„Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin © Thomas Aurin
Mit der Frau ohne Schatten beendet der Regisseur Tobias Kratzer seine Strauss-Trilogie: 2023 Arabella, 2024 Intermezzo und nun, 2025, die so schwer fassbare Frau ohne Schatten. Erneut brilliert Kratzer mit cleveren und lustigen Einfällen. In Kombination mit starken Sängern, einem souveränen Runnicles und dem perfekt abgestimmten Orchester der Deutschen Oper wird der Abend unvergesslich.
Richard Strauss
Die Frau ohne Schatten
Oper in drei Akten (1919)
Musik von Richard Strauss
Text von Hugo von Hofmannsthal
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühne, Kostüme: Rainer Sellmaier
Licht: Olaf Winter
Video: Jonas Dahl, Manuel Braun, Janis Bebi
Deutsche Oper Berlin, 26. Januar 2025 PREMIERE
von Arthur Bertelsmann
Die Frau ohne Schatten ist vermutlich die vertrackteste Strauss-Oper – ist dieses Werk doch mehr fantastisches Märchen als dramatisches Theater: sprechende Fische und ein Wahrheitsbrunnen tauchen auf, der Boden verschluckt Menschen, ein versteinerter Kaiser und, und, und…
Wie soll das bühnentechnisch möglich sein und selbst wenn, wer versteht dann überhaupt noch diese völlig verquaste Handlung?
Kratzer löst das Problem auf radikale Weise: Er entschlackt die Oper, nimmt alles Mystische raus und transportiert sie so in die Gegenwart. Die Botschaft Keikobads bringt hier – mit noch vielem anderen – der Amazon-Paketbote.
Der ständig gesuchte Schatten ist in Kratzers Interpretation das Kind, was die Kaiserin (hier eine depressive Millionärsgattin) nicht bekommen kann.
Barak und die Färberin werden Inhaber eines Wäschesalons. Die Amme eine schwer greifbare Schimäre zwischen konservativer Schwiegermutter und dienstbarer Haushälterin der Kaiserin, die dem Ehepaar das Kind regelrecht aufzwingen möchte. Als Leihmutter hat die Amme die Färberin im Sinn, welche mit Designerschals und Handtaschen bestochen werden soll.
Da wir uns im 21. Jahrhundert befinden, kommt es nicht zum – im zweiten Akt ja eigentlich befürchteten – Ehebruch, sondern zur völlig taubfreien künstlichen Befruchtung.
„Schon wieder 0815-Regietheater“ mag man stöhnen, doch Kratzer belehrt Skeptiker eines Besseren.
Denn die Sache geht voll und ganz auf.
Sofort hat man den ominösen Schatten durch ein Kind ersetzt, nie knirscht es im Libretto, im Gegenteil, Kratzers Idee ist dem Stück wirklich auf den Leib geschneidert.
Dass dieses zugegebenermaßen recht simple Konzept auch nach dreieinhalb Stunden kaum durchhängt, liegt insbesondere an zahlreichen lustigen und kreativen Einfällen, zum Beispiel am Ende des ersten Aktes, wo statt singender Fische in der Pfanne einfach ein Fernseher eingeschaltet wird – zu sehen sind schreiende Säuglinge.
Diese Inszenierung macht nicht nur Spass, sondern ist auch intellektuell durchaus herausfordernd. Besonders der dritte Akt liefert eine zunächst eigentümliche, dann aber umso einleuchtendere Interpretation: Die Kaiserin lehnt das Kind kurzfristig dann doch ab, zu sehr müsste sie sich einschränken. Der Kaiser – ganz tumber Dandy – freut sich auf das ungebundene Leben ohne Balg.
Färberin und Barak lassen sich scheiden. Er zieht das Kind alleine groß, sie genießt ihre Freiheit. Die Amme wird beim Versuch, ein Kind aus dem Krankenhaus zu klauen, von Sicherheitsleuten festgenommen.
Was völlig an den Haaren herbei gezogen scheint, ist bei genauerer Betrachtung ein absolut logischer Ausgang, denn Die Frau ohne Schatten ist nicht nur die Oper der Phantasmen, sondern auch des Streits. Alleine was im zweiten Akt gestritten wird… Beide Ehemänner wollen ihren Frauen in diesem Akt wortwörtlich an die Gurgel, um dann im dritten eine fröhliche Zusammenkunft zu feiern (Barak: Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt).
Kratzer macht das deutlich logischer – alles Geplante scheitert, und das ist gut so.
Dass dieser Abend so perfekt funktioniert, liegt natürlich nicht nur am formidablen Bühnenbild (Rainer Sellmaier) und den klugen Einfällen des Regisseurs, sondern auch an dem ausgezeichneten Ensemble, das seine Rollen so klug und bedacht spielt, dass das ungewöhnliche Ende eigentlich kaum überrascht.
Kaiser und Kaiserin – kurzfristig von Clay Hilley und Daniela Köhler übernommen – liefern ein wohlstandsverwahrlostes Ehepaar. Zwar hat Hilley insbesondere in den polternden Passagen des ersten Aktes Probleme, schreit mehr als dass er singt, wird jedoch immer besser und zeigt schlussendlich einen überzeugend sensiblen und dennoch dummen Schnösel. Köhler hingegen hat keinerlei Startprobleme, bereits zu Beginn windet sie sich in einer durch Dekadenz ausgelösten Depression, um am Ende glücklich lächelnd ihre wieder gewonnene Freiheit zu bejubeln – unvorstellbar, dass diese beiden ein Kind großziehen könnten.
Gänzlich anders ist es mit Catherine Foster (Färberin) und Jordan Shanahan (Barak), denn von Saturiertheit fehlt hier jede Spur. Shanahan spielt einen unglaublich liebevollen Barak, dem man die Verfluchungen seiner Frau im zweiten Akt zu keiner Zeit glauben mag. Dieser liebevolle Barak kann neben der extrem starken und resoluten Catherine Foster gar nicht bestehen, das ist bereits ab dem ersten Zusammenspiel der beiden völlig klar.
Als Störfaktor dieses glücklichen kollektiven Zusammenbruchs ist Marina Prudenskaya als regressive Amme ein absoluter Glücksgriff, oft wechselt sie zwischen durchdringendem Schwiegermutter-Gekreisch und liebevollen Aber-ich-will-doch-nur-das-beste-Gesang, was insbesondere bei dieser brutal schweren Partie eine echte Glanzleistung ist.
Donald Runnicles und das Orchester sorgen an diesem Abend für eine große Klarheit in diese Partitur.
Beeindruckend, wie kontrolliert der GMD der Deutschen Oper das 105-köpfige Orchester im Graben führt. Zu Beginn scheint diese Klarheit doch etwas zu kühl, gerne wünscht man sich mehr Rausch, mehr Zauber, doch mit dem Zuspitzen des Inhalts wird auch das Orchester immer leidenschaftlicher und rüttelt insbesondere in der Versteinerungsszene im dramatischen Finale das Publikum gewaltig durch.
Diese fast perfekte Aufführung kommt auch beim Publikum an – jeder einzelne Solist wird mit frenetischem Jubel belohnt.
Oft hört man in den Pausen der Opernsäle Stimmen, die sich eine ganz konventionelle Opernaufführung mit exakter Ausführung des Librettos wünschen, alles wie zu Strauss, Verdis und Wagners Zeiten. Diese Stimmen waren in der Premiere der Frau ohne Schatten plötzlich sehr, sehr leise.
Arthur Bertelsmann, 27. Januar 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Kaiser: Clay Hilley
Kaiserin: Daniela Köhler
Amme: Marina Prudenskaya
Barak: Jordan Shanahan
Färberin: Catherine Foster
Giuseppe Verdi, Macbeth Deutsche Oper Berlin, 23. November 2024, Premiere
https://klassik-begeistert.de/?s=Deutsche+Oper+Berlin
Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten Staatsoper Unter den Linden, 9. November 2024
Ich wusste noch gar nicht, dass FroSCH eine Komödie ist…
Kirsten Liese
Herr Sommeregger und Herr Bertelsmann waren beide in „Die Frau ohne Schatten “ und schreiben Kritiken, die unterschiedlicher nicht sein können.
Interessant zu lesen, da diese auch direkt untereinander geschrieben stehen.
Jürgen Schemetat
Lieber Herr Schemetat,
wir sind ein offener, pluralistischer Blog, die persönliche Wahrnehmung ist uns bewusst und wichtig und wir halten es im Team aus, dass es pro Aufführung schon bis zu 4 verschiedene Textversionen gegeben hat.
Herzlich,
Andreas Schmidt
Lieber Herr Schmidt!
Vielen Dank für Ihren Hinweis.
Ich betrachte meine Bemerkung auch nur als interessante, neue Erfahrung und lese weiterhin gerne Ihre/Eure Seite.
Ich war ebenfalls in der Premiere, extra dafür angereist, und weiß selbst heute nicht, wie mir die Inszenierung gefallen hat. Ich habe bereits einige Inszenierungen der „Frau ohne Schatten“ gesehen. Besonders gefallen hat mir vor Jahren eine Inszenierung hier bei uns in Essen mit Stefan Soltész (!) als Dirigent. Damals war diese auch eher als fantastisches Märchen mit etwas mehr Poesie angelegt, was meiner Meinung nach der Musik näher kommt und gut tut, als Kratzers Sichtweise. Trotzdem machte seine Inszenierung für mich teilweise Sinn.
Eine Antwort darauf, wie es mir gefallen hat, finde ich nur, wenn ich mich frage, ob ich mir diese Inszenierung noch einmal ansehen würde. Da muss ich leider „nein“ sagen.
Jürgen Schemetat