als verschlagener Mr. Brocklehurst und Futaba Ishizaki als den Hausherrn umwerbende Blanche Ingram.

Lormaigne Bockmühl (Adèle Varens), Hayley Page (Mrs Fairfax), Charlotte Larzelere (Bertha Mason), Ida Praetorius (Jane Eyre), Artem Prokopchuk (Edward Rochester), Ana Torrequebrada (Junge Jane), Christopher Evans (St John Rivers), Futaba Ishizaki (Blanche Ingram); hinter Ida Praetorius links Daniele Bonelli (Mr Brocklehurst) und Greta Jörgens (Helen Burns)

Artem Prokopchuk ersetzte Karen Azatyan herausragend. Äußerlich und im Herzen jünger sowie weniger arrogant tanzte er den Part des Edward Rochester leichtfüßig und sprungmächtig sowie darstellerisch mit großer Sensibilität. Das übertrug sich sichtbar auf seine Partnerin Ida Praetorius. Zwischen ihnen stimmte die Chemie. Vor allem der weiße Liebes-Pas de deux am Ende des ersten Aktes geriet zum tänzerischen Höhepunkt.

Alle Frauenpartien waren herausragend besetzt

Was einen dennoch wundert ist, wie aus der kratzbürstigen, geradezu widerspenstigen jungen Jane eine so nach Innen gekehrte, fast introvertierte junge Frau werden konnte. Ab und an brach es aus Ida Praetorius noch heraus, aber doch recht zaghaft. Die eher zupackende Art von Madoka Sugai als Jane hatte sie nicht.

Die junge Jane wurde wieder sehr glaubwürdig von Ana Torrequebrada verkörpert. Und sie bewährte sich auch als innige Freundin von Helen Burns (Greta Jörgens). Für beide schuf Cathy Marston im ersten Akt einen zu Herzen gehenden Frauen-Pas de deux.

Auch die anderen weiblichen Partien waren mit Hayley Page als komische Haushälterin Mrs Faifax, Charlotte Larzelere als furios tanzender Feuerteufel Bertha Mason und Futaba Ishizaki als kokett um den Gutsherrn buhlende Blanche Ingram herausragend besetzt. Und Lormaigne Bockmühl gab mit quirligen Schritten erneut der jungen Adèle Varens Profil.

Für die Männer fiel der Choreographin nur wenig ein

Mit den verbleibenden männlichen Partien hatte ich nach wie vor Schwierigkeiten. Offenbar um auch die männlichen Mitglieder des Balletts genügend  zu beschäftigten, hatte sich Cathy Marston sog. D-Men ausgedacht. Diese traten häufig in Zusammenhang mit tödlichen Bedrohungen auf oder dienten dem Gutsherrn sowie den weiblichen Ballgästen als Begleiter.

Inhaltlich trugen sie nur wenig zur Handlung bei, tänzerisch fielen sie mit einem hopsend wirkenden Bewegungsrepertoire auf, welches eher einer Beschäftigungstherapie als einem choreographisch überzeugenden, auch inhaltlich begründeten Konzept ähnelte.

Auch für Christopher Evans, der doch tänzerisch und darstellerisch so herausragend sein kann, fiel Cathy Marston wenig ein. Selten, eigentlich noch nie, habe ich den Tänzer so stocksteif und ausstrahlungsarm wie als St John Rivers in diesem Ballett erlebt. Aber das hat die Choreographin wohl so gewollt. Das mag der literarischen Vorlage dienen, wirkt auf der Bühne aber eher langatmig und uninteressant.

Der junge Daniele Bonelli tanzte den Schulleiter Mr Brocklehurst präzis und genau, allerdings ohne die arrogant, überheblich schmierige Art, mit der Matias Oberlin die Mädchen sinnbildlich unter seine Knute zwang.

Das am Tag der Aufführung auffallend gut gekleidete Publikum, darunter viele junge Leute, zeigte sich am Ende von dem Gesehenen begeistert. Mehre Blumensträuße flogen auf die Bühne. Man sah kaum leere Plätze im Haus.

Dr. Ralf Wegner, 17. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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